Michael Stich tritt zurück Erklärung im Wortlaut
09.09.2002, 12:21 UhrDie Erklärung von Michael Stich im Wortlaut:
„Aufgrund der Ereignisse der letzten Woche in Bezug auf den Daviscup und die eventuelle Nominierung von Boris Becker für die Begegnung gegen Venezuela möchte ich einige Sachverhalte klarstellen und einen Entschluss bekannt geben.
Ich habe am Wochenende des 25. August am Rande des Schaukampfes mit Boris Becker mit diesem ein Gespräch geführt, in welchem er mir sagte, dass er - wenn Not am Mann ist - für die Begegnung gegen Venezuela zur Verfügung stehen würde. Ich habe mir aufgrund der guten Resonanz unseres Schaukampfes im Fernsehen Gedanken gemacht, ob es nicht für das deutsche Tennis von großem Vorteil wäre, wenn Boris Becker im Doppel spielen würde. Dieser Wunsch wurde auch vom Fernsehen indirekt geäußert, es hätte zu einem sehr positiven Echo in den Medien und der Bevölkerung geführt. Mir lagen bei dieser Überlegung einzig das Wohl des deutschen Tennis und seine positive Außendarstellung am Herzen.
Diese ließ in den letzten zwei Jahren sehr zu wünschen übrig, und ich bin angetreten, um das zu ändern. Obwohl wir unter der schlechten Presse zu leiden hatten, die durch den Disput zwischen Tommy Haas und Verbandspräsident Georg von Waldenfels entstanden ist, und wir außerdem die sehr kurzfristige Absage von Tommy Haas verkraften mussten, ist es uns gelungen, unabhängig von der Niederlage sehr viel Lob für unser Auftreten in der ersten Runde im Februar in Kroatien zu erhalten.
Es war nie meine Absicht, die Spieler vor vollendete Tatsachen zu stellen, ihre Meinung zu der Idee der Becker-Nominierung war mir sehr wichtig. Aus diesem Grund habe ich Rainer Schüttler und Tommy Haas eine e-Mail geschickt und sie nach ihrer Meinung gefragt, Nicolas Kiefer habe ich angerufen. Bis zum heutigen Zeitpunkt habe ich diesbezüglich mit Tommy Haas nicht persönlich sprechen können, nur mit seinem Manager Stefan Füg. Ich habe mehrfach versucht, Tommy zu erreichen, ihm auch auf seine Mailbox gesprochen und um Rückruf gebeten, leider alles ohne Erfolg. So musste ich seine Meinung und seine Aussage („Entweder Becker oder ich“) aus der Presse erfahren.
Ebenso habe ich mich bemüht, mit den Spielern in New York in Kontakt zu treten. Ich habe ihnen vier Tage vor Beginn der US Open eine e-Mail geschickt, in der ich sie gebeten habe, mir mitzuteilen, in welchen Hotels sie wohnen und wann sie spielen. Bis auf Lars Burgsmüller hat sich keiner der Spieler gemeldet oder den Kontakt mit mir gesucht.
Am Dienstag (27. August) habe ich alle Matches der Deutschen verfolgt und musste leider einen nach dem anderen verlieren sehen. Mittwoch (28. August) habe ich mir dann das gesamte Match von Haas angeschaut. Wider Erwarten hat auch während dieser zwei Tage keiner der Spieler das Gespräch mit mir gesucht.
Nun muss ich erstaunlicherweise aus der Presse erfahren, dass Tommy Haas und Rainer Schüttler im Falle einer Nominierung von Boris Becker nicht spielen wollen. Diese Aussage stellt sich für mich als eine eindeutige Beschneidung meiner Kompetenz als Teamchef dar und ist daher für mich in keiner Weise akzeptabel.
Trotz allem ist es meine Aufgabe und immer mein Bestreben gewesen, im Sinne und zum Wohl der Mannschaft zu entscheiden. Allein deshalb sehe ich mich gezwungen, auf das Ultimatum von Tommy Haas und Rainer Schüttler einzugehen und daraus resultierend von einer Nominierung Beckers abzusehen. Ausdrücklich möchte ich hiermit betonen, dass ein Einsatz von Boris Becker für das deutsche Tennis von großer Wichtigkeit gewesen wäre.
Nach meiner Rückkehr aus New York habe ich Herrn Kohne (Geschäftsführer der DTB Holding, d.Red.) und Herrn von Waldenfels von meiner Idee der Becker-Nominierung informiert und sie nach ihrer Meinung gefragt. Herr von Waldenfels hatte davon schon aus den Medien erfahren, was natürlich nicht in meinem Sinne und auch nicht von mir initiiert war. Als dieses Gerücht erstmals in der Presse auftauchte, hatte ich lediglich Herrn Kohne, Herrn Füg und Herrn Kiefer zu diesem Thema befragt und den Spielern Schüttler und Haas eine e-Mail geschickt. Herr Schmid (DTB-Sportwart, d.Red.) hat mit mir vor seiner Äußerung gegenüber der Presse kein Gespräch zu diesem Thema geführt. Die negativen Äußerungen der Herren Schmid und von Waldenfels bezüglich der eventuellen Nominierung von Boris Becker waren nicht sehr unterstützend und ließen kaum Freiraum, eine Entscheidung im Sinne des deutschen Tennis zu treffen.
Ich habe dieses Amt jetzt ein Jahr lang ehrenamtlich ausgeübt und musste leider erfahren, dass ich weder von den Spielern noch vom DTB ein großes Maß an Unterstützung erhalten habe. Es ist oft bei Lippenbekenntnissen geblieben, denen keine Taten folgten. Ich habe bis zum heutigen Tag vom DTB kein ernsthaftes Feedback auf mein Konzept erhalten, das ich im Mai vorgestellt habe. Es gab eine klare Absprache zwischen dem Präsidium des DTB und mir, die die Unterbreitung eines Angebots vor den US Open, spätestens jedoch vor der Daviscup-Partie vorsah, das über eine zukünftige Zusammenarbeit Aussage treffen sollte. Bis heute ist das bedauerlicherweise nicht geschehen.
Aufgrund all dieser Umstände bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich meinen nach der Daviscup-Partie gegen Venezuela auslaufenden Vertrag nicht verlängern werde. Es ist mir nicht möglich, ohne eine klare Perspektive und definitive Konzepte für den Leistungssport eine Aufgabe innerhalb des DTB auszuüben. Da der DTB mir nicht vor Auslaufen meines Vertrages ein Angebot unterbreitet hat, gehe ich davon aus, dass der Verband an einer weiteren Zusammenarbeit mit meiner Person nicht interessiert ist.
Die grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen in diversen Bereichen der Zusammenarbeit zwischen Herrn von Waldenfels und meiner Person machen ein zukünftiges Teamwork nicht mehr möglich.
Ich bedaure dies sehr, denn das deutsche Tennis lag und liegt mir nach wie vor sehr am Herzen, was ich unbestritten durch meinen ehrenamtlichen Einsatz dokumentiert habe. Die Strukturen des DTB lassen keinen Raum, innovative Ideen und Vorstellungen meinerseits um- und durchzusetzen.
Erschwerend kam hinzu, dass ich mir gewünscht hätte, von den Spielern dahingehend Rückendeckung zu bekommen, dass sie sich zu einer Einheit zusammengefunden, damit verbunden persönliche Differenzen für den Moment beiseite gelegt und letztlich nur das eine Ziel verfolgt hätten, den Daviscup zu gewinnen.
Ich stehe auch in der Zukunft dem deutschen Tennis wieder zur Verfügung. Hierzu müssten sich allerdings einige Strukturen innerhalb des DTB ändern, damit ich meine Ideen und Vorstellungen zur Verbesserung des Leistungssports und der Außendarstellung des deutschen Tennis umsetzen kann. Zurzeit ist das nicht möglich. In erster Linie sind jetzt die Spieler gefordert, das deutsche Tennis in ein positives Licht zu rücken, und das sicherlich nicht nur auf dem Tennisplatz. Ich hoffe, dass wir in Karlsruhe mit dem besten Team antreten werden und den Klassenerhalt schaffen. Ich werde all meine Energie dafür einsetzen.
Michael Stich “
Quelle: ntv.de