
In einem anderen Jahrtausend: Claudio Pizarro, 28. August 1999.
(Foto: imago/Camera 4)
Dieser Mann ist einfach faszinierend. Mit über 40 Jahren entscheidet Claudio Pizarro noch wichtige Spiele. Dafür wird der Peruaner im Grunde von allen Fußballfans geliebt. Denn durch ihn leben auch wir einen Traum weiter, der eigentlich schon viele Jahre vorbei ist.
Ich kann mich noch genau erinnern, wie wir am 8. Juni 1990 vor dem Fernseher saßen und staunten. Der Fußballzwerg aus Kamerun hatte den amtierenden Weltmeister Argentinien im Eröffnungsspiel bei der WM in Italien schon 81 Minuten lang an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und nun stand ein Mann im San Siro in Mailand zur Einwechslung bereit, den der Kommentator als einen 38-Jährigen ankündigte, der sich in der französischen Provinz mehr schlecht als recht als Profi über Wasser hielt. Roger Milla.

Auch so ein Typ: Roger Milla beim 1:0 seiner Kameruner gegen Argentinien im Eröffnungsspiel der WM 1990.
Der älteste Feldspieler dieser Weltmeisterschaft. Tatsächlich unfassbare 38 Jahre alt. Was für ein biblisches Alter. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt zwar nur fünf Jahre älter. Aber gefühlt trennten ihn und Milla Lichtjahre. Besonders, als der Kameruner im zweiten Spiel gegen Rumänien nach seinem Treffer zum 1:0 an die Eckfahne eilte und seinen filigranen Lambada-Jubel zelebrierte. Vater hatte Mutter damals in der Tanzschule kennengelernt, aber ich zweifelte, ob sich der Mann, der da neben mir auf der Couch saß, nun, in diesem fortgeschrittenen Alter, nicht alle Knochen brechen würde, wenn er seine Hüften so schwungvoll kreisen ließe wie eben dieser Milla. Der Kameruner wurde zum Helden dieser WM. Nicht nur wegen seines Alters, aber auch.
Am Dienstagabend vergangener Woche saß ich wieder auf der Couch und schaute Fußball. DFB-Pokal. Borussia Dortmund gegen den SV Werder Bremen. Es lief die 108. Minute, als ein über 40 Jahre alter Mann aus Peru in der Verlängerung ein Wahnsinnstor zum 2:2 schoss. Irgendwo schrieb hinterher jemand, dass sich selbst manch Jungspund bei solch einem Tor die Knochen gebrochen hätte. Und ich? Ich blickte auf den Flachbildschirm an der Wand, der Bilder in HD-Qualität aus dem nur wenige Kilometer entfernten Dortmund zeigte, und versuchte mich aus der bequemen Liegeposition etwas aufrechter zu setzen - merkte aber wie der Rücken diese Positionsverlagerung nur unter Schmerzen vollziehen wollte.
Einmal den Traum vom Fußballprofi leben
Ich ächzte und dachte wirklich in diesem Moment an Milla, an meinen Papa und an den kleinen Jungen des Jahres 1990 zurück. Viel Zeit ist seither vergangen. Jahre, in denen ich lernte, was das Alter ist. Claudio Pizarro ist nur drei Jahre jünger als ich und dennoch trennen ihn und mich altersmäßig ganz offenkundig Welten. Genau wie damals meinen Vater und Milla.
Es ist nicht zu fassen, was Pizarro in seinem Alter auf diesem Niveau leistet. Ein Ausnahmefußballer mit einem hohen Sympathiefaktor war er schon immer. Aber dass er nun mit über 40 Jahren in der Lage ist, Spiele zu entscheiden, das fasziniert jeden, der mal vor den Ball getreten hat. Kein Wunder, dass das Scherzbild einer Boulevard-Zeitung, das den Bremer als graumelierten 77 Jahre alten Mann über der Bildunterschrift "Pizarro hängt noch ein Jahr dran" zeigte, in den sozialen Netzwerken direkt nach dem Pokaltriumph von Werder hitverdächtig geklickt wurde. Der Scherz liegt schließlich auch darin, dass es im Moment gar nicht so abwegig erscheint, den Peruaner auch in diesem Alter noch aktiv auf dem Fußballrasen zu sehen.
Das Faszinosum Pizarro ergründet sich aber vor allem in einem Punkt: Der Bremer weckt in uns stets aufs Neue den kleinen Jungen, der einst davon träumte, Fußballprofi zu werden. Wenn wir Pizarro spielen sehen, dann spüren wir, dass dieser Traum noch immer in uns lebt. Und durch jeden weiteren Auftritt dieses herrlich sympathischen Peruaners auf dem Rasen wissen wir: Dieser Traum kann noch eine ganze Weile weiterleben. Glück auf, Claudio Pizarro!
Quelle: ntv.de