Es geht nicht nur um den NSU Wie "Weiße Wölfe" Terror verbreiten
19.02.2015, 08:02 Uhr
"Wenn sie Knüppel hatten, zogen wir unsere Waffen" - auf Dortmunds Straßen machen Neonazis Jagd auf Minderheiten und Ausländer.
(Foto: David Schraven / Jan Feindt)
Die Behauptung, beim Nationalsozialistischen Untergrund handele es sich um Einzeltäter, ist falsch. Die Terroristen hatten Verbindungen etwa nach Dortmund. Eine beklemmende grafische Reportage beschreibt, wie das rechte Netzwerk funktioniert.
Die "Turner-Tagebücher" besitzen in rechtsextremen Kreisen Kultstatus. Das Buch, das in Wirklichkeit ein fiktiver Roman ist, beschreibt den bewaffneten Kampf einer rassistischen Untergrund-Gruppe gegen den Staat ("das System") und ethnische Minderheiten, was schließlich in einem weltweiten Rassenkrieg mündet.

Journalist David Schraven recherchiert in Dortmund-Dorstfeld, einer rechten Hochburg.
(Foto: David Schraven / Jan Feindt)
So wurde das Werk des US-Amerikaners William L. Pierce zum Vorbild für rechtsextreme Zellen weltweit. Diese folgen dem Buch wie einem Leitfaden: Sie sind nach dem Prinzip des "führerlosen Widerstands" organisiert, beschaffen sich Geld durch Banküberfälle und verbreiten Gewalt und Terror.
Auch im NSU-Prozess um Beate Zschäpe spielen die "Turner-Tagebücher" eine Rolle. Das BKA etwa sieht Parallelen zwischen den im Buch beschriebenen Taten und dem Vorgehen des Nationalsozialistischen Untergrunds, dem eine Mordserie und mehrere Anschläge in ganz Deutschland vorgeworfen werden. Ohne Zweifel kannten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Buch.
Was hat der NSU mit Dortmund zu tun?

"Taten statt Worte" - das ist das Prinzip rechter Zellen, die Terroranschläge verüben.
(Foto: David Schraven / Jan Feindt)
Dass man rechten Terror in Deutschland aber nicht auf den Nationalsozialistischen Untergrund beschränken darf, zeigt der Comic "Weiße Wölfe". Ausgehend vom NSU-Mord an Mehmet Kubasik am 4. April 2006 geht der Journalist David Schraven der Frage nach, warum die Rechtsterroristen ausgerechnet in Dortmund zuschlugen. War die Tat ein Signal für andere rechte Gruppen? Was hat der Thüringer NSU mit der Hochburg von Rechtsextremen in Nordrhein-Westfalen zu tun?
Von Schraven stammt der Text des Comics, der auf dem Titel als "grafische Reportage" bezeichnet wird. Die Zeichnungen stammen von Jan Feindt. Erschienen ist "Weiße Wölfe" bei Correctiv, einem gemeinnützigen Recherchebüro, das Schraven leitet. Dass er auf die Form der in Deutschland eher selten anzutreffenden Comicreportage zurückgreift, ist nicht überraschend. Mit "Kriegszeiten" hat er bereits einen Comic über den deutschen Afghanistan-Einsatz geschrieben.

"Es gab viele von uns. Auch wir wollten uns dem großen Netz anschließen", sagt der Protagonist.
(Foto: David Schraven / Jan Feindt)
Der Journalist sieht einen klaren Vorteil in der bildlichen Aufbereitung: "Eine Illustration kann Bilder zeigen, die es nicht gibt. Eine Illustration kann mehr und tiefere Erzählebenen transportieren, als dies ein Foto oder ein Text je könnte", sagte er kürzlich in einem Interview. Und tatsächlich können so Dinge bildlich und damit eindrücklicher dargestellt werden, die etwa aus der Erinnerung erzählt werden. Jedoch betonte er zugleich, dass alles so passiert sei, wie es im Buch gezeigt wird.
Teil eines größeren Netzwerks
"Weiße Wölfe" hat zwei Handlungsebenen, die sich abwechseln. Einerseits sucht Schraven in Dortmund nach Spuren des rechten Terrors. Er trifft eine Antifa-Aktivistin, Mitglieder der rechten Szene und schließlich ein ehemaliges Mitglied einer "Combat 18"-Gruppe, die sich nach dem Vorbild der "Turner-Tagebücher" gebildet hat. Auf einer zweiten, ausführlicheren Ebene wird die Biografie dieses Insiders erzählt. Der Mann kam als Jugendlicher in Kontakt mit der rechten Szene, radikalisierte sich und stieß auf die "Blood and Honour"-Bewegung sowie "Combat 18"-Gruppen. Schließlich trat er einer Terrorzelle bei und wurde damit Teil eines größeren Netzwerks. "Taten statt Worte. Anschläge und Terror", lauteten seine Ziele.
Je tiefer der Protagonist in die Szene eintaucht, desto beklemmender wird das Buch. Denn geschildert wird nicht nur die Radikalisierung einer Einzelperson, sondern auch, wie sich gewaltbereite Neonazis international vernetzen, Gruppen bilden, sich professionell ausbilden und mit Waffen handeln. So werden auch die Kontakte zwischen Dortmunder Rechtsradikalen und dem NSU deutlich, der eben keine isolierte Gruppe war, wie oft behauptet wird. Gleichzeitig zeigt das Buch, dass teilweise dieselben Personen, die diesem terroristischen Netz angehören, für den Verfassungsschutz tätig sind oder waren. Neu sind diese Erkenntnisse allerdings nicht, was dem Band die Brisanz nimmt. So überzeugt er eher durch die Konzentration der Informationen und deren grafische Aufbereitung.
Das Prinzip funktioniert weiter
Feindts dokumentarische Schwarz-Weiß-Bilder unterstützen die Fakten, die Schraven liefert. Sie entstanden teilweise nach Fotografien und wurden nur wenig verfremdet, was ihre Authentizität unterstreicht. Hinzu kommt das konsequente Aufbrechen der Panelstruktur, wodurch der Lesefluss geschickt gesteuert und an prägnanten Stellen verlangsamt wird. Bemerkenswert sind aber auch die nicht unumstrittene konsequente und detaillierte Darstellung von Szenesymbolen, von Szenekleidung und Verhaltensweisen sowie die Ausschnitte aus den "Turner-Tagebüchern", die jedes Kapitel einleiten und so wie Beweise der Aussagen des Buches wirken.
Und noch etwas fällt an der grafischen Gestaltung auf: Während die Seiten oft von Schwarz dominiert werden, sind die Gesichter mit klarem, dünnem Strich gezeichnet und weiß gehalten. Die Personen, von denen "Weiße Wölfe" handelt, wirken dadurch abstrakter, weniger fassbar und in gewisser Weise austauschbar. Denn es geht dem Buch nicht um den einen Protagonisten, sondern darum, das Prinzip aufzuzeigen, nach denen rechte Untergrundgruppen auch in Deutschland funktionieren. Es ist ein Prinzip, das trotz der Aufdeckung des NSU weiterbesteht und sich weiterentwickelt.
"Weiße Wölfe" kann beim Recherchenetzwerk Correctiv oder bei Amazon bestellt werden. Am 19. Februar um 19 Uhr wird in den Räumen von Correctiv eine Ausstellung zu dem Buch eröffnet - mehrere Galerien hatten zuvor eine Beteiligung aus Angst vor Anschlägen abgesagt. Zur Vernissage findet zudem eine Diskussionsrunde mit den beiden Autoren sowie Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung statt. Anmeldungen zu der Veranstaltung sind unter events@correctiv.org und dem Stichwort "Weiße Wölfe" möglich.
Quelle: ntv.de