Fragwürdige Streaming-Abmahnungen Was Betroffene tun können
09.12.2013, 16:48 UhrDie Regensburger Kanzlei Urmann + Collegen verschickt derzeit tausendfach Abmahnungen. Nicht an Tauschbörsennutzer, sondern an Besucher von Porno-Streamingdiensten. Rechtlich bewegen sich die Abmahnanwälte auf dünnem Eis. Wie sollten die Betroffenen reagieren?
Man stelle sich vor, ein Radiosender strahlt ein Hörspiel au s, ohne sich vorher die Senderechte zu sichern. Die Zuhörer bekommen nachher Post vom Anwalt, weil sie illegalerweise in den Genuss des Werkes gekommen sind. Klingt unrealistisch, findet in ähnlicher Form aber gerade statt: Vielen Haushalten flatterten in den letzten Tagen Abmahnungen der Rechtsanwaltskanzlei Urmann + Collegen (U + C) ins Haus. Der Vorwurf: Betrachten von illegal hochgeladenen Pornos im Videostream.
Ersten Schätzungen zufolge könnten über 10.000 Nutzer betroffen sein. Sie sollen über das Streaming-Portal Redtube Filme wie "Amanda's Secrets", "Hot Stories" oder "Glamour Show Girls" angesehen haben. Redtube gehört wie Youporn zum Manwin-Konzern und hostet Videoclips, in denen in der Regel für weitere Seiten und Angebote geworben wird. Moralisch mögen die Filme anstößig sein, doch urheberrechtlich sind die Seiteninhalte in der Regel in Ordnung. Dass die fraglichen Streifen widerrechtlich auf dem Portal gelandet sein sollen, konnten die Besucher also nicht ahnen.
Trotzdem sollen sie nun 250 Euro an die Rechteinhaberin, eine Schweizer Firma namens "The Archive AG" zahlen. Diese existiert in ihrer jetzigen Form erst seit einem Monat und behauptet von sich, dank einer "anpassungsfähigen Software" Urheberrechtsverletzungen auf Streaming- und Filehosterportalen aufdecken zu können. Den Großteil der Summe streicht mit 169,50 Euro aber die Anwaltskanzlei ein. Dazu kommen dann noch 65 Euro Ermittlungskosten und 15,50 Euro Schadensersatz. Außerdem fordert U + C binnen einer Woche die Abgabe einer Unterlassungserklärung, die ebenfalls gegenüber "The Archive" abzugeben ist. Soll man die unterzeichnen und bezahlen?
In vielen Punkten zweifelhaft
Die Antwort von Anwälten und Verbraucherschützern ist ein klares "Nein". Zum einen gibt es Zweifel an der Höhe der aufgerufenen Kosten. Völlig unklar sei beispielsweise, wie sich die Höhe des Schadenersatzanspruchs berechne, schreibt der Rechtsanwalt Christian Solmecke. Die Abmahner hätten wahrscheinlich den Preis für den Kauf des Filmes angesetzt, korrekt sei aber allenfalls eine Gebühr für das Anschauen. Auch die 65 Euro für die Ermittlung dürften nicht einfach pauschal abgerechnet werden. Tatsächlich lägen die Kosten bei klassischen Filesharing-Abmahnungen meist nur bei zwei bis drei Euro. Und zuletzt haben die Abmahner ihre eigene Rechnung erhöht, indem sie mit 1080,50 Euro einen zu hohen Streitwert angesetzt hätten. Zulässig seien nach neuer Rechtslage maximal 1000 Euro, so die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Dann läge die Anwaltsgebühr auch nur bei 104 Euro.
Zum anderen ist unabhängig von der Kostenfrage auch die Abmahnung an sich umstritten. Denn noch ist überhaupt nicht geklärt, ob das bloße Ansehen eines Streams illegal ist. Nach derzeitiger Rechtslage liegt eine Urheberrechtsverletzung nur dann vor, wenn das entsprechende Werk vervielfältigt wird. Beim Filesharing ist das der Fall, doch beim Streamen wird der Film nur stückweise und vorübergehend im Arbeitsspeicher zwischengespeichert. Für die Abmahner von U + C ist das bereits eine Vervielfältigung, viele Anwälte sehen das nicht so. Anders als beispielsweise bei Kino.to würden die Filme auf Redtube nicht offensichtlich rechtswidrig im Sinne des Urheberrechts verbreitet, argumentiert beispielsweise Solmecke: "Sofern also beim Anschauen der Filme überhaupt eine Kopie auf dem eigenen Rechner erfolgt, ist diese als legale Privatkopie gemäß Paragraph 53 des Urheberrechtsgesetzes einzustufen".
Das sieht auch Udo Vetter vom "Lawblog" so. Und selbst wenn Streaming zweifelsohne illegal wäre, müssten die Betroffenen nicht unbedingt zahlen, meint Vetter. Denn auch beim Filesharing hafte der Anschlussinhaber nicht automatisch für jede Urheberrechtsverletzung über seine IP-Adresse. Schließlich kämen auch Partner, Kinder oder Besucher als Bösewichte in Betracht. "Für deren Fehlverhalten haftet ein Anschlussinhaber nicht, wenn er die Mitnutzer darüber belehrt hat, dass sie keine Urheberrechtsverletzungen begehen sollen", so Vetter. Auch bei technischem Missbrauch könne die Haftung ausgelschlossen sein. Unklar ist auch, wie The Archive als Rechteinhaberin überhaupt an die IP-Adressen gekommen ist und ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
Nichts tun kann teuer werden
Trotz aller Zweifel, ob die Abmahnung rechtens ist: Sie einfach in den Papierkorb zu werfen, ist keine gute Idee. Dann wird U + C wohl eine einstweilige Verfügung erwirken, der Beschuldigte wird dabei in der Regel nicht angehört. Gegen die einstweilige Verfügung kann man sich nur vor Gericht wehren. Finanziell könnte die Sache damit aus dem Ruder laufen. Also einfach zahlen und die Unterlassungserklärung unterschreiben? Auch nicht schlau, denn das kommt einem Schuldeingeständnis gleich. Zwar sind die aktuellen Vorwürfe damit aus der Welt, bei den geringsten Verstößen drohen aber auch noch Jahre später hohe Vertragsstrafen. Durchaus möglich wäre es beispielsweise, dass das betreffende Video irgendwann wieder in einem Popup-Fenster läuft, ohne dass man es überhaupt angeklickt hat. Dann könnte U + C wieder die Hand aufhalten.
In vielen Foren wird Betroffenen geraten, eine modifizierte Unterlassungserklärung abzugeben. Man erklärt sich damit bereit, künftig die Finger von den jeweiligen Werken zu lassen, geht aber nicht auf die weitergehenden Forderungen der Anwälte ein. Entsprechende Musterschreiben findet man im Internet. Bei Filesharing-Abmahnungen ist das Vorgehen durchaus sinnvoll, bei den aktuellen Streaming-Abmahnungen nicht unbedingt. Denn auch die modifizierte Abmahnung beinhaltet ein Schuldeingeständnis – und das ist angesichts der unsicheren Rechtslage womöglich etwas voreilig.
Pauschales Honorar vereinbaren
Am sichersten ist es für die Betroffenen, wenn sie einen Anwalt einschalten, der den Anspruch abwehrt. Kostenlos geht das natürlich nicht, in der Regel dürften die Gebühren aber unter den geforderten 250 Euro liegen, am besten vereinbart man ein Pauschalhonorar. Nicht wenige Betroffene haben auch gleich mehrere Abmahnungen von U + C bekommen, so dass sie noch weit mehr bezahlen müssten. Viele Kanzleien haben Hotlines, in denen man eine kostenlose Ersteinschätzung der Fälle bekommt. Auch die Verbraucherzentralen bieten gegen Gebühr eine Rechtsberatung und –vertretung an.
Nun drängt U + C zur Eile und fordert die Unterlassungserklärung meist schon binnen einer Woche. Wer mehr Zeit braucht, um die Sache prüfen zu lassen, sollte schnell eine Fristverlängerung beantragen. Auch dafür gibt es Musterbriefe.
Quelle: ntv.de