Grobe Fahrlässigkeit Wann zahlt die Versicherung?
18.12.2013, 09:51 UhrBei Rot auf die Kreuzung fahren, die Wohnungstür nicht abschließen, wenn man aus dem Haus geht oder eine heiße Herdplatte unbeaufsichtigt lassen - solche Dummheiten können teuer werden. Aber kostet grobe Fahrlässigkeit auch den Versicherungsschutz?

Den Schlüssel im Schloss zu vergessen ist fast schon eine Aufforderung für Kriminelle. Ob die Versicherung trotzdem zahlen muss, hängt von den konkreten Umständen ab.
(Foto: birgitH, pixelio.de)
Die Ampel zeigt noch Rot, doch der Autofahrer tritt trotzdem schon aufs Gas. Dabei kracht er in ein entgegenkomm endes Fahrzeug, das gerade nach links abbiegen will. Ohne Frage ist der Geradeausfahrer schuld an der Kollision. Was bedeutet das für seinen Versicherungsschutz? Für den Schaden am fremden Auto kommt die Haftpflicht auf. Aber darf der Unfallverursacher auch mit Geld von der Kasko rechnen?
Bis zum Jahr 2007 hätte die Antwort noch mit einiger Wahrscheinlichkeit "Nein" gelautet. Denn wer bei Rot über die Ampel fährt, der handelt in der Regel vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig. In beiden Fällen war die Versicherung früher aus dem Schneider. Entweder sie übernahm den Schaden komplett oder – bei grober Fahrlässigkeit - überhaupt nicht. 2008 ist dieses "Alles oder nichts"-Prinzip abgeschafft worden. Wer einen Schaden mit Absicht herbeiführt, geht natürlich weiterhin leer aus. Bei grober Fahrlässigkeit darf die Versicherung ihre Leistung aber nicht mehr pauschal streichen, sondern nur noch kürzen, abhängig von der Schwere des Verschuldens.
Im oben genannten Beispiel wird die Versicherung also genauer prüfen, wieso der Autofahrer bei Rot fuhr. Wollte er einfach nur schneller loskommen als das Fahrzeug auf der Nebenspur? Dann ist die Versicherung wahrscheinlich raus. Oder ließ er sich von den Autos auf der Nebenspur mitziehen, die gerade Grün hatten? Fiel die Sonne so auf die Ampel, dass sie grün aussah? War der Fahrer ortsfremd und durch die Suche nach seinem Ziel abgelenkt? In solchen Fällen muss die Versicherung nach mehreren Urteilen zumindest die Hälfte des Schadens übernehmen.
50 Prozent als Basis
Die Quotenregelung gilt nicht nur für Autoversicherungen, sondern generell. Auch bei Hausrat-, Gepäck- oder Wohngebäudepolicen müssen jetzt bei grober Fahrlässigkeit Abstufungen vorgenommen werden. Wie die im Einzelnen aussehen, wird oft erst vor Gericht entschieden. Viele Richter würden bei grober Fahrlässigkeit zunächst von deiner Kürzung um 50 Prozent ausgehen, heißt es im "Finanztest"-Magazin. Liegen mildernde oder belastende Umstände vor, verschiebt sich die Quote nach oben oder unten. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Präzendenzurteile, an denen sich Versicherte und Versicherungen orientieren können.
Das Problem: Die Rechtsprechung ist alles andere als einheitlich. Das zeigen einige Fälle, von denen "Finanztest" berichtet. Etwa die von Hausbesitzern, die Wasserrohre in leerstehenden Immobilien im Winter nicht vorm Einfrieren schützen. Das Landgericht Bonn beließ es in so einem Fall bei einer Leistungskürzung von 50 Prozent, das Landgericht Erfurt hielt 90 Prozent für angemessen. Und beim Oberlandesgericht Hamm ging ein Versicherter komplett leer aus.
Auch den unvorsichtigen Umgang mit Autoschlüsseln bewerten die Gerichte unterschiedlich. Eine Pflegekraft im Seniorenheim, die den Schlüssel in einem offenen Aufenthaltsraum gelassen hatte, bekam immerhin 50 Prozent ihres Schadens ersetzt. Einem Gaststättenbesucher, der seine Jacke samt Schlüssel in der Nähe der Tür aufgehängt hatte, bezahlte die Kaskoversicherung gerade mal 10 Prozent seines verschwundenen Mercedes. Mehr Glück hatte ein Sportler, dessen Autoschlüssel aus einer unverschlossenen Umkleidekabine entwendet worden war. Bei ihm wurde die Leistung nur um 25 Prozent gekürzt. Grob fahrlässig ist es übrigens auch, einen Schlüssel in einen ungesicherten Briefkasten zu werfen, etwa bei einer Kfz-Werkstatt oder Autovermietung. Hier können Diebe ahnen, dass es etwas zu holen gibt.
Wer heiße Herdplatten unbeaufsichtigt lässt, macht das entweder aus Versehen oder aus Dummheit. Ein Grund, die Leistung komplett zu verweigern, ist beides nicht. "Finanztest" nennt zwei Fälle, in denen die Versicherung die Zahlung um ein Drittel beziehungsweise um die Hälfte kürzte.
Pauschalurteile gelten nicht
Richtig knifflig wird es, wenn mehrere Fälle von Pflichtverletzungen zusammenkommen. Etwa dann, wenn man erst leichtsinnig einen Einbruch ermöglicht, zum Beispiel durch ein gekipptes Fenster, und sich dann wochenlang Zeit lässt, die gestohlenen Gegenstände der Versicherung zu melden. Womöglich bewertet die Versicherung jeden Punkt einzeln und zählt die einzelnen Kürzungsschritte dann einfach zusammen. Oder sie betrachtet den Fall als Ganzen und entscheidet individuell. Darauf haben die Kunden nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch Anspruch. Die Versicherer müssen demnach immer den Einzelfall bewerten und dürfen grundsätzlich bei grober Fahrlässigkeit nicht einfach pauschal um 50 Prozent kürzen (Az. IV ZR 225/10).
Auch wenn die Quotenregelung erst seit 2008 gilt, so bezieht sie sich auch auf Verträge, die davor abgeschlossen wurden. Die Versicherer hatten ein Jahr Zeit, die Bedingungen kundenfreundlich umzustellen. Wenn sie es bis dahin nicht geschafft haben, sind die Versicherten fein raus. Denn dann darf grobe Fahrlässigkeit überhaupt nicht mehr ausgeschlossen werden und die Versicherung muss bei Verstößen gegen vertragliche Pflichten 100 Prozent zahlen. Das gilt auch, wenn es sich die Versicherung zu leicht gemacht und für die Umstellung nur ein Pauschalschreiben für alle Vertragstypen herausgegeben hat.
Ein Freibrief für Dummheiten ist das aber nicht: Wer gegen gesetzliche Pflichten verstößt, dem kann die grobe Fahrlässigkeit weiterhin vorgehalten werden, egal mit welchem Vertrag. Das gilt zum Beispiel bei Alkohol am Steuer. Wer betrunken fährt, bleibt auf dem Kaskoschaden sitzen, zumindest zum Teil. Bei absoluter Fahruntüchtigkeit kann die Kaskoversicherung ihre Leistung komplett streichen. Anders die Haftpflicht, sie muss auf jeden Fall zahlen - schließlich darf der Unfallgegner nicht bestraft werden. Allerdings kann der Alkoholsünder in Regress genommen werden und muss dann bis zu 5000 Euro selbst bezahlen. Bei anschließender Fahrerflucht verdoppelt sich der Betrag sogar.
Quelle: ntv.de, ino