Person der Woche Japan wählt: Atomkraft, ja bitte!
16.12.2014, 10:56 Uhr

Shinzo Abe will die japanischen Atommeiler wieder hochfahren.
(Foto: REUTERS)
Ausgerechnet in Japan gewinnt mit Shinzo Abe ein Atomkraft-Verfechter die Wahl. Den Atomausstieg könne man sich nicht leisten, sagt er - und folgt einem neuen globalen Trend.
Japans Regierungschef Shinzo Abe hat die Parlamentswahlen nicht nur gewonnen - er triumphiert in allen Landesteilen. Die Koalition unter Abes Liberal-Demokratischer Partei (LDP) erringt zwei Drittel der Sitze im Parlament. Damit gewinnt zugleich die Atomindustrie in Japan. Denn Abe ist vehementer Atomkraft-Befürworter und hat angekündigt, dass er bei einem Wahlsieg die Rückkehr seines Landes zur Kernenergie vorantreiben werde. Unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima hatte die Vorgängerregierung den Ausstieg beschlossen, seit dem Unglück stehen alle 48 Atomkraftwerke still.
In Tokio wird nun erwartet, dass bereits in wenigen Wochen die ersten Meiler wieder hochgefahren werden. Es soll mit den beiden Reaktoren im südjapanischen Satsumasendai (Präfektur Kagoshima) losgehen, dann werden die Reaktoren im zentraljapanischen Takahama (Präfektur Fukui) folgen. Die Analysten von Bloomberg-Japan erwarten, dass Abe bis 2018 mindestens 25 Atomkraftwerke wieder ans Netz lassen wird.
Der Premierminister hatte noch am Donnerstag auf einer Wahlkampfrede in Kagoshima erklärt, dass Atomkraft wichtig sei, "um Arbeitsplätze zu schützen". Japan brauche eine stabile und kostengünstige Energieversorgung. Tatsächlich hat sich die japanische Handelsbilanz nach Abschaltung der Kernkraftwerke deutlich verschlechtert, weil man massiv Flüssiggas und Öl importieren musste, um die Energieversorgung zu gewährleisten. "Japans Energierechnung ist um viele Milliarden teurer geworden", erklären Regierungsvertreter. Das könne man sich auf Dauer nicht leisten.
Atomkraftwerke für den Klimaschutz
Doch neuerdings wird ein weiteres Argument für die Rückkehr zur Atomenergie vorgebracht: "Wir brauchen die Atomkraft, um unsere Klimaziele zu erreichen", sagt Masami Hasegawa, ein hochrangiger Sprecher des japanischen Industrieverbandes. Mit Öl- und Kohlekraftwerken steige der Kohlendioxidausstoß, Atomkraftwerke seien dagegen "wesentlich umweltfreundlicher".
Für den Wahlsieger Abe ist die Rückkehr zur Atomkraft ein Schlüssel seiner Strategie zur Wiedergewinnung von Japans wirtschaftlicher Kraft. Denn Abes größtes Vorhaben, bekannt unter dem Schlagwort "Abenomics", ist bislang nicht sonderlich erfolgreich: Mit milliardenschweren Ausgaben-Programmen, hoher Staatsverschuldung und einer ultralockeren Geldpolitik wollte er Japan aus der Stagnation holen. Bislang mit mäßigem Erfolg. Die Staatsverschuldung Japans ist inzwischen die höchste unter allen Industriestaaten, so dass die US-Ratingagentur Moody's Japans Bonität kürzlich herabstufte. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im April traf die Verbraucher, die Wirtschaft rutschte erneut in eine Rezession. Nun soll die Rückkehr zur Atomenergie dem Land einen Wachstumsimpuls bescheren.
"Er wird in der Atomfrage keinen großen Widerstand befürchten müssen", kommentieren Analysten die Nachwahl-Situation. Abe sei nach dem Wahlsieg so mächtig wie seit langem kein Premierminister mehr in Japan. Er stammt aus einer Politiker-Dynastie, neben denen die Kennedys wie wahre Anfänger aussehen. Sein Vater Shintaro Abe war Außenminister und mächtiger Parteipolitiker der LDP, der eine Großvater Kan Abe war Parlamentsabgeordneter, der andere Nobusuke Kishi gar Parteivorsitzender und Premierminister. Auch sein Großonkel Eisaki Satz schaffte es bis zum Premierminister. Selbst der Ururgroßvater war ein mächtiger General. Kurzum: Dieser Familie glaubt man, wenn sie die Atomkraftwerke wieder laufen lassen will, das sei im besten Interesse Japans.
Bald 500 Akw weltweit
Atomkraft-Gegner rund um den Globus sind dagegen entsetzt, dass ausgerechnet im Land des Fukushima-Gaus nun die Atomkraft zum großen Comeback ansetzt. Doch in Wahrheit folgt Japan nur einem verblüffenden globalen Trend. Keine vier Jahre nach der Katastrophe meldet die Internationale Atomenergiebehörde IAEA: Es gibt einen weltweiten Boom der Kernenergie. Nicht weniger als 72 neue Atomkraftwerke sind derzeit im Bau. Damit wird die magische Marke von 500 Kernkraftwerken bald überschritten.
Vor allem die großen BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) setzen massiv auf Atomenergie. In China sind derzeit 28 Kernkraftwerke im Bau. Russland hat mit der Errichtung von zehn neuen Atomkraftwerken begonnen, in Indien werden bald sechs neue Meiler installiert sein.
Doch nicht nur die aufstrebenden Wirtschaftsgroßmächte investieren massiv, immer mehr Länder entscheiden sich für den Neu-Einstieg, darunter die Türkei, Polen, Bangladesch, Ägypten, Jordanien, Nigeria und Vietnam. Selbst die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit dem Bau eines Atomkraftwerks begonnen, ebenso Argentinien, Weißrussland und Finnland. Auch die großen Bestände in Frankreich und den USA werden ausgeweitet. Der IAEA-Generaldirektor resümiert: "Die Kernenergie ist wieder ein globaler Wachstumsmarkt."
China will Technologie exportieren
Als gäbe es eine konzentrierte globale Aktion verkünden die drei Großmächte Indien, China und Russland rund um die Wahl in Japan ihrerseits neue Atompläne. Der indische Premierminister Narendra Modi will in Kooperation mit Russland "mindestens zehn neue Atomkraftwerke bauen". Das Abkommen sei, nach Angaben aus Moskau, so angelegt, dass man fortan auch gemeinsam mit Indien "Drittmärkte erobern" wolle.
China wiederum, dessen Nuklearprogramm ohnedies auf Hochtouren läuft, drängt jetzt ebenfalls in den Export. Das chinesische Regierungsblatt "China Daily" berichtet, es sei die Entscheidung gefallen, bei der Ausschreibung der beiden nächsten britischen Kernkraftwerke mitzubieten. "Der Export von einem Kernkraftwerk ist mehr wert als der Verkauf von einer Million Personenwagen im Ausland", begründet der Chef der National Energy Administration Zahn Guabao das besondere Interesse Chinas am Kernkraftwerks-Export.
Nur in Japan dürften die Chinesen kein Bein auf den Boden bekommen. Denn Abes Beziehungen zu Peking sind denkbar schlecht und er sieht die japanische Atomindustrie ohnedies gut gerüstet, die neue Atomstrategie Nippons alleine umzusetzen. Von Fukushima redet niemand mehr. Stattdessen werden die Abenomics nun nuklear.
Quelle: ntv.de