Collinas Erben

"Collinas Erben" feiern Superlative Wenn Völler wütet und der BVB verzweifelt

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Positiv: BVB-Coach Jürgen Klopp wütete in der Hinrunde an der Seitenlinie vor sich hin, ließ aber die Schiedsrichter meist in Ruhe.

Positiv: BVB-Coach Jürgen Klopp wütete in der Hinrunde an der Seitenlinie vor sich hin, ließ aber die Schiedsrichter meist in Ruhe.

(Foto: REUTERS)

Altbekannte Nervensägen, Regel-Überraschungen, unverhofftes Fair Play, technisches Versagen, ein Rekord: Die Schiedsrichter-Experten "Collinas Erben" hatten in der Bundesliga-Hinrunde jede Menge zu tun. Ein Zwischenfazit in Superlativen.

Fair Play der Hinrunde: Am sechsten Spieltag lag der SC Paderborn gegen Borussia Mönchengladbach einigermaßen aussichtslos mit 0:2 zurück, als der Paderborner Stefan Kutschke bei einem schnellen Konterangriff auch noch regelwidrig von Christoph Kramer zu Fall gebracht wurde. So sah es jedenfalls der Unparteiische Marco Fritz, der den Gladbacher deshalb – sehr zu dessen Entsetzen – verwarnte. Doch der vermeintlich Gefoulte war in Wahrheit ohne gegnerische Einwirkung gestürzt und außerdem zu ehrlich, um die Entscheidung einfach stehen zu lassen: "Ich bin zum Schiedsrichter gegangen und habe ihm gesagt, dass ich ausgerutscht bin. Das ist doch selbstverständlich." Der erstaunte Referee nahm daraufhin die Gelbe Karte für Kramer zurück und bedankte sich per Handschlag bei Kutschke für dessen bemerkenswerte Fairness. Zur Nachahmung unbedingt empfohlen!

Seit dem 8. Spieltag ist die Fußball-Bundesliga unter die Sprayer gegangen.

Seit dem 8. Spieltag ist die Fußball-Bundesliga unter die Sprayer gegangen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Neuerung der Hinrunde: Nach der positiven Resonanz bei der WM und der Einführung in den europäischen Klubwettbewerben sowie in diversen europäischen Ligen beschloss die DFL, das Freistoßspray auch hierzulande einzusetzen – und zwar am liebsten ab gestern. Doch das ging der Schiedsrichter-Kommission des DFB ein bisschen zu schnell, und dann hatte auch noch der deutsche TÜV verschiedene Einwände gegen das aus Argentinien importierte Produkt. Seit dem achten Spieltag aber baumelt die Sprühdose am Hosenbund der Unparteiischen und inzwischen haben sich Schiedsrichter, Spieler und Zuschauer weitgehend an das Spray gewöhnt. Auch wenn Thorsten Kinhöfer vermutlich nicht nur für sich sprach, als er sagte: "Ich denke, dass unsere natürliche Autorität auf dem Platz auch so ausreicht, um bei Freistößen die Spieler bei der Mauerbildung im korrekten Abstand zum ausführenden Spieler zu stellen."

Überraschung der Hinrunde: Der Torwart genießt im eigenen Torraum keinen besonderen Schutz mehr. Jahrzehntelang genügte den Schiedsrichtern hierzulande bei Zweikämpfen zwischen dem Schlussmann und einem gegnerischen Stürmer im Fünfmeterraum oft schon der kleinste Körperkontakt, um dem Keeper einen Freistoß zuzuerkennen. Nun müsse man diese Duelle "so beurteilen, als ob sie zwischen zwei Feldspielern an der Mittellinie stattgefunden hätten", so Hellmut Krug, der Schiedsrichtermanager der DFL. Theoretisch gilt diese geänderte Regelauslegung bereits seit dem Sommer 2012 – nur hatte das bislang seltsamerweise kaum jemand bemerkt. Auch die meisten Unparteiischen pfiffen weiterhin wie gewohnt, bis Christian Dingert am 15. Spieltag ein hartes Einsteigen des Frankfurter Stürmers Haris Seferovic gegen Bremens Torhüter Raphael Wolf in dessen Torraum ungeahndet ließ und das daraus resultierende Tor anerkannte – zu Recht, wie Krug befand. Womöglich eine richtungweisende Entscheidung.

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Aufsteiger der Hinrunde: Nur einem Referee gelang vor dieser Saison der Sprung von der Zweiten Bundesliga ins Oberhaus, nämlich Sascha Stegemann. Und der Diplom-Verwaltungswirt aus Niederkassel bei Bonn rechtfertigte seine Nominierung bisher voll und ganz: Mit viel Selbstvertrauen, einem guten Spielverständnis und dem unverzichtbaren Blick fürs Wesentliche ausgestattet, bevorzugt der 30-Jährige eine wohltuend großzügige Linie und greift nur dann zur Gelben Karte, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. In vier Spielen sprach er lediglich sechs Verwarnungen aus – das ist der niedrigste Schnitt aller Bundesliga-Schiedsrichter. Dass Stegemann gleich in seinem zweiten Bundesligaspiel zu einem Heimspiel des Rekordmeisters Bayern München geschickt wurde, zeigt zudem, welch große Stücke man beim DFB auf ihn hält. Der Sprung auf die Fifa-Liste dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Rekord der Hinrunde: Bislang wurden nur 21 Spieler des Feldes verwiesen, zehn mit der Roten, elf mit der Gelb-Roten Karte. Das ist der niedrigste Wert in der ersten Halbserie einer Saison seit der Einführung der "Ampelkarte" 1991.

Missratenes Comeback der Hinrunde: Fast zwei Jahre hatte Wolfgang Stark nach einer gravierenden Fehlentscheidung im Dezember 2012 kein Spiel von Borussia Dortmund mehr geleitet. In der Hinrunde wurde nun beim BVB-Gastspiel in Paderborn ein neuer Versuch gewagt und der verlief rund eine Stunde lang auch problemlos. Dann jedoch verbockte Stark seine Bewährung: Erst zeigte er für ein rotwürdiges Foul eines Paderborner Spielers an Marco Reus nur die Gelbe Karte. Wenig später annullierte er zudem ein reguläres Tor der Dortmunder zum 3:1, die Partie endete 2:2. Dass Stark, der ansonsten eine mehr als ordentliche Hinrunde pfiff, noch einmal bei einer Partie der Westfalen eingesetzt werden wird, scheint eher unwahrscheinlich. Wesentlich glücklicher verlief dagegen die Rückkehr von Michael Weiner: Nach einem Achillessehnenriss im März bewies der Polizeioberrat nun bei zwei Zweitligaspielen und einem Drittligaspiel im Dezember, dass er wieder fit genug ist, um in der Rückrunde auch in der höchsten deutschen Spielklasse eingesetzt zu werden.

Regel-Aufreger der Hinrunde: Die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) und die Fifa sind seit Jahren bemüht, mit ihren Anpassungen bei der Auslegung der Fußballregeln zu einer Stärkung des Offensivfußballs beizutragen. Deshalb sind die Schiedsrichter seit einiger Zeit auch gehalten, bei Handspielen – die insbesondere Verteidigern bei Abwehraktionen unterlaufen – strenger zu urteilen. Nicht zuletzt deshalb wurden die "Vergrößerung der Körperfläche" und die "unnatürliche Handhaltung" in den Katalog der Kriterien für ein absichtliches Handspiel aufgenommen. Doch die Auslegung und Anwendung dieser Kriterien bleibt weiterhin ein Streitpunkt, weil die diesbezüglich geforderte Einheitlichkeit nur schwer zu erreichen ist. Der Mönchengladbacher Trainer Lucien Favre hält die Verantwortlichen bei Ifab und Fifa sogar für "total dumm".

Fehlentscheidung der Hinrunde: Eine gute Viertelstunde war in der Partie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Augsburg gespielt, da brachte der Augsburger Dominik Kohr den Frankfurter Vaclav Kadlec durch einen beherzten Griff ans Trikot zu Fall. Doch Schiedsrichter Manuel Gräfe pfiff nicht, weil er das Foul aus seiner Perspektive nicht sehen konnte. Auch dem zuständigen Assistenten war die Sicht verdeckt. Der Vierte Offizielle hatte das Vergehen allerdings genau beobachtet und wollte Gräfe nun seine Wahrnehmung über das Headset mitteilen. Doch dieses Vorhaben scheiterte, weil die Technik ihren Dienst versagte. Es gab deshalb keinen Elfmeter, das Spiel lief weiter. Ein klarer Fall von höherer Gewalt.

Nervensäge der Hinrunde: Während sich "Emotionstrainer" wie Jürgen Klopp und Christian Streich, die in der Vergangenheit immer wieder aus teilweise nichtigem Anlass mit den Schiedsrichtern und ihren Assistenten aneinandergeraten waren, bislang recht ruhig verhielten, polterte Rudi Völler wie eh und je gegen die Referees. Der Sportdirektor von Bayer Leverkusen, vom DFB wegen unsachlicher Kritik an den Unparteiischen bereits mehrmals zu Geldstrafen verdonnert, teilte auch in dieser Saison kräftig aus. Beim Spiel in Freiburg habe er sich den deutschen WM-Referee Felix Brych "schon in der Halbzeitpause vorgeknöpft", sagte Völler. In Hamburg fand er, dass Florian Meyer die Leverkusener Spieler nicht genug geschützt habe und nach der Partie in München griff "Tante Käthe" den früheren Fifa-Schiri Markus Merk an, weil dieser eine Rote Karte für den Leverkusener Karim Bellarabi gefordert hatte. Vermutlich wären nicht nur die Schiedsrichter froh, wenn der frühere Weltklassestürmer sich endlich wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren würde.

Zitat der Hinrunde: "Wenn du zwei Zeitlupen brauchst, um eine Lösung zu finden, dann darfst du den Schiedsrichter nicht mehr beschuldigen." (Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen nahm Hoffenheims Trainer Markus Gisdol die Unparteiischen und ihre Assistenten in Schutz, insbesondere beim Thema Abseits)

Quelle: ntv.de

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