Erfolg durch Islamophobie Ein deutscher Wilders vorstellbar?
20.02.2010, 09:39 Uhr
Geert Wilders ist Chef und einziges Mitglied der Partei für die Freiheit (PVV).
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die Niederlande stehen vor Neuwahlen, mit aggressiven Sprüchen gegen den Islam und gegen Moslems hat Geert Wilders seine Ein-Mann-Partei dort zur möglicherweise bald stärksten Kraft gemacht. Auch in Deutschland gibt es Parteien, die mit radikaler Islam-Kritik punkten wollen. Ihr erklärtes Vorbild ist Geert Wilders. Woher kommt sein Erfolg - und ist ein deutscher Wilders vorstellbar? Ein Interview mit dem Niederlande-Experten Friso Wielenga, das vor der Nachricht vom Regierungsbruch entstanden ist.

Prof. Dr. Friso Wielenga ist Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster.
n-tv.de: Bevor wir über Geert Wilders sprechen, würde ich Ihnen gern ein paar Fragen zu Pim Fortuyn stellen, denn mit ihm fing ja alles an.
Friso Wielenga: Aber auch Fortuyn hat eine Vorgeschichte - die "Entsäulung" der niederländischen Gesellschaft, in Deutschland würde man sagen, die Auflösung der traditionellen Milieus, das Ende der engen Bindung an eine Partei, die sich für jeweils nur ein Milieu zuständig fühlt. Dieser Prozess ist in den Niederlanden in den 90er Jahren zu Ende gegangen, wir hatten schon damals mehr als 50 Prozent Wechselwähler. Gleichzeitig war es das erste Mal seit 1918, dass es in den Niederlanden eine Regierung ohne Beteiligung von Christdemokraten gab.
Ministerpräsident von 1994 bis 2002 war der Sozialdemokrat Wim Kok.
Kok regierte mit zwei liberalen Parteien, der konservativ-liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) und den linksliberalen D66. Diese Regierung war durchaus erfolgreich - das war die Zeit des Poldermodells, des Wirtschaftswachstums und dahinschmelzender Defizite. Aber in der politischen Mitte wurde es sehr voll: Dass die Sozialdemokraten mit den Rechtsliberalen koalieren konnten, zeigte, dass es kaum noch Unterschiede zwischen den Parteien gab. Pim Fortuyn bot eine Alternative zu der übervollen politischen Mitte.
Fortuyns großes Thema war der Islam.
Zunächst einmal war sein Erfolg darauf zurückzuführen, dass er als schillernde Figur die Polarisierung und auch die Spannung in die Politik zurückbrachte. Er konnte zudem ein Thema besetzen, das bis dahin tabuisiert worden war, nämlich die Tatsache, dass es in der Integrationspolitik der Niederlande nicht so viele Erfolge gab, wie wir geglaubt hatten. Darauf konnte er seine polarisierende Politik aufbauen. Er machte aber auch dankbar davon Gebrauch, dass er von den anderen Parteien beiseite geschoben wurde als ein Rechtsextremist, der er nie war.

Pim Fortuyn wurde am 6. Mai 2002 von einem radikalen Tierschützer ermordet.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Ein Missverständnis?
Pim Fortuyn brach ein Tabu. Bis dahin war es in den Niederlanden so, dass man häufig in eine rechtsextreme Ecke gedrängt wurde, wenn man die Migrationspolitik der Regierung kritisierte und auf konkrete Probleme hinwies - zum Beispiel, dass es unter Jugendlichen mit marokkanischem Hintergrund einen hohen Prozentsatz an Kriminalität gab. Es gehörte sich einfach nicht, diese Dinge auszusprechen.
Ist das heute noch so?
Das ist heute nicht mehr so, und das ist der Erfolg von Pim Fortuyn. Heute befürworten alle Parteien in den Niederlanden eine strengere Integrationspolitik. Mittlerweile wurden, auch mit Unterstützung der Sozialdemokraten, Einbürgerungstests eingeführt. Man guckt nicht mehr weg, wenn es in bestimmten Vierteln Probleme gibt. Man tut nicht mehr so, als hätten die Migranten keine Verantwortung für ihr Schicksal.
Wie sehen Sie die Situation in Deutschland im Vergleich zu den Niederlanden? Als Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin sagte, er müsse "niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert", da hagelte es Kritik.
Ich glaube dennoch, dass die Debatte in Deutschland viel entspannter ist als in den Niederlanden. Ich habe eigentlich nicht den Eindruck, dass man hierzulande nicht sagen darf, dass es Probleme bei der Integration gibt. Die Debatte um Sarrazin war etwas anderes. Die Art und Weise, wie er seine Kritik formulierte, ging eben über das Vertretbare hinaus, es war kein Tabubruch, sondern nur eine Provokation.

Geert Wilders steht derzeit in Amsterdam wegen Volksverhetzung vor Gericht. Zum Auftakt des Prozesses am 20. Januar wies er alle Vorwürfe zurück: "Ich glaube mit Herz und Seele, dass unsere Freiheit bedroht ist."
(Foto: REUTERS)
Kann man sagen, dass die Integration in Deutschland nicht unbedingt besser läuft als in den Niederlanden, aber die Wahrnehmung realistischer ist?
Zum Teil ist die Integration schon besser gelungen. Zum Beispiel waren und sind die Arbeitslosenzahlen unter Migranten - in den Niederlanden werden sie "Allochtonen" genannt, also Menschen fremder Herkunft - viel höher als in Deutschland.
Geert Wilders will nach den nächsten Wahlen Ministerpräsident werden. Umfragen zufolge könnte seine Partei tatsächlich stärkste Kraft in der Zweiten Kammer werden.
Solche Umfragen sind nichts Neues, das gab es schon bei Pim Fortuyn, das gab es auch bei Rita Verdonk und ihrer populistischen Bewegung "Stolz auf die Niederlande" - sie sitzt zwar noch im Parlament, aber von ihr hört man jetzt nicht mehr so viel.
Wer wählt Wilders, woher kommen seine Anhänger?
Es gibt in den Niederlanden ein Wählerpotenzial von bis zu 20 Prozent, die für derartige Töne empfänglich sind. Da sind viele ehemalige Nichtwähler dabei, viele Leute, die in Vierteln wohnen, wo die Probleme der Integration am größten sind, in Rotterdam, in Den Haag.
Die Benachteiligten?
Nicht nur. Auch enttäuschte Sozialdemokraten, enttäuschte Rechtsliberale - Leute, die das Vertrauen in die Politik verloren haben.
Kann man Wilders als Fortuyns Erben sehen?
Mehrere Gruppierungen haben sein Erbe beansprucht, darunter die Parteien von Verdonk und Wilders. Wilders ist viel radikaler als Fortuyn. Wilders sagt, der Koran sollte verboten werden, es sei ein faschistisches Buch wie Hitlers "Mein Kampf". Wilders hat vorgeschlagen, Millionen von Muslimen aus Europa auszuweisen, erst kürzlich hat er eine Steuer auf Kopftücher gefordert. Fortuyn wollte dagegen, ins Deutsche übersetzt, dass Migranten sich an der niederländischen Leitkultur orientieren. Fortuyn war sicherlich auch islamkritisch, schon weil er selbst als offen lebender Homosexueller auf Aussagen eines Imams aus Rotterdam reagierte, der gesagt hatte, man sollte Homosexualität mit dem Tode bestrafen. Dennoch ist Wilders' Haltung zum Islam viel aggressiver.
Kopiert Geert Wilders den Stil von Pim Fortuyn? Die gefärbten Haare, das leicht skurrile Auftreten …
Das glaube ich nicht, denn Wilders sieht schon seit Jahren so aus. Und auch sein Stil ist radikaler als Fortuyns. Wilders benutzt Begriffe, die es vor einigen Jahren in der Politik noch nicht gab. Die Linie der Regierung bezeichnet er als "Hosenscheißer-Politik", Kopftücher sind für ihn "Kopflumpen", marokkanische Kriminelle sind für ihn "Straßenterroristen", die Niederländischen Antillen eine "Brutstätte von Gaunern", seine Parlamentskollegen nennt er "total bekloppt". Wilders macht eine Politik gegen die politische Elite, macht sehr auf Anti-Den-Haag, obwohl er natürlich selbst ein Produkt von Den Haag ist. Fortuyn kam wirklich von außen. Wilders kommt von innen.
Ist denn vorstellbar, dass andere Parteien Wilders zum Ministerpräsidenten wählen?
Kurz nach Fortuyns Ermordung im Mai 2002 fanden Wahlen statt, seine Partei kam auf 17 Prozent und wurde in die Regierung aufgenommen. Ich kann mir schon vorstellen, dass ein derartiger Integrationsversuch noch einmal möglich wäre. Ich glaube allerdings nicht, dass es eine parlamentarische Mehrheit für einen Ministerpräsidenten Wilders geben würde. Die Christdemokraten haben zwar in den vergangenen Monaten ein bisschen herumgedruckst, ob sie mit Wilders in eine Regierung gehen würden, aber ihn zum Ministerpräsidenten zu wählen, das ist doch eine andere Frage.
Ist Wilders ein Rechtsextremer?
Ich würde ihn eher einen aggressiven Populisten nennen. Er grenzt sich klar von rechtsextremen Positionen ab, wenn das auch im politischen Alltag keine große Rolle spielt, da es in den Niederlanden keine rechtsextremen Parteien gibt. Es gab in den 80er, 90er Jahren so eine Partei, aber die ist in die politische Bedeutungslosigkeit verschwunden. Möglicherweise sind unter seinen Wählern ehemalige Anhänger dieser Partei, denn er appelliert natürlich schon an ausländerfeindliche Ressentiments. Aber er möchte ausdrücklich nicht auf einer Linie gesehen werden mit dem Belgier Filip Dewinter und dessen Vlaams Belang. Es ist für ihn eher eine Bedrohung, wenn er mit Rechtsextremisten oder mit ehemaligen Rechtsextremisten assoziiert würde. Wenn Wilders Kontakte zu Parteien wie der NPD oder der DVU in Deutschland aufnehmen würde, würde ihn das in den Niederlanden viele Wählerstimmen kosten.

Die Partei "Pro Köln" setzt auf radikale Islam-Kritik - im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht wird sie im Kapitel zum Rechtsextremismus geführt.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Glauben Sie, dass eine Partei wie Wilders' "Partei für die Freiheit" (PVV) in Deutschland Erfolg haben könnte - eine antiislamische, rechtsliberale, populistische Partei?
In den Niederlanden ist die Islamophobie in den vergangenen sieben Jahren ziemlich stark geworden, in Deutschland sehe ich das bislang nicht. Vor allem gibt es aber strukturelle Gründe, die gegen einen Erfolg einer deutschen PVV sprechen. Die Auflösung der traditionellen Milieus und die Erosion der Volksparteien gibt es natürlich auch in Deutschland, aber dieser Prozess ist längst nicht so weit fortgeschritten wie in den Niederlanden. Laut Umfragen gibt es in den Niederlanden derzeit vier Parteien zwischen 15 und 20 Prozent: die PVV, die Christdemokraten, die Rechtsliberalen und die Linksliberalen. Drei Parteien liegen zwischen 10 und 15 Prozent, das sind die Sozialdemokraten, die Grünen und die Sozialisten. Das alte Kräfteverhältnis, bei dem es immer zwei große Parteien zwischen 25 und 30 Prozent gab, existiert nicht mehr. Die Wählerbewegungen sind extrem: Die Linksliberalen etwa lagen bei den letzten Wahlen bei 2 Prozent, in den Umfragen kommen sie jetzt auf 16 Prozent. Wenn jetzt Wahlen wären, würden die Sozialdemokraten halbiert, von 21,2 im Jahr 2006 auf 11 Prozent. Es ist wie bei einem Jojo. Von so unberechenbaren Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt.
Ein Potenzial für Populisten gibt es hier auch.
Ja, aber schon die Größe des Landes und die föderale Struktur wirken als innere Bremse. Denken Sie an Schill: Der war in Hamburg erfolgreich, aber auf Bundesebene hatte er keine Chance. Das liegt auch an der Fünf-Prozent-Klausel, die wir in den Niederlanden nicht haben. In den Niederlanden gab es in den vergangenen 50 Jahren immer wieder neue Parteien. Die Wahlhürde liegt bei 0,67 Prozent, da kommt man ziemlich schnell ins Parlament, ist aber auch schnell wieder draußen, wenn man keine Unterstützung mehr findet.
In Deutschland zerlegen sich populistische Bewegungen oft selbst - auch das hat man bei Schill gesehen.
Wilders verhindert das, vorläufig auf jeden Fall, indem er das einzige Mitglied seiner Partei ist. Nach dem deutschen Parteiengesetz wäre so eine Konstruktion gar nicht möglich. Man weiß natürlich nie: Vor 30 Jahren war es ein revolutionäres Ereignis, als die Grünen in den Bundestag einzogen, jetzt gewöhnt man sich an das Fünf-Parteien-System. Heinrich Heine wird - fälschlicherweise - der Spruch zugeschrieben: "Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich in die Niederlande, dort geschieht alles 50 Jahre später." Vielleicht ist es jetzt umgekehrt, dass in den Niederlanden etwas passiert ist, was sich in anderen Ländern künftig auch zeigen könnte, nämlich eine völlige Auflösung der traditionellen Parteienlandschaft, größere Möglichkeiten für neue Gruppierungen und eine stärkere Anfälligkeit für populistische Töne.
Mit Friso Wielenga sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de