"Versuchskaninchen Mensch" West-Pharmafirmen ließen in der DDR testen
12.05.2013, 08:41 Uhr
Der Charité soll ein Testvolumen von jährlich sechs Millionen D-Mark angeboten worden sein.
(Foto: picture alliance / dpa)
Medikamentenhersteller aus dem Westen betrieben offenbar Menschenversuche in DDR-Kliniken. Die Betroffenen wussten oftmals nicht, dass sie als Testpatienten für Arzneien dienten, wie der "Spiegel" berichtet. Es soll sogar Todesfälle gegeben haben.
Westliche Pharmakonzerne sollen in DDR-Kliniken hunderte Medikamentenstudien in Auftrag gegeben haben. Mehr als 50.000 Menschen dienten bis zum Mauerfall als Testpatienten etwa für Chemotherapie-Mittel und Herzmedikamente - oft ohne es zu wissen, wie der "Spiegel" berichtet. Mehrere Testreihen hätten zu Todesfällen geführt und mussten abgebrochen werden. Das Magazin beruft sich auf bislang unbekannte Akten des DDR-Gesundheitsministeriums, der Stasi und des Instituts für Arzneimittelwesen.
Den Akten zufolge starben bei einem Test des Hoechst-Medikaments Trental zwei Kranke in Ost-Berlin. In der Lungenklinik Lostau bei Magdeburg seien zwei Patienten gestorben, die mit dem von Sandoz entwickelten Blutdrucksenker Spirapril behandelt wurden - der Versuch wurde abgebrochen.
An der Universitätsklinik Charité ließ Boehringer-Mannheim demnach die als Dopingmittel missbrauchte Substanz Erythropoetin, auch "Epo" genannt, an 30 "unreifen Frühgeborenen" erproben, wie der "Spiegel" aus den Akten zitiert. Bayer habe Nimodipin, ein Mittel zur Verbesserung der Hirndurchblutung, unter anderem an Alkoholikern im akuten Delirium testen lassen. Diese konnten aufgrund ihres Zustandes nicht um Einwilligung gefragt werden.
Patienten wurden oft nicht über Risiken aufgeklärt
Die Hersteller boten demnach bis zu 800.000 D-Mark pro Studie an. Manager der West-Berliner Schering AG hätten der Charité sogar ein Testvolumen von jährlich sechs Millionen D-Mark angeboten. Führende Mediziner an der Charité waren sich laut Gesprächsprotokollen der Motive der Konzerne bewusst. So habe etwa Schering im Westen wohl "generelle ethische Probleme: der Mensch als Versuchskaninchen", sagte damals ein zuständiger Arzt der Charité. Die DDR riskiere, wegen der Versuche als "günstige Teststrecke" bekannt zu werden.
Patienten seien über Risiken und Nebenwirkungen oft im Unklaren gelassen worden. Noch im März 1989 habe sich Hoechst laut Sitzungsprotokoll einverstanden erklärt, "dass der Aufklärungstext beim Prüfer verbleibt und nicht dem Patienten ausgehändigt wird". Weiter heiße es in dem Protokoll: "Die Einwilligung des Patienten wird durch Unterschrift des behandelnden Arztes und eines Zeugen" dokumentiert.
Die betroffenen Unternehmen weisen laut "Spiegel" darauf hin, dass die Vorgänge weit zurücklägen. Sie betonen, dass klinische Tests prinzipiell nach strengen Vorschriften erfolgten. Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller sieht "bisher keine Verdachtsmomente, dass irgendetwas faul gewesen wäre", schreibt der "Spiegel".
Quelle: ntv.de, AFP