
Snowden-Dokumente zeigen, dass der britische Geheimdienst GCHQ die Macht hat, jedermanns Reputation im Internet zu zerstören.
(Foto: picture alliance / dpa)
Gefälschte Blogs, fingierte Dokumente, Facebook-Propaganda: Der britische Geheimdienst soll über ein ganzes Waffenarsenal verfügen, um die Reputation von Menschen und Firmen im Netz zu vernichten. Und die öffentliche Meinung zu manipulieren.
Es ist der Stoff aus dem Agententräume sind: Geheimdienstleute locken Menschen in Sex-Fallen, um Informationen zu erpressen oder sie zum Schweigen zu bringen. Sie streuen Gerüchte bei Verwandten, Freunden, Kollegen. Fingieren Dokumente, schieben sie jemandem unter, erfinden Schauergeschichten. Sie tun alles, um den Ruf einer Person zu zerstören und sie gesellschaftlich zu vernichten. Im Papierzeitalter mussten die Agenten Ihrer Majestät dafür aufwendige Operationen in der realen Welt organisieren. In der Online-Ära reichen dafür womöglich schon ein paar Klicks.
Das behauptet Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald auf seiner neuen Webseite "The Intercept". In den vergangenen Wochen hatte Greenwald in Kooperation mit dem US-Sender NBC berichtet, welche Tricks der britische Geheimdienst GCHQ entwickelt hat, um Staaten, Terroristen oder Waffenhändler zu diskreditieren: die Überwachung von Youtube, Wikileaks und Bloggern, Server-Attacken gegen Netzwerke der Hackergruppe Anonymous, Sex-Fallen, Computerviren, Schein-Operationen, die anderen in die Schuhe geschoben werden.
Bei den neusten Enthüllungen geht es um etwas noch viel Radikaleres: "Die Kunst der Täuschung: Training für eine neue Generation verdeckter Online-Operationen", heißt das jüngste Snowden-Dokument. Es ist eine Art Handbuch der GCHQ-Datenspione für den schmutzigen Krieg im Internet. Und gibt einen verstörenden Einblick in die Taktiken, die die Agenten womöglich einsetzen können, um ohne Gerichtsbeschluss oder legale Ermächtigung nach Belieben Rufmord an Menschen und Firmen im Internet zu begehen. Und nichts weiter als die öffentliche Meinung nach ihrem Willen zu manipulieren.
Infiltrieren, degradieren, kontrollieren
Zuständig für die schmutzigen Einsätze soll eine besonders dunkle Truppe sein, die Joint Threat Research and Intelligence Group (JTRIG). Mehr als 150 JTRIG-Agenten sollen bis Anfang 2013 ausgebildet worden sein. Sie sollen im Wesentlichen zwei Aufgaben haben: Falsches Material im Internet zu veröffentlichen, um die Reputation eines Ziels zu zerstören. Und Propaganda-Einsätze zu fahren, um die öffentliche Debatte zu einem Thema in die gewünschte Richtung zu lenken. Infiltrieren, manipulieren, degradieren und kontrollieren, darum geht es laut Greenwald im "Drehbuch der Disruption", wie eine Folie überschrieben ist.
Das "Diskreditieren eines Ziels" heißt das im Schnüffel-Jargon. Um jemanden zu zerstören, ziehen die Spione nicht nur in Erwägung "eine Sex-Falle zu stellen". Sie sind offenbar auch in der Lage "seine Fotos auf Sozialen Netzwerken zu ändern". Oder "Blogeinträge zu schreiben, die behaupten, eines seiner Opfer zu sein". Und schließlich "Kollegen, Nachbarn, Freunde" anzumailen und anzusimsen.
Wenn es um das "Diskreditieren einer Firma" geht, greifen die Agenten offenbar zu noch härteren Mitteln: "Vertrauliche Informationen an Firmen/die Presse über Blogs etc. durchstechen" ist eine Methode. "Negative Informationen in entsprechenden Foren posten" eine andere. Sie sollen einem Ziel dienen: "Deals verhindern/Geschäftsbeziehungen ruinieren". Das Ziel aller dieser "Verdeckten Online-Aktionen" ist klar: "Online-Techniken einsetzen, um etwas in der realen Welt oder der Cyber-Welt zu verwirklichen". Die Agenten wollen die Deutungshoheit darüber haben, was wirklich geschieht. Oder vielmehr, was Menschen glauben sollen, das wirklich geschieht.
Meister der öffentlichen Meinung
Denn das Erschreckende an Snowdens neusten Enthüllungen ist nicht, dass Rufmordkampagnen und Täuschungsaktionen mit modernen Kommunikationsmitteln möglich sind. Oder das Geheimdienste solche schmutzigen Methoden einsetzen. Sondern dass die potentiellen Ziele solcher Aktionen offenbar nicht mehr nur feindliche Staaten, Geheimdienste, Armeen oder Terroristen sind. Sondern Normalbürger und Firmen, denen niemals ein Verbrechen nachgewiesen, die nicht einmal wegen einer Straftat angeklagt wurden. Und das Spione, die keinerlei öffentliche Rechtfertigung für ihre Entscheidungen abgeben müssen, die grenzenlose Macht haben, dabei Ankläger, Richter und Vollstrecker gleichzeitig zu spielen.
Ob diese Rufmord-Methoden bereits gegen Ziele eingesetzt wurden, ergibt sich aus den neusten Snowden-Dokumenten nicht. Aber sie zeigen, dass ein westlicher Geheimdienst Online-Foren infiltrieren kann. Dass die Regierung eines demokratischen Staates die Macht hat, gezielt Lügen über jeden zu verbreiten und das offenbar auch und in Erwägung zieht. Glenn Greenwalds neuste Enthüllungen rühren an der Gretchenfrage der Demokratie: Was ist die Wahrheit? Mehr noch: Was ist die Wirklichkeit?
Quelle: ntv.de