Wiedervereinigung und Flüchtlinge "Eine Herausforderung. Und was für eine"
02.10.2015, 21:51 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die deutsche Einheit feiert Jubiläum: Als am 3. Oktober 1990 die Wiedervereinigung von BRD und DDR beschlossen wurde, gelang Historisches. Die Hoffnungen – vor allem im Osten – waren groß, ebenso groß wie die der vielen Flüchtlingen, die heute nach Deutschland strömen. Für viele Ostdeutsche haben sich die Erwartungen nicht erfüllt. Heute zum 25. Geburtstag der Einheit sind die Unterschiede und Ungleichverteilungen zwischen Ost und West noch immer immens. Wird mit den Hoffnungen der Flüchtlinge Ähnliches geschehen? Die Presse wagt zum Geburtstag den Vergleich zwischen Wiedervereinigung und Flüchtlingskrise.
Die Mitteldeutsche Zeitung aus Halle zeichnet die Folgen der Wiedervereinigung anhand des Beispiels Sachsen-Anhalt nach. Die Einheit und alle ihre Vorteile klangen verlockend: "Die D-Mark fühlte sich so gut an, die Geschäfte waren voll und die Grenzen offen. Einem unbeschwerten Leben stand nichts mehr im Wege." Doch dann erlebte das Bundesland eine schwere Zeit. Industrien wurden dicht gemacht, politische Experimente gingen schief und die Arbeitslosigkeit erfasste fast jede Familie. Auch der Wegzug der Jugend wurde zum Problem. "Bis heute spürt Sachsen-Anhalt negative Folgen des gesellschaftlichen Umbruchs und hat in dem Vierteljahrhundert viel lernen müssen. Deshalb: Beim nächsten Mal würden wir es besser machen – sicherlich", spekuliert das Blatt zwischen Ernst und Ironie.
"Die Mär vom 'Ende der Geschichte'" habe sich nach dem Ende des Kalten Krieges als reiner Wunschtraum erwiesen, stellt das Mindener Tageblatt fest. Heute sei die Welt instabiler denn je. Dies sei einer der Gründe dafür, dass das sichere Deutschland nun unter den "Top-Sehnsuchtszielen traumatisierter Flüchtlingsmassen und perspektivloser Armutsmigranten" rangiert. "Es war die Strahlkraft des Erfolgs, die die Wiedervereinigung erzwang, schon vergessen?", erinnert das Blatt in diesem Sinne. Das Stemmen der damaligen Herausforderungen sei alternativlos gewesen. "Das gilt auch für die heutigen. So oder so", lautet das Résumé.
Auch der Kölner Stadtanzeiger nimmt sich das Jubiläum der Wiedervereinigung zum Anlass, um auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam zu machen. Dabei erkennt die Zeitung vor allem eine große Herausforderung im Vergleich zur Einheit: "Die Mehrheit der Flüchtlinge unterscheidet sich in Sprache, Kultur, Religion und Wertesystem." Doch die Flüchtlingskrise berge neben Problemen auch Positives, vor allem für die Wirtschaft. Denn die "Neuankömmlinge setzen auch ein milliardenschweres Binnen-Konjunkturprogramm in Gang, weil jeder Euro für sie hier ausgegeben wird". Auf die Frage, wie das Land in 25 Jahren aussehen wird, hat der Stadtanzeiger eine klare Antwort parat. Das Gelingen der Integration sei an eine Bedingung geknüpft: "Anstrengung. Alle werden sich anstrengen müssen. Die neuen Bürger am meisten."
Die Flüchtlingkrise habe die "Agenda Zukunft" eingeleitet, schreibt die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung aus Essen. Die Politik müsse die Debatte zu diesem Problem ehrlich und offen moderieren, damit nicht "Hetzer und Boulevardmedien" den Ton bestimmen. "Vertuschen ist genau so schädlich wie Übertreiben und Zuspitzen." Doch trotz aller Mühen und Kosten, die mit der Krise verbunden seien, winke auch ein großer Ertrag. Die Flüchtlinge seien eine Bereicherung für Deutschland, stellt die Zeitung fest. "Mit uns Deutschen allein wird die Zukunft nicht zu bewerkstelligen sein. Die Globalisierung lässt sich nicht aufhalten." Von der friedlichen Revolution 1989 habe das Land ebenfalls enorm profitiert und so wünscht sich das Blatt, dass "die nächste Generation dies auch rückblickend auf den Herbst 2015 sagen könnte." Denn wer die Einheit geschafft hätte, der könne noch viel mehr.
Zusammengestellt von Katja Belousova
Quelle: ntv.de