Aussteigerprogramm für Extremisten Westerwelle will Taliban locken
24.01.2010, 20:25 Uhr
Afghanische Taliban-Kämpfer: Die Bundesregierung will offenbar ein Aussteigerprogramm finanzieren.
(Foto: REUTERS)
Außenminister Westerwelle kündigt ein Aussteigerprogramm für Taliban an, das den Kämpfern eine neue wirtschaftliche Perspektive bieten soll. Westerwelle will diesen "völlig neuen Ansatz zur Wiedereingliederung" bei der Afghanistan-Konferenz in London vorstellen. Politiker aus Union und von den Grünen warnen allerdings davor, den Extremisten zu viele Zugeständnisse zu machen.
Wenige Tage vor der Afghanistan-Konferenz in London hat Außenminister Guido Westerwelle ein Aussteiger-Programm für Taliban-Kämpfer angekündigt. Viele Menschen hätten sich nicht aus fanatischer Überzeugung den Extremisten angeschlossen, sondern aus wirtschaftlicher Not, sagte Westerwelle der "Bild am Sonntag". Diesen Menschen und ihren Familien wolle die Regierung eine wirtschaftliche und soziale Perspektive bieten und dafür auch zusätzliches Geld in die Hand nehmen. "Darum wird es in London auch einen völlig neuen Ansatz zur Wiedereingliederung von Aufständischen in die Gesellschaft geben", erklärte der Vizekanzler.

Außenminister Westerwelle wird Deutschland bei der Afghanistan-Konferenz in London allein vertreten.
(Foto: dpa)
In der ARD äußerte sich Westerwelle zuversichtlich, dass die Afghanistankonferenz ein solches Aussteigerprogramm für gemäßigte Taliban beschließen wird. Zur Unterstützung dieses Neuanfangs in der Afghanistanpolitik werde auch in London ein Fonds eingerichtet, fügte Westerwelle hinzu.
Damit geht Westerwelle einen Vorschlag des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai ein, der Taliban-Krieger mit materiellen Anreizen zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes bewegen will. Auch Entwicklungsminister Dirk Niebel hatte dafür bereits Unterstützung signalisiert. "Ich kann mir vorstellen, dass sich die Bundesregierung an einem solchen Fonds beteiligen wird", sagte er dem Magazin "Focus". Es sei "wichtig, dass denjenigen Kämpfern, die bereit sind, der Gewalt abzuschwören und sich wieder auf den Boden der Verfassung zu stellen, eine Perspektive geboten wird", so Niebel.
Nach Ansicht des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, sind im Umgang mit den Taliban allerdings "zwei rote Linien" zu beachten: So müssten sie sich von jeder Zusammenarbeit mit Al-Kaida-Terroristen lossagen und die afghanische Verfassung akzeptieren. Auch die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Kerstin Müller, warnte: "Wir dürfen die Menschenrechte nicht für einen Frieden mit Kriegsfürsten wie Gulbuddin Hekmatyar oder Taliban-Führer Mullah Omar preisgeben."
Mehr deutsche Polizeiausbilder
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere forderte mit Blick auf die am Donnerstag beginnende Konferenz realistische Erwartungen für die Möglichkeiten in Afghanistan. In Afghanistan eine Demokratie nach westlichem Muster zu installieren werde nicht gelingen und müsse auch nicht gelingen, sagte de Maiziere dem Nachrichtenmagazin "Focus". "Es genügt, wenn es dort die Grundstruktur einer staatlichen Ordnung gibt, die wenigstens einen Kern der Grundrechte achtet." Die Bundesregierung werde in London unter anderem vorschlagen, die Ausbildung der afghanischen Polizei zu intensivieren. "Ich halte es für seriös, dass der Ausbau bis Ende 2012 zu schaffen ist."
De Maiziere geht davon aus, dass die Innenministerien von Bund und Ländern es gemeinsam schaffen könnten, die Hälfte der benötigten Kräfte auszubilden, also 15.000. Dazu müsse die Zahl der Ausbilder im deutsch-afghanischen Polizeiprojekt auf voraussichtlich 200 Beamte erhöht werden, das wären dreimal so viele wie im vergangenen Jahr. Außerdem werde Deutschland die Zahl der in der Polizeimission der Europäischen Union EUPOL in Afghanistan eingesetzten Beamten auf 60 verdoppeln. Allerdings brauche EUPOL "einen klareren Auftrag und eigene finanzielle Mittel", forderte de Maizière. Er sei mit EUPOL unzufrieden: "Da sitzen viele, die zu wenig bewirken, und das ist nicht vernünftig."
Strategieänderung
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat zudem Änderungen bei der Strategie der Bundeswehr in Afghanistan angekündigt. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", sagte er, die Soldaten sollten mehr "Präsenz in der Fläche" zeigen - "nicht um offensiv zu kämpfen, sondern um Ausbildung für die afghanische Armee und Polizei und Schutz für die afghanische Bevölkerung miteinander in Einklang zu bringen".
Es handle sich dabei um einen eigenen deutschen Ansatz, nicht um eine genaue Übernahme des US-Konzepts namens "Partnering". Dabei patrouillieren, kämpfen und leben die internationalen Truppen der Zeitung zufolge außerhalb gesicherter Feldlager Seite an Seite mit afghanischen Sicherheitskräften, was erhebliche Gefahren berge.
Guttenberg kündigte auch an, dass er noch vor der Afghanistan-Konferenz in London "eine konkrete Zahl für eine mögliche Aufstockung des deutschen Truppenanteils" vorstellen wolle. Eine solche Aufstockung stehe allerdings unter dem Vorbehalt der Ergebnisse der Londoner Konferenz.
Westerwelle signalisiert Zustimmung
Auch der Bundesaußenminister schloss eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents nicht aus. Er habe nie gesagt, dass es keinerlei Truppenaufstockung geben dürfe, sondern nur, dass es zunächst einmal um den zivilen Aufbau gehe, sagte Westerwelle in der ARD.
Es gehe vor allem um die "Umschichtung innerhalb des vorhandenen Bundeswehrkontingents", das heiße, "wie viele können mehr eingesetzt werden, für die Ausbildung, für das Training der Soldaten und der Polizisten in Afghanistan?" Ganz am Schluss könne es lediglich um die Frage gehen, ob aufgestockt werde.
Wahl wird wohl verschoben
Derweil zeichnet sich ab, dass die bislang am 22. Mai geplante Parlamentswahl in Afghanistan um vier Monate verschoben wird. Ein mit den Wahlen betrauter afghanischer Behördenvertreter sagte, die Unabhängige Wahlkommission werde den Wahltermin auf den 18. September verlegen. Ein internationaler Diplomat bestätigte den Termin, der voraussichtlich noch im Laufe des Tages auf einer Pressekonferenz der Wahlkommission offiziell bekanntgegeben werden sollte.
Ein späterer Wahltermin kommt westlichen Regierungen gelegen, die mehr Zeit für die Umsetzung von Reformen gefordert haben, damit sich Unregelmäßigkeiten wie bei der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr nicht wiederholen.
Quelle: ntv.de, tis/rts/dpa/AFP