Person der Woche Ja, Frau Wagenknecht, gründen Sie Ihre Partei!
07.03.2023, 09:46 Uhr

Wagenknechts Zeit bei der Linken geht zu Ende. Macht sie was eigenes?
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Bruch zwischen Sahra Wagenknecht und der Linken-Spitze ist nicht mehr zu kitten: Die frühere Fraktionschefin hält die Linke - völlig zutreffend - für gescheitert. Sie will nicht mehr mitmachen und erwägt die Gründung einer neuen Partei. Das ist aus drei Gründen eine gute Idee.
Sahra Wagenknecht und die Parteispitze der Linken werden keine Freunde mehr. Wagenknecht sieht ihre eigenen Genossen im "traurigen Niedergang der einstigen Friedenspartei". Die Unterschiede zwischen ihr und dem Parteivorstand seien "mittlerweile so groß, dass die Vorstellung, wie das noch einmal zusammenfinden soll, meine Fantasie überfordert". Sie beendet geradezu offiziell ihre Partei-Karriere mit dem Satz: "Eine erneute Kandidatur für die Linke schließe ich aus."
Die Linken-Parteichefin Janine Wissler kann den Fehdehandschuh nur hilflos liegen lassen und nennt "das Kokettieren mit neuen Parteien" nicht hilfreich. Die Linken-Vizevorsitzende Katina Schubert wirft Wagenknecht vor, diese arbeite "schon lange auf eigene Rechnung" und gegen die Partei: "Reisende soll man nicht aufhalten." Doch viele - auch eine Reihe von Bundestagsabgeordneten - könnten Wagenknecht folgen, der Partei droht die historische Spaltung. Selbst der frühere Parteichef Klaus Ernst zeigt sich auf Twitter demonstrativ mit Wagenknecht und kommentiert: "Es ist schade, dass meine Partei in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwindet."
Von der Parteibasis bekommt Wagenknecht so viel Zuspruch, dass die Gründung einer neuen Partei immer wahrscheinlicher wird. Die Europawahl im kommenden Jahr könnte ihre Premiere werden, denn bei der Europawahl gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Insbesondere das von Wagenknecht mit verfasste und beworbene "Manifest für Frieden" in der Ukraine mobilisiert enorm.
Sollte Wagenknecht tatsächlich eine neue, eigene Partei gründen, dann wäre das aus drei Gründen eine gute Idee.
DDR-Partei endlich vor dem Aus
Erstens wäre es ein guter Dienst an der politischen Kultur Deutschlands, wenn die Partei "Die Linke" endlich an ihr Ende gelangt. Es handelt sich bei ihr schließlich nicht um irgendeine linke Partei, sondern um die mehrfach umbenannte SED. Diese Partei war die staatstragende Säule der DDR-Diktatur. Sie ist keine normale Institution wie andere, sie ist ein moralischer Daueraffront für die Demokratie.
Die friedliche Revolution von 1989 gehört zu den besten Stunden der deutschen Geschichte. Das Volk entledigte sich mutig und friedlich einer brutalen, sozialistischen Unterdrückerpartei - und verzichtete sogar auf Rache. Die SED-PDS-Linkspartei überlebte so und wurde ein Verbund aus Stasi-Seilschaften, Mauerbauern und Neo-Sozialisten. Ihre schiere Existenz wirkt wie ein bitterer, letzter Mini-Triumph der DDR. Der Gründer und Anführer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP), der späteren SPD, Stephan Hilsberg, beschreibt das moralische Dilemma mit dieser Partei so: "Niemals wird diese Linke mit ihrer Verantwortung für Stalinismus, Mauer, Stacheldraht, politisches Strafrecht, Diktatur und Millionen an Flüchtlingen in Deutschland eine normale Partei werden. Sich mit ihr einzulassen, wird immer ein heißes Eisen bleiben." Sollte Wagenknecht diese Linke nun 35 Jahre nach dem Mauerfall endlich klein spalten und eine neue, von Stasi-Vergangenheit unbelastete Partei gründen, so wäre das für die moralische Integrität der Bundesrepublik eine überfällige Befreiung.
Schieres Politainment
Zweitens ist Sahra Wagenknecht ein Faszinosum der Berliner Republik. Sie ist eine Dauer-Dissidentin und lästige Linksextreme, aber eben auch eine, die ihre Finger in allerlei offene Wunden legt. Sie spricht Klartext, verfügt über eine kristalline Intelligenz und Millionen hören ihr auch deshalb zu, weil sie das Publikum mit klassischen Tugenden von Unbeugsamkeit und Haltung in Bann schlagen kann wie wenige Politiker dieser Generation.
Wagenknecht wirkt einerseits wie die Gouvernante eines roten Schlossinternats mit strengem Blick und geradem Rücken, andererseits wie eine ernste, belehrende Realschulrektorin aus den sechziger Jahren mit erhobenem Zeigefinger. Ihr Erfolg im Publikum hat etwas von Retro-Mode. Ihre Vorstellung vom Sozialismus ist längst aus der Zeit gefallen, in Wahrheit eine grauenhafte politische Irrung des 20. Jahrhunderts. Doch der Habitus, mit dem sie ihre eisern-linken Positionen vorträgt, wirkt vertraut wie eine alte Melodie. Wagenknecht ist für die Berliner Republik schieres Politainment, unterhaltsam wie ein Oldie-Remix bei roten Sonnenuntergängen.
Demokratie braucht breiten Meinungskorridor
Drittens zeigt Wagenknechts "Manifest für den Frieden", dass eine Demokratie auch in Kriegszeiten Widerspruch und Debatte braucht. Wagenknecht entsagt hier wie schon in der Pandemie-Debatte einer allgemeinen politischen Korrektheit, die auf Dauer eine lebendige Demokratie aushöhlt und untergräbt. Sie mag Unrecht haben und falsche Argumente vorbringen. Doch die Falsifizierung in der Demokratie funktioniert nur mit offener Debatte und weiten Meinungskorridoren. In einer Republik, die nach Flüchtlingskrise, Pandemie, Euro-Inflation und Ukraine-Krieg ein Stück weit verlernt hat, unterschiedliche Positionen und Argumente offen auszutauschen und nicht bloß die jeweilige Regierungsposition kollektiv zu besingen und jede Abweichung zu diffamieren, sind die Wagenknechts - von links wie rechts - das nötige Salz in der Suppe.
Wagenknecht wettert so leidenschaftlich wie früher viele Politiker, als es noch Mut zur Meinung gab und nicht bloß Umfragen-Stimmungs-Opportunismus, als es noch offene Debatte gab und nicht bloß Bevormundungs-Wokeness, als es noch Figuren wie Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß gab, die Kante zeigten und nicht alle geschmeidig auf einem Quadratmeter politisch korrekter Mitte Menuette der medialen Selbstbestätigung tanzten. Knarzig-Linke, Geifer-Ökologisten und Knurrend-Rechte mögen uns in der Mehrheitsmitte unappetitlich sein, sie mögen unsere Meinungen selten teilen, sie mögen uns aufregen mit ihren einseitigen Positionen. Aber wir sollten sie nicht ausgrenzen und mundtot machen. Wenn nämlich alle gleich denken, wird zu wenig gedacht. Die Freiheit einer Republik ist immer die Freiheit des Andersdenkenden - auch die von Sahra Wagenknecht.
Also Frau Wagenknecht: Gründen Sie ihre Partei und schwadronieren Sie Ihre Irrungen über einen guten Sozialismus, den es ebenso wenig gibt wie einen guten Putin. Ich werde Sie niemals wählen, aber ich werde Ihnen zuhören.
Quelle: ntv.de