Redelings Nachspielzeit

Schwierige Schiedsrichter-Welt 22 kleinen Betrügern kann man nicht trauen

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Wolf-Dieter Ahlenfelder wusste als Schiedsrichter, wie man mit Fußballspielern umzugehen hat.

(Foto: imago sportfotodienst)

"Rechts getroffen, links massiert", sagte Schiedsrichter-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder, wenn ein Spieler auf dem Platz wie von der Schrotflinte getroffen zusammensank. Aber er schätzte die Spieler dennoch und sie ihn genauso. Heute scheint das leider fast unmöglich.

"Das sind 22 kleine Betrüger, denen man die Wahrheit nicht entlocken kann", hat der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer vor einiger Zeit einmal gesagt. Am Wochenende habe ich über diesen Spruch und einen von Kinhöfers Vorgängern auf dem Platz mal wieder nachgedacht. Der Anlass: Der Strafstoß für Union am Freitagabend auf Schalke. Denn die Entscheidung für den Elfmeter der Berliner in der 35. Minute traf Schiri Daniel Schlager, obwohl ihm S04-Spieler Matija Nastasić versichert hatte, er habe seinen Gegenspieler gar nicht berührt. Eine Einschätzung, die der Video-Assistent Deniz Aytekin nach dem Studium der Fernsehbilder hätte unterstützen können bzw. müssen. Doch Schlager entschied sich dazu, Nastasić nicht zu glauben – und den Elfmeter für Union zu geben. Das sind immer die Momente, in denen mich ein unverwüstlicher Anfall von Romantik zurück in die 70er/80er-Jahre beamt. Ich überlege mir dann gerne: Wie hätte wohl die Schiri-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder diese Situation aufgelöst?

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Elfmeter für Union? Der Schiedsrichter sagte ja.

(Foto: imago images/Nordphoto)

In meinem geistigen Spaziergang zurück in die Vergangenheit gehe ich dann Sequenzen durch, die von damals überliefert sind. So wie etwa die Szene von Ahlis 100. Spiel. Nach der Partie zwischen Hannover und Nürnberg stand der Clubberer Stefan Reuter bei Journalisten. Ahlenfelder kam hinzu und fragte: "Sie unterhalten sich doch wohl nicht über den Elfmeter?" Reuter antwortete kleinlaut: "Für mich war das kein Strafstoß, aber Sie standen ja direkt daneben!" Ahlenfelder lächelt sanft und zufrieden: "Gut, dass Sie einem alten Mann noch etwas zutrauen." Und fertig!

"Wenn einer motzt, dann motze ich zurück"

Mit Schauspielern konnte der Mann aus Oberhausen eh nie viel anfangen. Sein Spruch dazu: "Rechts getroffen, links massiert." Und dennoch versuchte Wolf-Dieter Ahlenfelder brenzlige Situationen viel lieber verbal, denn brachial zu entschärfen. Besonders die Schwalbenkönige waren dabei Ahli ein Dorn im Auge. Schon vor der Weltmeisterschaft 1974 hatte der Schiedsrichter dabei einen besonderen Spieler im Blick. Über den Frankfurter Bernd Hölzenbein erzählte er einmal: "Der Bernd hob sagenhaft gut ab!". Doch nach dem herausgeholten Strafstoß im Endspiel gegen die Niederlande fiel Ahlenfelder auf die Masche des Nationalspielers nicht mehr rein: "Als der Bernd wieder einmal wie eine TUI durch den Elferraum segelte, bin ich zu ihm hin: ‚Nee, Bernd, da passiert überhaupt nichts. Die müssten dir schon das Bein abtreten, dann könnte es sein, dass ich mal auf den Punkt gehe!’"

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Ahlenfelder greift durch.

(Foto: imago sportfotodienst)

Doch auch damals waren nicht alle mit der Art des Mannes aus Oberhausen einverstanden. Schiedsrichterobmann Johannes Malka hat die Kritik an Ahlenfelder einmal in einem etwas sonderbaren Satz zusammengefasst: "Wenn jeder nach Fingerspitzengefühl pfeift, dann brauchen wir keine Schiedsrichter mehr. Dann kann jeder so pfeifen wie Herr Ahlenfelder." Dabei war es gerade dieses "Fingerspitzengefühl" das Ahli auszeichnete und das bei den Akteuren auf dem Platz wie bei den Zuschauern auf den Tribünen gleichermaßen gut ankam. "Wenn einer motzt, dann motze ich zurück", sagte er einmal und erzählte die mittlerweile legendäre Geschichte von seinem Freund Paul Breitner, der ihn mehrfach mit "du Affe" angesprochen hatte. Ahlenfelder konterte gelassen: "Schau mal in den Spiegel, Breitner, dann weißt du Bescheid."

"Beschwerdekultur" ist neu

Thorsten Kinhöfer beklagte neulich sehr anschaulich, dass eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit den Spielern heutzutage leider einfach nicht mehr möglich sei. Sein Beispiel, wie er zu diesem traurigen Fazit gelangte, kann jeder Fußballfan nachvollziehen: "Schießt bei der Partie Gelb gegen Grün der gelbe Spieler den Ball für alle gut sichtbar ins Aus, dann kann man sicher sein, dass hinterher sowohl der grüne wie der gelbe Spieler den Arm heben und den Einwurf für sich reklamieren."

Ahlenfelder wäre wohl in früheren Zeiten ausgerastet ob dieser Verhältnisse. Doch damals gab es diesen kollektiven Drang, wie Kinhöfer es nennt, für sein Team mit "allen erlaubten und unerlaubten Mitteln einen Vorteil zu erzielen" noch nicht in diesem Maße. Auch die "Beschwerdekultur" existierte nur bei einigen wenigen Spielern und Trainern. Wer das nicht glauben mag, schaue sich einmal den Treffer zum 3:1 der DFB-Elf im Finale gegen die Niederlande bei der WM 1974 an. 3:1? Richtig, das Tor gab es wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung nicht - obwohl es mehr als korrekt erzielt wurde. Doch weder der verhinderte Torschütze Gerd Müller noch der Trainer der deutschen Mannschaft, Helmut Schön, reklamierten. Keine Regung. Nichts. Man kann es kaum glauben, wenn man die Bilder von damals sieht, mit welcher Gelassenheit sie die (falsche) Entscheidung des Schiedsrichters akzeptierten.

"Lass dich auswechseln, sonst wechsel ich dich aus"

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Schiedsrichter Kinhöfer sagt, der offene Umgang mit Spielern wäre heute nicht mehr möglich.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Die Zeiten der Gespräche, der offenen Kommunikation auf dem Platz scheinen zudem vorbei. Kinhöfer sagt dazu: "Dieser Umgang ist heute undenkbar. Die Spieler haben sich auch verändert. Die sagen dann schnell: ‚Wie reden Sie eigentlich mit mir?’". Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob das "viele Geld", wie Kinhöfer meint, oder andere Faktoren das (Zusammen-)Spiel in diese Richtung gedrängt haben. Vielleicht trägt am Ende sogar der DFB eine Mitschuld. Denn als Wolf-Dieter Ahlenfelder im November 1987 seine Karten lieber in der Tasche ließ und stattdessen dem Mannheimer Dieter Finke beim Spiel gegen den VfB Stuttgart zuraunte - "Lass dich auswechseln, sonst wechsel ich dich aus" -, da fand der Fußballbund diese Aktion gar nicht toll und verpasste Ahlenfelder anschließend eine Denkpause. Schade. Denn Mannheims Trainer Felix Latzke hatte sofort reagiert, seinen Spieler Finke ausgewechselt und ihn so vor einer roten Karte bewahrt.

Dass der Schiedsrichter der Partie vom Freitag auf Schalke auf den Gedanken gekommen wäre, den vermeintlich gefoulten Unioner danach zu befragen, ob er denn selbst meinen würde, dass er strafstoßreif gelegt worden sei, bleibt angesichts der heutigen Verhältnisse leider ein allzu romantisches Hirngespinst. Aber so lange die Lamentierer, Schauspieler und Armheber im Fußball den Ton angeben, wird sich niemand darüber aufregen können, dass man sich von Zeit zu Zeit in nostalgischen Erinnerungen an Typen wie Ahlenfelder verfängt. Wie sagte Ahli einmal so schön in der 89. Minute im Stuttgarter Neckarstadion zu einem Spieler: "Komm steh auf. Ich bin auch kaputt wie ein Hund. Aber die sechzig Sekunden kriegen wir auch noch rum, was?!" Und dann war alles gut.

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Quelle: ntv.de

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