Collinas Erben

"Collinas Erben" fühlen mit Wenn der Video-Assistent nicht im Bilde ist

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"Ich bin darauf angewiesen, dass der Video-Assistent mir die besten Bilder liefert" Martin Petersen.

(Foto: imago images/Matthias Koch)

In Berlin fordern die Fußballer von Fortuna Düsseldorf drei Elfmeter, bekommen aber nur einen. Auch weil der Video-Assistent dem Schiedsrichter in einem Fall nicht die bestmöglichen Bilder zeigt. Auf Schalke ist der Unparteiische derweil erst streng und dann zu großzügig.

Maximilian Mittelstädt war nach dem Schlusspfiff des Spiels zwischen Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf (3:1) erleichtert. "Wir hätten uns nicht beschweren dürfen, wenn der Schiedsrichter auf den Punkt gezeigt hätte", kommentierte der Berliner Verteidiger jene Szene im Strafraum der Hertha nach 24 Minuten, in der sein Gegenspieler Lewis Baker beim Zweikampf mit ihm zu Fall gekommen war. Der Unparteiische Martin Petersen hatte aber an diesem siebten Spieltag der Fußball-Bundesliga nicht auf den Punkt gezeigt, also keinen Elfmeter für die Fortuna gegeben - und das, obwohl ihm sein Video-Assistent (VAR) ein Review empfohlen und der Referee sich die Bilder daraufhin selbst angesehen hatte.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Der Düsseldorfer Trainer Friedhelm Funkel zeigte gleichwohl Verständnis dafür, dass Petersen bei seiner Entscheidung blieb: "Den kann man geben, muss man aber nicht." Es kommt selten vor, dass sich beide Seiten im Sinne des sportlichen Gegners zu einer strittigen Szene äußern. In diesem Fall war es ein Indiz dafür, dass die Angelegenheit nicht eindeutig war. Fest steht: Mittelstädt hatte nicht den Ball gespielt, dafür aber mit seinem Knie das Knie von Baker getroffen. Ob das ursächlich dafür war, dass der Düsseldorfer fiel, ist fraglich. Trotzdem hätte Petersen vielleicht anders entschieden, wenn er die Bilder aus der Hintertorperspektive zu sehen bekommen hätte.

Denn der Kontakt am Knie war in dieser Kameraeinstellung, die auch vom Fernsehen gezeigt wurde, gut zu erkennen. Anders verhielt es sich mit den Bildern, die der Video-Assistent dem Schiedsrichter in der Review Area vorführte. Sie waren aus einem anderen Blickwinkel aufgenommen worden und ließen einen regelwidrigen Körpereinsatz des Berliners allenfalls erahnen, was dem Unparteiischen begreiflicherweise "im Spiel und dann auch nach Sichtung der Bilder nicht ausgereicht hat", wie er sagte. "Ich bin darauf angewiesen, dass der Video-Assistent mir die besten Bilder liefert", so Petersen.

Alles eine Frage der Perspektive

Das geschah in diesem Fall jedoch nicht, weil niemand bemerkt hatte, dass die Hintertorkamera die aufschlussreicheren Aufnahmen geboten hätte. Der Video-Assistent kann auf dieselben Bilder zugreifen wie die übertragenden Fernsehsender, mit der Unterstützung eines weiteren Assistenten und zweier Video-Operatoren wählt er bei einer zu prüfenden Szene aus über 20 Kameraperspektiven bis zu vier aus, die er für besonders aussagekräftig hält. Der Zeitdruck ist enorm, weil die Überprüfung schnell gehen muss. Deshalb kommt es vor, dass der Video-Assistent und seine Helfer eine günstige Kameraeinstellung übersehen, die dem Bildregisseur des Fernsehens dagegen aufgefallen ist.

Als Dedryk Boyata nach einer halben Stunde im eigenen Strafraum dem Düsseldorfer Oliver Fink auf den Fuß trat und der Unparteiische erneut weiterspielen ließ, hatte der VAR in Köln jedoch die besten Bilder parat, auch wenn er dafür überdurchschnittlich lange, nämlich eine ganze Minute benötigte. Diesmal gab es jedenfalls keine zwei Meinungen: Es war ein eindeutiges Foul, das nur eine Entscheidung zuließ, nämlich den Strafstoß. Im Gegensatz dazu schieden sich die Geister acht Minuten vor Schluss, als Kenan Karaman in den Berliner Strafraum flankte und der Herthaner Per-Ciljan Skjelbred den Ball mit dem rechten Arm ins Toraus lenkte. Ein strafbares Handspiel? Nein, befand der Schiedsrichter und entschied auf Eckstoß. Der Video-Assistent erhob keinen Einwand.

Beim Handspiel gibt es weiterhin einen Graubereich

Es ist eine Szene, die zeigt, wie schwierig die Beurteilung von Handspielen auch nach der Neuformulierung der betreffenden Regel sein kann: Einerseits war Skjelbred mit seinen Armen in einem natürlichen Bewegungsablauf, und der rechte Arm schwang ein Stück nach hinten, als er vom Ball getroffen wurde. Das ist ein Zeichen dafür, dass er nicht unter Spannung stand, wie es üblich ist, wenn der Ball aufgehalten werden soll. Die Körperfläche wäre damit nicht unnatürlich verbreitert worden. Andererseits wirkte es ein wenig so, als wäre der Arm nicht ganz zufällig in der Schussbahn des Balles gewesen und als hätte der Berliner das Handspiel zumindest billigend in Kauf genommen.

Eine Situation, in der es sowohl für die getroffene Entscheidung als auch für einen Elfmeterpfiff gute Argumente gibt und die sich auch nach mehrmaligem Betrachten der Wiederholungen nicht klar zur einen oder zur anderen Seite auflösen lässt. Deshalb war Petersens Entschluss, mit einem Eckstoß fortzufahren, zumindest vertretbar, und deshalb griff der VAR zu Recht nicht ein. Was bleibt, ist die Feststellung, dass von drei denkbaren Strafstößen für die Fortuna einer gegeben wurde - nämlich der einzige, der wirklich klar und eindeutig war. Die anderen beiden fallen in die Rubrik "Kann-Elfmeter". Aus der Perspektive des neutralen Beobachters ist es zu begrüßen, wenn in solchen Zweifelsfällen für den Angeklagten entschieden wird.

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Weltklassereflex: Schalkes Torwart Alexander Nübel.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

Was sonst noch wichtig war:

  • Apropos Handspiel: Als in der Partie des FC Schalke 04 gegen den 1. FC Köln (1:1) der Ball in der 58. Minute auf der Schalker Torlinie nach einem Weltklassereflex von Torwart Alexander Nübel an die Brust von Daniel Caligiuri und von dort an dessen erhobenen Arm gelangte, ließ Schiedsrichter Tobias Welz das Spiel weiterlaufen. Auch der VAR griff nicht ein. Dabei sehen die Regeln eigentlich einen Pfiff vor, wenn der Ball von einem anderen, in der Nähe befindlichen Spieler an den über Schulterhöhe gehaltenen Arm springt - selbst dann, wenn er den Umweg über einen anderen Körperteil des getroffenen Spielers macht. Ungestraft bleiben soll ein solches Ping-Pong nur dann, wenn der Betreffende seinen Arm weder erhoben noch zur unnatürlichen Verbreiterung der Körperfläche genutzt hat. Natürlich war Caligiuris Armhaltung jedoch nicht, und ohne das Handspiel wäre vielleicht ein in der Nähe befindlicher Kölner an den Ball gekommen. Deshalb wäre eigentlich einen Strafstoß fällig gewesen.
     
  • Nachsichtig war der Unparteiische auch mit Caligiuris Mitspieler Salif Sané und mit dem Kölner Kingsley Ehizibue. Beide hätten eigentlich die Gelb-Rote Karte sehen müssen: Sané nach 65 Minuten für eine eingesprungene Grätsche gegen Ellyes Skhiri, die nur mit Glück keine Verletzung zur Folge hatte; Ehizibue nach 79 Minuten für ein taktisches Foul an Amine Harit. Nachdem Tobias Welz in der ersten Hälfte bei den persönlichen Strafen ausgesprochen streng, aber auch mit klarer Linie agiert und gleich fünf Verwarnungen ausgesprochen hatte, schwenkte er nach der Pause um und zeigte sich großzügig. Womöglich wollte er so ein Kartenfestival vermeiden, aber auf diese Weise ging auch die Konsequenz verloren.
     
  • Ein regeltechnisches Kuriosum gab es in der Begegnung zwischen Eintracht Frankfurt und Werder Bremen (2:2) nach 50 Minuten: Schiedsrichter Guido Winkmann hatte zunächst nur auf Eckstoß für die Gastgeber entschieden, obwohl Milos Veljkovic den Frankfurter Goncalo Paciencia im Strafraum gehalten, geklammert und gezogen hatte. Es kam zwar zum On-Field-Review, aber aus dem Elfmeter für die Hausherren wurde trotzdem nichts, weil sich Paciencia zuvor im Abseits befunden hatte. Eigentlich ein unnötiger Gang des Referees an den Monitor am Spielfeldrand, nachdem sich die beiden ursprünglich nicht geahndeten Vergehen gewissermaßen gegenseitig aufgehoben hatten. Aber so wurde nun immerhin allen klar, warum ein Strafstoß auf keinen Fall in Betracht gekommen wäre. Und weil bei einem Review am Ende immer die vollständig richtige Entscheidung stehen muss, nahm Winkmann den Eckstoß zu Recht zurück und sprach den Bremern einen indirekten Freistoß wegen Abseits zu.

Quelle: ntv.de

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