Pressestimmen

Meldegesetz fällt Koalition auf die Füße "Dummdreiste Fußballausrede"

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In nur 57 Sekunden wird das neue Meldegesetz durch den Bundestag gepaukt. Danach dürfen Meldeämter personenbezogene Daten zu Werbezwecken oder für den Adresshandel an Unternehmen weitergeben, sofern der Bürger nicht aktiv Widerspruch einlegt. Nun hagelt es Kritik von allen Seiten. Auch die Presse ist empört - sowohl über das Gesetz als auch die Art und Weise, wie es den Bundestag passiert.

Die Neue Presse Hannover wundert sich vor allem über die schwarz-gelbe Koalition, die nun zurückrudert: "Doch mindestens so kurios wie das Zustandekommen des Gesetzes ist die jetzige Debatte. Da distanziert sich nicht nur die Regierung, sondern insbesondere auch die CSU. Auf deren Drängen aber soll die Lockerung erst ins Gesetz gekommen sein. Doch nun, da die Öffentlichkeit tobt, ist die CSU ratzfatz voll auf Seiten der Bürger. Da kündigt der Herr Seehofer als quasi oberster Datenschützer Widerspruch an, so wie der Bürger Widerspruch gegen die Weitergabe seiner Daten einlegen kann. Politik in Zeiten der Widersprüche. Widerspruch ist ja überhaupt ein Generalprinzip der CSU. Die Partei ist ja im Grunde ein Widerspruch in sich: konservativ und klerikal und irgendwie sozialdemokratisch - sozusagen die Quadratur der politischen Dreifaltigkeit."

Können Einwohnermeldeämter bald Daten für Werbezwecke weitergeben?

Können Einwohnermeldeämter bald Daten für Werbezwecke weitergeben?

(Foto: dapd)

"Die Entscheidung fällt schwer, worüber man sich mehr aufregen sollte: das groteske Gesetz oder die dummdreiste Fußballausrede", meint der Mannheimer Morgen. "Mag ja sein, dass im Nachhinein viele Abgeordnete lieber im Plenum gewesen wären, als Mario Balotellis Tore zu sehen. Nur hätten sie den Schaden genauso wenig verhindert wie die deutschen Abwehrspieler. Die Feinheiten des Melderechts sind etwas für Fachpolitiker, allein die müssen bei der Verabschiedung dabei sein. Dass dies in der dritten Lesung ohne Aussprache geschieht, ist auch nicht ungewöhnlich. Ausführliche Debatten und das Feilen am Entwurf haben im zuständigen Innenausschuss stattgefunden."

"Hoffentlich war es tatsächlich nur ein Fehler und schlampiges Arbeiten", schreibt der Donaukurier. "Falls Union und FDP nämlich aus Überzeugung für das neue Gesetz gestimmt haben, müssten sich die Bürger große Sorgen um ihre persönlichen Daten machen. Wie könnte eine Regierung, die selbst damit Profit macht, von Facebook, Google und Co. noch Datenschutz fordern? Ist das neue Meldegesetz lediglich ein Fehler, so ist die Situation zwar peinlich. Aber sie kann bewältigt werden."

Die Ludwigsburger Kreiszeitung erhofft sich nun eine kritische Diskussion. "Wenn sich die Regierung ganz offiziell wünscht, ihr nun veränderter Entwurf zum Meldegesetz möge in der Länderkammer scheitern, dann ahnt man, dass etwas gehörig schief gelaufen sein muss, kurzum, die linke Hand nicht wusste, was die rechte tat. Diesmal ist das freilich zum Vorteil des Bürgers. Nach dem ganzen Tohuwabohu kann nur noch die für ihn beste Lösung in Frage kommen, nämlich die Einwilligungslösung bei der möglichen Weitergabe seiner persönlichen Daten. Alles andere ist politisch verbrannt. Aber vielleicht animiert die ganze Diskussion ja auch dazu, die eigene Sorglosigkeit im Umgang mit persönlichen Informationen zu hinterfragen. Um die gigantische Datensammelwut bei Facebook & Co wird in der Öffentlichkeit jedenfalls deutlich weniger Aufhebens gemacht als um eine verunglückte Vorlage zum Meldegesetz."

"Das eigentlich Skandalöse ist der Geist, der in diesem Gesetzgebungsverfahren einmal mehr zu Tage tritt: Der Datenschutz ist für Union und FDP von nachrangiger Bedeutung, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zählt nicht", kritisiert das Straubinger Tagblatt. "Die schutzwürdigen Interessen der Bürger sind weniger wert als die Interessen der werbetreibenden Wirtschaft, auf deren Druck CDU/CSU und FDP den Gesetzentwurf der Regierung ins Gegenteil verkehrt haben. Die Lobbyisten haben sich wieder einmal durchgesetzt."

Für die Volksstimme Magdeburg gibt es nur eine Konsequenz: "Schlappe 57 Sekunden brauchte der Bundestag, um das neue Meldegesetz zu beschließen. Genauso schnell sollte der Bundesrat das Papier im September wieder einkassieren. Das Gesetz in der vorliegenden Form gehört im Eiltempo in den Schredder! Es ist nicht hinnehmbar, dass sich der Staat zum Handlanger von Adresshändlern, Inkasso-Unternehmen oder der Werbewirtschaft macht. Dem im Gesetz verankerten laxen Umgang mit wichtigen Bürgerdaten muss dringend Einhalt geboten werden. Es kann nicht sein, dass der Datenschutz mit Füßen getreten wird. Immerhin: Die berechtigten Proteste zeigen Wirkung. Es zeichnet sich ab, dass der Bundesrat die Aufweichung des Datenschutzes zurücknehmen wird. Das ist gut für die Bürger, aber höchst peinlich für die schwarz-gelbe Koalition. Die steht nach der Datenaffäre bis auf die Knochen blamiert da."

"Das Meldegesetz, nur ein Betriebsunfall, der spätestens vom Bundesrat repariert wird?", fragen die Nürnberger Nachrichten. "Leider nein, denn das Parlament nimmt seine zentrale Rolle, die ihm das Grundgesetz bei der Gesetzgebung zugesteht, immer öfter nicht so sorgfältig wahr, wie es eigentlich nötig wäre. "Das wird heute wieder deutlich werden, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht die Eilanträge gegen den Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt verhandelt werden. Beide Vorhaben stellen das Recht des Bundestags, über den Haushalt zu bestimmen, massiv infrage. Doch bei den allermeisten Abgeordneten regte sich kein nennenswerter Widerspruch. Die Folge ist ein zunehmend gelähmtes Parlament, dem Regierung, Sachverständige und leider auch Lobbyisten auf der Nase herumtanzen."

"Der Bürger muss sicher sein, dass seine vom Staat zwangsweise erhobenen Daten vor der Weitergabe an Firmen und dem Handel mit Adressen sicher sind, wenn er selbst nicht dazu sein Einverständnis gegeben hat", meint die Nürnberger Zeitung. "Die Möglichkeit, vorher Widerspruch einzulegen, reicht nicht aus. Es darf nicht sein, dass der Staat - mit welcher Begründung auch immer - die persönlichen Rechte seiner Bürger Stück für Stück einschränkt."

Die Westfälischen Nachrichten kritisieren den Zeitpunkt der Abstimmung. "Schön, dass Grünen-Chefin Roth so offenherzig zugibt, das EM-Halbfinale Deutschland-Italien geschaut zu haben, während gleichzeitig im stillen Kämmerlein (Bundestag) über das neue Meldegesetz abgestimmt wurde. Wer will ihr daraus einen schwer wiegenden Vorwurf machen? Der trifft eher jene, die sich das Gesetzes-Timing so wunderbar ausgedacht haben. Sollte da etwa klammheimlich ein gutes Stück Datenschutz aus dem Weg geräumt werden? ... Über Politikverdrossenheit mag sich bitte niemand mehr wundern. Bleibt zu hoffen, dass die Länder im Herbst die Geisterabstimmung im Bundestag zurücknehmen. Oder gibt es wieder Fußball?"

Quelle: ntv.de

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