Politik

Kanzlerin mit Vergangenheit Warum die Enthüllungen Merkel nicht schaden

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Angela Merkel - hat sie eine dunkle Vergangenheit? Bislang sieht es nicht so aus.

(Foto: REUTERS)

Von einer Debatte zur "Unzeit" ist die Rede: Mitten im Bundestagswahlkampf muss sich Kanzlerin Merkel Vorwürfen zu ihrer Rolle in der SED-Diktatur stellen. Doch die angeblichen Enthüllungen werden der CDU-Chefin nicht schaden. Denn sie belegen nur, was wir ohnehin längst über Merkel wissen.

Nur Monate vor der Bundestagswahl muss sich Kanzlerin Angela Merkel einer Debatte über ihre DDR-Vergangenheit stellen. Mit ihrem Buch "Das erste Leben der Angela M." bewerten ausgerechnet zwei Springer-Journalisten Merkels Rolle in der SED-Diktatur neu. Die These von Ralf Georg Reuth ("Bild") und Günther Lachmann ("Welt"): Merkel stand dem System deutlich näher als gedacht.

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Die Kanzlerin beim Campen - 1973, nach ihrem Abitur. Die Welt war eine andere, Angela Kasner ebenso.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Buch ist noch nicht einmal erschienen, schon fordert die Opposition Aufklärung. Angesichts des immer intensiveren Wahlkampfes ist von einer Enthüllung zur "Unzeit" die Rede. Doch schadet Reuths und Lachmanns Blick auf die ersten 35 Jahre im Leben der Kanzlerin dieser wirklich? Gefährdet er womöglich den Wahlerfolg ihrer CDU? Wohl kaum.

Einer der zentralen Vorwürfe von Reuth und Lachmann: Angeblich war Merkel in ihrer Zeit an der Akademie für Wissenschaften in der DDR-Organisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) als Sekretärin für "Agitation und Propaganda" mithin verantwortlich für die Vermittlung marxistischer und leninistischer Theorien. Bisher behauptete Merkel stets, sie sei ausschließlich für die weniger verfängliche Kulturarbeit zuständig gewesen, habe nur "Theaterkarten besorgt und Buchlesungen organisiert".

Ein alter Vorwurf

Doch der Vorwurf ist nicht neu: Schon der kürzlich verstorbene Merkel-Biograf Gerd Langguth erwähnte 2005 in einem Buch Merkels mutmaßliche Funktion in der FDJ. Er zitierte den ehemaligen FDJ-Sekretär Hans-Jörg Osten mit den Worten, dass er nicht ausschließen könne, dass Merkel die Funktion eines Sekretärs für Agitation und Propaganda wahrnahm. Er könne sich aber nicht definitiv daran erinnern.

Im Gesprächsband "Mein Weg" des "Bild"-Kolumnisten Hugo Müller-Vogg sagte Merkel im selben Jahr, dass "einer von denen, die damals in der FDJ-Gruppe waren, immer wieder behauptet, ich hätte Agitation und Propaganda betrieben". Und weiter: "Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeiner Weise agitiert zu haben. Ich war Kulturbeauftragte."

"Damit kann man leben"

Heute bestätigt zwar ein weiterer FDJ-Sekretär Merkels Funktionen. Wirkliche Belege, Unterlagen gar, gibt es aber nicht. Und anders als Reuth und Lachmann empfinden es nicht alle Experten als zwingend verwerflich, FDJ-Sekretärin gewesen zu sein.

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Zweite Reihe, Mitte, leicht verdeckt: Angela Kasner 1971 mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule Templin.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

So zog Merkel-Kenner Langguth in seiner Biografie ein gänzlich anderes Fazit als Reuth und Lachmann. "Ob nun Angela Merkel tatsächlich Sekretär für Agitation und Propaganda der FDJ oder Kulturbeauftragte war, ist letztlich nicht entscheidend", schrieb er. Auf diese Argumentationslinie scheint auch Merkel einzuschwenken: "Ich kann mich da nur auf meine Erinnerung stützen", sagt sie heute zu der Frage, ob sie FDJ-Sekretärin für Propaganda gewesen sei. "Wenn sich jetzt etwas anderes ergibt, kann man damit auch leben."

Als Begründung für seine Einschätzung schrieb Langguth, wer die FDJ als Mittel zur Durchsetzung des Parteiwillens ansehe, werde jedes Engagement darin verurteilen. Man könne die FDJ-Arbeit an der Akademie für Wissenschaft aber auch als Möglichkeit für junge Menschen sehen, sich zusammenzuschließen, ohne vertiefte Parteiarbeit zu leisten. Langguth beschreibt eingehend, dass Merkel zu ihrer Zeit an der Akademie, kurz nach der Trennung von ihrem ersten Mann, Halt und Freundschaft fand in dieser Gemeinschaft.

Merkel und der Reformkommunismus

Wirklich neu sind zwei andere Vorwürfe. Der erste: Reuth und Lachmann dokumentieren Merkels Mitgliedschaft in der Leitung der Betriebsgewerkschaft ihres Instituts Anfang der 80er Jahre - ein brisanter Posten. Schließlich galt es damals in der Gewerkschaftsleitung, die demokratischen Aufbrüche der Solidarnosc in Polen im Sinne der SED zu bewerten, sprich: sie zu kritisieren.

Der zweite Vorwurf: 1989 soll Merkel sich früher an der politischen Gruppierung Demokratischer Aufbruch engagiert haben als bislang bekannt. Das kann man ihr zugute halten. Reuth und Lachmann geht es jedoch darum, dass der Demokratische Aufbruch zunächst an einem reformierten DDR-Sozialismus festhielt. Erst im Dezember schwenkte das Bündnis auf das Ziel einer Wiedervereinigung ein. Reuth und Lachmann ziehen daraus den Schluss, dass Merkel nicht immer die Einheit herbeigesehnt habe. Sie beschreiben sie vielmehr als Reformkommunistin.

Kurzfrist-Pragmatikerin ohne Vision

Neu ist das schon, nicht jedoch überraschend. Vielmehr zeichnet sich darin das Wesen ab, für das Merkel auch dieser Tage bekannt ist: Frei von großen Visionen versuchte sie offenbar damals wie heute, kurzfristige Ziele innerhalb der gegebenen Strukturen zu verwirklichen. Und dass sie im Oktober 1989 nicht an den großen Umbruch glaubte, lässt sich ihr schwer vorwerfen. Schließlich konnten sich zu diesem Zeitpunkt selbst im Westen nur wenige die komplette Auflösung der Sowjetunion erdenken.

Wähler, die in den alten Bundesländern sozialisiert sind, werden Merkel darum wohl auch beim Blick auf "ihr erstes Leben" als nüchtern rechnende Pragmatikerin wiedererkennen. Und im Osten zeichnet sich schon jetzt deutlich ab, dass die Befunde Reuths und Lachmanns nur wenige überraschen.

Die Vorsitzende der sächsischen Grünen, Antje Hermenau, sagt: "Wer wie Angela Merkel zum Jugendaustausch in Moskau war und in den achziger Jahren an der Akademie der Wissenschaften der DDR gerarbeitet hat, war nicht Staatsfeind Nr. 1. Das weiß im Osten jeder (im Alter) über 45. Kompromisse zu machen, gehört zum Leben dazu."

Den Osten wird Merkel nicht verlieren

Entscheidend ist für viele Ostdeutsche, dass Merkel sich den wirklich fragwürdigen Posten versperrte. Als die Stasi versuchte, sie als Mitarbeiterin zu gewinnen, lehnte Merkel ab. An dieser Tatsache rütteln auch Reuth und Lachmann nicht.

Für den Umstand, dass Merkel zunächst womöglich nur eine "Reformkommunistin" und keine Streiterin für die Einheit gewesen ist, wird die große Mehrzahl der Ostdeutschen Merkel ebenfalls kaum verurteilen - im Gegenteil. Laut der Langzeitstudie "Generation Wende" waren die meisten DDR-Bürger 1990 selbst nicht restlos von der Wiedervereinigung überzeugt. Zwar war der Wunsch nach einer Veränderung gewaltig, mehr als 60 Prozent verbanden mit der deutschen Einheit aber auch Zweifel. Und seither sank dieser Anteil auch nur um ein paar Prozentpunkte.

Werden die angeblichen Enthüllungen Merkel also schaden? Notorische Merkel-Hasser wie die Autorin Gertrud Höhler werden sich in ihrem Urteil bestätigt sehen. Die Mehrheit der Westdeutschen wird die Debatte eher achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Und die Ostdeutschen? Die meisten von ihnen werden sich der Kanzlerin nun möglicherweise noch stärker verbunden fühlen. Eine Binsenweisheit der Wahlforschung lautet: Bundestagswahlen können im Osten nicht gewonnen werden, aber sie können dort verloren gehen. Angriffe aus dem Westen können da nur behilflich sein.

Quelle: ntv.de

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