Dossier

Leben nach dem Peak "Alles wird sich ändern"

Die Geschichte der Menschheit habe gezeigt, dass der Übergang von einem Energiesystem zu einem anderen alles verändere, sagt der Politologe Elmar Altvater. "Das wird auch jetzt so sein. Der Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energien wird einen dramatischen Gesellschaftsumbau zur Folge haben."

n-tv.de: Vor fünf Jahren haben Sie ein Buch über "Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen" geschrieben. Kann der Kapitalismus Peak Oil überstehen?

Elmar Altvater ist emeritierter Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Elmar Altvater ist emeritierter Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.

Elmar Altvater: Der Kapitalismus ist ein ziemlich flexibles System, er existierte bereits vor der massenhaften Nutzung der fossilen Energieträger. Der Wirtschaftshistoriker Fernand Braudel datiert den Beginn des Kapitalismus auf das Jahr 1492, auf den Beginn der großen Entdeckungen. Es war allerdings ein langsamerer Kapitalismus und es war ein nicht besonders effizienter Kapitalismus.

Das änderte sich mit der industriellen Revolution.

Es war eine industriell-fossile Revolution. Auf einmal hatte der Kapitalismus die Energieträger, die seiner Logik entsprachen - Öl und Kohle sind unabhängig von Zeit und Raum, man kann sie jederzeit verbrennen, ist nicht wie bei der Sonne auf Tages- und Jahreszeiten angewiesen. Standortentscheidungen kann man unabhängig von der Energieversorgung fällen, weil die Energieträger billig und leicht zu transportieren sind. Mit der Wasserkraft oder dem Wind war das nicht möglich. Und man kann beschleunigen, also die Produktivität der Arbeit steigern. Diese Produktivitätssteigerung ist verantwortlich für den von Adam Smith so gelobten "Wohlstand der Nationen" und dessen permanente Steigerung. Das ist es, was wir in den vergangenen zweihundert, zweihundertfünfzig Jahren erlebt haben. Wir sind dabei richtig glücklich geworden, wir lieben den Kapitalismus, wir lieben diesen Wohlstand. Doch jetzt müssen wir uns daran gewöhnen, dass es so nicht weitergeht, denn die fossilen Energieträger, auf denen der Kapitalismus beruht, gehen zur Neige. Und schlimmer noch: Die Verbrennungsprodukte sorgen für einen Klimawandel, der uns das Leben zur Hölle machen kann.

Übergänge dauern lange: Zu Beginn des Ölzeitalters wurde Treibstoff auch von Kutschen geliefert.

Übergänge dauern lange: Zu Beginn des Ölzeitalters wurde Treibstoff auch von Kutschen geliefert.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Was heißt das für den Kapitalismus?

Natürlich ist es möglich, dass nach diesem Kapitalismus, der auf fossilen Energieträgern beruht, ein anderer Kapitalismus entsteht, ein Kapitalismus, den wir noch gar nicht kennen. Vielleicht wird es noch Kapitalismus sein, vielleicht etwas anderes. Das wäre eine soziale Revolution. Was genau passieren wird, kann heute keiner wissen. Klar ist, dass wir in einer Übergangsphase leben. Wir müssen jetzt den Umstieg auf erneuerbare Energien organisieren. Damit wird sich unser Leben vollständig verändern: Es ist nicht das gleiche Auto und der gleiche Tank, in den wir Biosprit statt Benzin füllen. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen das gesamte Verkehrssystem umgestalten, die gesamte Gesellschaft umbauen. Und wir müssen sofort damit anfangen, denn das geht nicht von heute auf morgen.

Wird es ohne Einschränkungen gehen?

Einschränkungen beim Energieverbrauch wird es mit Sicherheit geben. Aber unter Umständen gewinnen wir ja auch einiges, gewinnen beispielsweise Natur zurück, die wir dabei sind zu zerstören. Das kann ja auch bedeuten, dass das Leben schöner wird.

"Wir müssen das gesamte Verkehrssystem umgestalten, die gesamte Gesellschaft umbauen. Und wir müssen sofort damit anfangen, denn das geht nicht von heute auf morgen."

"Wir müssen das gesamte Verkehrssystem umgestalten, die gesamte Gesellschaft umbauen. Und wir müssen sofort damit anfangen, denn das geht nicht von heute auf morgen."

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Sie haben von der Möglichkeit einer "sozialen Revolution" gesprochen. Jede Revolution braucht Träger. Wer soll das sein?

Es gibt die Umweltbewegung, soziale Bewegungen, es gibt sehr viele Menschen, die heute noch nicht politisch engagiert sind, die aber einsehen, dass sich etwas ändern muss. Überall in der Welt gibt es Experimente: mit erneuerbarer Energie, mit solidarischen Wirtschaftsformen, genossenschaftlichen Wirtschaftsformen. Das sind Millionen, vielleicht sogar Milliarden Menschen, die schon heute in diese Richtung experimentieren.

Welche Rolle spielt die normale Politik in diesem Prozess?

Was Sie als "normale Politik" bezeichnen, wird dann nicht mehr normal sein. Wenn man kein Öl mehr hat, kann man keine Beschleunigungspolitik machen. Ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird lächerlich wirken, wenn uns die fossilen Energieträger ausgehen. Wir werden eher ein Wachstumsentschleunigungsgesetz brauchen. Die normale Politik wird sich ändern müssen, oder sie wird keine Rolle mehr spielen.

Mit Elmar Altvater sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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