
US-Ermittlungen wecken Zweifel an der Bitcoin-Stabilität. Der Kurs fällt.
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Die US-Justiz liefert erstmals Belege, dass es beim Bitcoin-Hype womöglich nicht mit rechten Dingen zugeht: Milliardenschwere Dollar-Reserven, die als Sicherheitspfand für die Krypto-Kurse dienen, sind offenbar veruntreut worden.
Jedes Geldsystem der Welt beruht auf dem Vertrauen, dass hinter der Währung echte Werte stehen. Verlieren die Nutzer den Glauben daran, dass ein Zahlungsmittel mit Gegenwerten gedeckt ist, droht das Finanzsystem zusammenzubrechen. Womöglich passiert genau das gerade mit dem Bitcoin: Laut US-Ermittlern werden die Sicherheitsreserven der digitalen Leitwährung systematisch geplündert.
Im Zentrum der Ermittlungen steht die Krypto-Währung Tether: Sie ist eine Art digitaler Goldstandard, auf dem Bitcoin und der gesamte Krypto-Markt fußt. Die Macher von Tether versprachen lange, dass man jeden der Digitalcoins jederzeit gegen einen Dollar eintauschen kann, das Cyber-Geld also an echtes Geld gekoppelt ist. Daher auch der Name: Tether ("anbinden"). Genau dieses Versprechen stabilisiert auch den Bitcoin, weil dessen Käufer die Sicherheit haben, dass sie die Krypto-Währung in Tether tauschen können - und damit potentiell auch in Dollar. Ein Großteil des weltweiten Bitcoin-Handels wird deshalb in Tether abgewickelt.
Doch nun behauptet die New Yorker Generalstaatsanwältin, dass die Macher von Tether heimlich die Reserven des "Stablecoin" abzapfen: Die Betreiber der Krypto-Börse Bitfinex, die auch hinter Tether stehen, hätten Geld aus den Dollar-Beständen von Tether abgezogen, um einen Verlust von 850 Millionen Dollar zu vertuschen, teilte Letitia James auf einer Pressekonferenz mit. Der Verlust sei den Investoren der Börse nie offengelegt worden.
Mindestens 700 Millionen Dollar seien so bereits aus den Cash-Reserven von Tether abgeflossen. Die Ermittler haben inzwischen eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es den Betreiberfirmen in Hongkong verbietet, weiteres Geld aus den Tether-Reserven auf Bitfinex-Konten zu verschieben und sie zwingt, Dokumente und Informationen offenzulegen, die sie seit November verweigern.
Der Vertrauensverlust der Anleger lässt sich unmittelbar am Bitcoin-Kurs ablesen: Nach Bekanntwerden der Vorwürfe sackte er um mehr als sechs Prozent ab. Auch am Freitag setzt er seinen Sinkflug fort und liegt bis zu zehn Prozent im Minus. Die Anschuldigungen bedrohen nicht weniger als den Ruf des Cybergelds an sich: Sollte etwas an Tether faul sein, könnte das den gesamten Krypto-Handel destabilisieren.
"Schwarze Kasse" für massive Vertuschung
Mit einer Reihe fragwürdiger Geschäfte hätten sich die Chefs der Bitfinex-Börse, die zugleich auch Tether betreiben, selbst Zugriff auf die Tether-Reserven in Höhe von bis zu 900 Millionen Dollar gewährt, behaupten die Ermittler. "Diese Transaktionen behandeln die Cash-Reserven von Tether als schwarze Kasse von Bitfinex und werden genutzt, um die massiven, unveröffentlichten Verluste von Bitfinex sowie die Unfähigkeit, Kundenabhebungen zu erfüllen, zu verschleiern", heißt es in der Mitteilung der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft.
Bitfinex weist die Vorwürfe zurück: Sie seien "mit Arglist erhoben" und "mit falschen Behauptungen durchsetzt", teilte die Börse in einer Stellungnahme auf ihrer Webseite mit. "Sowohl Bitfinex als auch Tether sind finanziell stabil - Punkt." Man werde sich gegen die "krasse Überschreitung" der Generalstaatsanwaltschaft mit allen Mitteln zur Wehr setzen und den Vorwürfen "energisch entgegentreten".
Laut Generalstaatsanwaltschaft begannen die Probleme Mitte 2018, als Bitfinex "ohne schriftlichen Vertrag oder Rückversicherung" 850 Millionen Dollar an einen obskuren Zahlungsabwickler namens Crypto Capital Corp. in Panama transferierte, um Abhebungen von Kunden abzuwickeln. Die Firma habe das Geld einfach einbehalten. Um den Verlust auszugleichen, habe Bitfinex dann die Dollar-Reserven von Tether angezapft. Bitfinex sagt dagegen, das Geld sei nicht verloren, sondern "sichergestellt". Man arbeite daran, es zurückzubekommen.
Die Enthüllungen verstärken den lange gehegten Verdacht vieler Krypto-Kritiker, dass die Reservebasis von Tether gar nicht wirklich existiert. Die Macher der Digitalwährung haben nie einen von einem Wirtschaftsprüfer testierten Bericht über ihre Dollar-Bestände veröffentlicht. Erst im März schwächten sie ihr zentrales Stabilitätsversprechen ab: Statt früherer Behauptungen, die Coins seinen hundertprozentig mit Geld gedeckt, heißt es nun auf der Tether-Webseite, die Cyber-Währung sei mit Reserven aus Geld, Zahlungsmitteläquivalenten und anderen Gegenwerten besichert.
Experten wie der US-Starökonom Nouriel Roubini vermuten schon lange, dass das Cybergeld nichts weiter ist als ein gigantischer Milliardenbetrug, mit dem der Bitcoin-Kurs künstlich gepusht wurde. Denn die Tether-Macher sollen immer dann, wenn der Bitcoin-Kurs ins Rutschen geriet, über ihre Bitfinex-Börse neue Tether ausgegeben und damit Bitcoins gekauft haben, um den Kurs zu stabilisieren. Zwei Forscher der Universität von Texas deckten das auffällige Handelsmuster Mitte 2018 auf - zufällig etwa genau zu der Zeit, als Bitfinex erstmals die Cash-Reserven von Tether angezapft haben soll.
Quelle: ntv.de