Mappus-Herausforderer Kretschmann "Wir sind eine wertkonservative Partei"
05.10.2010, 11:39 Uhr
Er könne nicht garantieren, dass Stuttgart 21 in acht Monaten noch verhindert werden kann, sagt Winfried Kretschmann. "Wir wissen nur: Jetzt ist es möglich, deswegen kämpfen wir jetzt dafür, dass ein Moratorium gemacht wird".
(Foto: dapd)
Nach den Landtagswahlen am 27. März in Baden-Württemberg könnte der neue Ministerpräsident Winfried Kretschmann heißen. Der Spitzenkandidat der Grünen gilt auch für Konservative als wählbar. Die Grünen nennt er eine wertkonservative Partei, die CDU ist aus seiner Sicht "alles andere als konservativ". Volkspartei zu sein ist sein Ziel nicht: "Als Volkspartei kommt man ohne Populismus nicht aus. Das passt nicht zu uns. Aber stärker werden wollen wir natürlich."

Winfried Kretschmann ist Fraktionschef der Grünen im baden-württembergischen Landtag und Spitzenkandidat für die Wahl am 27. März 2011.
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n-tv.de: In der CDU ist derzeit viel von der Rolle der Konservativen die Rede. Gibt es einen Konservatismus bei den Grünen?
Winfried Kretschmann: Ja, selbstverständlich. Wir sind eine wertkonservative Partei, treten für die Bewahrung der Schöpfung ein. Die Natur zu erhalten und sie nicht zu zerstören ist ein durch und durch konservatives Anliegen.
Was unterscheidet Sie vom Konservatismus der Union?
Ich sehe nicht, was an der Union konservativ sein soll. Man merkt es ja an ihrer Debatte. Sie sind selbst gar nicht in der Lage, zu sagen, was konservativ ihrer Ansicht nach sein soll. Die CDU ist eine wirtschaftsnahe Partei und alles andere als konservativ.
Baden-Württemberg gilt als eher konservatives Bundesland - was man nicht zuletzt daran sieht, dass die CDU dort seit 1953 ohne Unterbrechung den Ministerpräsidenten stellt. Wie, glauben Sie, würde das funktionieren: ein grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg?
Die Leute in Baden-Württemberg sind nicht konservativer als sonstwo in der Republik. Die CDU regiert hier so lange, weil sie immer für wirtschaftliche Prosperität stand. Das wurde ihr als Kernkompetenz zugesprochen. Sie galt als Garant für Wohlstand - mit Konservatismus hat das nichts zu tun. Wenn wir an die Regierung kommen sollten, liegt es daran, dass unsere Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Die Leute sind der Ansicht, dass man heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann, dass man mit einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft, mit ressourcen- und energieschonenden Produkten und Dienstleistungen und mit regenerativen Energien den Wohlstand sichern und Arbeitsplätze schaffen kann. Das ist ein Grund für unseren Aufstieg.
Unter denen, die sagen, dass sie im März Grüne wählen wollen, sind mutmaßlich viele bisherige CDU-Wähler. Könnten Sie es diesen neuen Grünen-Wählern zumuten, wenn Sie nach der Wahl mit der SPD die Grundschulzeit verlängern oder die Realschule durch die Gesamtschule ersetzen?
Wir wollen die Grundschulzeit nicht verlängern, das war noch nie unser Programm. Wir wollen integrative Schulen dort ermöglichen, wo Schulgemeinschaften oder Kommunen das wollen - und das ist reichlich der Fall. Da geht es um Gemeinschaftsschulen bis zur neunten oder zehnten Klasse, in denen man verschiedene Schulabschlüsse erwerben kann. Ich wüsste nicht, was konservative CDU-Wähler dagegen haben sollten.
Mit Blick auf diese Wähler: Wäre es vielleicht rücksichtsvoller, als Juniorpartner mit der CDU zu regieren als mit dem Juniorpartner SPD?

Im Streit um Stuttgart 21 könnte die CDU-geführte Landesregierung siegen. Ob ihr das auch bei der Wahl gelingt, ist derzeit fraglich.
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Das entscheiden ja nicht wir selber. Wie stark man wird und mit wem man dann koalieren kann, das entscheiden die Wählerinnen und Wähler.
Im Moment sieht es danach aus, als könnte sich die SPD zwischen Grünen und CDU entscheiden.
Das kann sie auch. Ich denke allerdings, wenn sich die SPD für die CDU entscheiden würde, dann würde sie weiter dramatisch in der Wählergunst absinken. Das sollte sie sich gut überlegen. Wenn die Chance besteht, die CDU nach fast 60 Jahren Regierung in die Opposition zu schicken, und die Sozialdemokraten würden das nicht machen, dann würde ein Großteil ihrer Wähler denen das nicht verzeihen.
Sie selbst würden sich auf keinen Fall für die CDU entscheiden?
Ich würde auf keinen Fall "auf keinen Fall" sagen. Das geht in der Politik nicht. Wir schließen nichts aus, aber die gegenwärtigen Entwicklungen riechen gewiss nicht nach Schwarz-Grün.
Einige sehen die Grünen schon auf dem Weg zur Volkspartei. Was halten Sie davon?
Ich finde, dass der Begriff Volkspartei sich mehr und mehr überlebt. Auf uns trifft er nicht zu. Volkspartei heißt, den kurzfristigen Interessen der Leute sehr entgegenzukommen. Das ist nicht unser Projekt. Wir sind eine Partei für Nachhaltigkeit, für die langen Horizonte. Wir sind für den Rock da und nicht für das Hemd, das den Leuten bekanntlich näher ist. Als Volkspartei kommt man ohne Populismus nicht aus. Das passt nicht zu uns. Aber stärker werden wollen wir natürlich.
Unter Umständen werden die Grünen am Ende so stark, dass Sie Ministerpräsident werden. Macht Ihnen diese Vorstellung eher Spaß oder eher Angst?
Ich bleibe auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt.
Haben Sie Angst, dass Ihnen Stuttgart 21 nach der Wahl auf die Füße fallen könnte? Möglicherweise können Sie selbst aus der Regierung heraus den neuen Bahnhof nicht verhindern.
Die Angst habe ich nicht wirklich, weil wir den Leuten nicht versprechen werden, dass wir Stuttgart 21 sicher werden verhindern können. Wir wissen nämlich gar nicht, was in acht Monaten sein wird. Wir können den Leuten nur sagen, dass wir alles dafür tun, es zu verhindern. Wir können nicht garantieren, dass das in acht Monaten noch möglich ist. Wir wissen nur: Jetzt ist es möglich, deswegen kämpfen wir jetzt dafür, dass ein Moratorium gemacht wird, also ein Vergabe- und Baustopp. Dann müssen alle Fragen auf den Tisch, vor allem die Kostenfrage. Wenn man das zwei Monate gemacht hat, dann kann man sehen, was geht und was nicht.
Sie waren etwa 30 Jahre in der Opposition, da bleibt vermutlich einiges an Wünschen liegen. Was außer der Verhinderung von Stuttgart 21 wären denn Ihre großen Projekte, wenn Sie an die Regierung kommen?
Natürlich in erster Linie eine ökologische Modernisierung der Gesellschaft, in Wirtschaft, Verkehr, Dienstleistungen, auch im Konsumverhalten. Das geht von einer anderen Mobilität bis hin zu einem gentechnikfreien Baden-Württemberg. Es geht aber auch um eine Bildungspolitik, die als Überschrift individuelle Förderung hat und die soziale Gerechtigkeit als Kernthema definiert, denn in Baden-Württemberg ist der Bildungsaufstieg sehr stark abhängig vom Elternhaus. Das darf nicht sein. Der dritte Punkt wäre die Haushaltskonsolidierung. Wir dürfen ja ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen, müssen den Haushalt also strukturell sanieren und trotzdem investieren in wichtige Bereiche wie Bildung. Das ist ja auch einer der Gründe, warum wir gegen dieses Milliardengrab Stuttgart 21 sind.
Mit Winfried Kretschmann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de