Angeklagt wegen der Lagarde-Liste Journalist siegt vor Gericht
01.11.2012, 21:26 Uhr
Ein Fall von internationalem Interesse: Kostas Vaxevanis kurz vor Prozessbeginn.
(Foto: dpa)
In Griechenland stellt sich die Justiz in einem bemerkenswerten Fall schützend vor die Presse: Athener Richter sprechen den Chefredakteur eines Magazins vom Vorwurf frei, die Privatsphäre mutmaßlicher Steuerflüchtlinge verletzt zu haben. Der Journalist entgeht damit einer mehrjährigen Haftstrafe.
Der wegen der Veröffentlichung einer Namensliste von Inhabern zweifelhafter Auslandskonten vorübergehend festgenommene griechische Journalist Kostas Vaxevanis ist vom Diebstahlvorwurf freigesprochen worden. Die Entscheidung fiel, nachdem der 46-Jährige bestritten hatte, die Privatsphäre griechischer Inhaber von Schweizer Konten verletzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte Vaxevanis "Diebstahl persönlicher Daten" vorgeworfen.
"Ich habe das Risiko auf mich genommen, ich habe meine Arbeit gemacht und werde vom Gesetz geschützt", hatte Vaxevanis unmittelbar vor Prozessbeginn erklärt. Die Presse habe das Recht, Dokumente zu veröffentlichen, die von Behörden unterschlagen oder als unwichtig dargestellt würden, wenn damit Skandale aufgedeckt würden.
Der Fall Vaxevanis sorgt in der griechischen Öffentlichkeit für erhebliches Aufsehen. Zuletzt hatte der Herausgeber des Magazins "Hot Doc" der Justiz Heuchelei vorgeworfen und auch die griechischen Medien kritisiert, die bisher nicht über die Liste berichtet hätten. Der Präsident der Internationalen Journalistenföderation, Jim Boumelha, nannte den Prozess eine "absurde Farce".
Mit dem IWF im Rücken
Der Internationale Währungsfonds ( ) forderte, vermögende Griechen müssten ihren Beitrag zur Sanierung des Landes leisten. IWF-Sprecher Gerry Rice sagte, wohlhabende Griechen müssten ihren gerechten Anteil an den Steuern bezahlen. Während das Volk enorme Anstrengungen leiste, um das Land zu sanieren, sei es wichtig, "dass die Umverteilung auf faire und angemessene Weise" vonstatten gehe.
Im Fall einer Verurteilung drohten Vaxevanis eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn nach Veröffentlichung von 2059 Einträgen aus der sogenannten Lagarde-Liste am vergangenen Wochenende vorübergehend festnehmen lassen. Zur Vorbereitung seiner Verteidigung kam er kurzfristig wieder auf freien Fuß.
Entwendetes Beweismaterial
Das Verzeichnis der Konteninhaber bei einer Schweizer Niederlassung der britschen Großbank HSBC hatte die damalige französische Finanzministerin und jetzige IWF-Chefin im Jahr 2010 ihrem griechischen Kollegen zukommen lassen. Auf den Konten der auf der Liste genannten griechischen Bürger vermuteten die französischen Behörden erhebliche Schwarzgeld-Beträge.
Vaxevanis erklärte, als Journalist mit der Veröffentlichung der Namensliste im öffentlichen Interesse gehandelt zu haben. Offen ist bislang, ob es sich bei dem fraglichen Dokument tatsächlich um die sogenannte Lagarde-Liste handeln, die in Griechenland seit längerem für Spekulationen sorgt. Sie führt mehr als 2000 Personen auf, die auf Steuerhinterziehung geprüft werden sollten.
Die griechische Justiz hatte es bislang abgelehnt, die Bankdaten im Kampf gegen Steuerhinterziehung zu verwenden, da sie ursprünglich von einem entwendet worden waren. Angesichts weiterer Sparvorhaben der Regierung wuchs zuletzt aber der Druck, die Liste auch zur Jagd nach Steuersündern zu nutzen.
Der Staatsanwalt warf Vaxevanis vor, "eine Reihe von Personen öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben" zu haben. Der Journalist habe sie einer "nach Blut dürstenden Gesellschaft" ausgeliefert. Die griechischen Behörden erklärten, es gebe keine Hinweise darauf, dass die aufgelisteten Personen gegen Gesetze verstoßen hätten.
Journalismus oder "Kannibalismus"?
Die Lösung der Probleme Griechenlands sei aber nicht "Kannibalismus", betonte der Staatsanwalt. Vaxevanis hielt dagegen, die Existenz dieser Liste und ihr Ursprung sei längst bekannt. Die Ungewissheit, ob es sich dabei tatsächlich um unversteuerte Beträge handele, "verpeste" die politische Atmosphäre in Griechenland. "Um endlich Licht in die Sache zu bringen", habe "Hot Doc" die Namen der 2059 auf der Liste erwähnten Griechen genannt, "ohne jedoch die Guthaben auf diesen Konten oder sonstige persönliche Daten zu erwähnen".
"Wir haben diesen Personen keine Straftaten unterstellt, sondern nur ein Ermittlungsverfahren gefordert", erklärte Vaxevanis in einem Gastbeitrag für den britischen "Guardian". Der Umgang mit Steuerflüchtlingen nährt in der griechischen Bevölkerung die Sorge vor Korruption und Vetternwirtschaft bis in höchste Kreise. Die Lagarde-Liste soll auch die Namen zahlreicher prominenter Griechen aus Politik und Wirtschaft enthalten. Das Urteil im Fall Vaxevanis wurde vor diesem Hintergrund nicht nur innerhalb der griechisch-sprachigen Presselandschaft mit Spannung erwartet. Dort herrscht ohnehin eine angespannte Stimmung.
Unantastbare Minister?
Erst zu Beginn der Woche hatten Redakteure des griechischen Staatsfernsehens ihrem Sender "NET TV" Zensur vorgeworfen. Die Anstalt hatte die beiden Moderatoren Marilena Katsimi und Kostas Arvanitis kurzerhand suspendiert, nachdem sie unter Hinweisen auf Berichte über Polizeifolter die Frage nach einem Rücktritt des zuständigen Ministers gestellt hatten.
"Hier geht es nicht mehr um uns", sagte Arvanitis. "Werden wir von jetzt an eine Liste von Worten und Bemerkungen bekommen, die wir machen dürfen?" Der Sender warf den beiden Journalisten vor, "inakzeptable Anspielungen" gegenüber Minister Nikos Dendias gemacht und ihm keine Gelegenheit zur Erwiderung gegeben zu haben. Dies sei gar nicht Pflicht, erklärte Arvanitis. Spöttisch sagte er: "Wir wollen uns auch dafür entschuldigen, dass wir gestern einen Kommentar zu den US-Wahlen gesendet haben, ohne bei (US-Präsident Barack) Obama anzurufen und seine Meinung zu dem Thema einzuholen."
In dem aufgeheizten Umfeld nach der Verhaftung des "Hot Doc"-Chefs Vaxevanis sorgte das Vorgehen gegen die beiden TV-Journalisten für neue Empörung. Vaxevanis schnelle Festnahme am Sonntag stand für viele Griechen im scharfen Kontrast zu den angeblich schleichenden Ermittlungen gegen griechische Steuersünder.
Scharfe Worte von der Anwaltskammer
Zuletzt zeigte sich sogar die Athener Anwaltskammer überrascht, wie schnell die Behörden gegen den Journalisten vorgegangen seien. "Diese Entscheidungen senden die Botschaft an die Gesellschaft, dass die demokratischen Einrichtungen in Griechenland - oder was von ihnen übrig ist - jetzt dem Machterhalt des Systems dienen."
In dem vom Bankrott bedrohten Land wächst die Wut auf Politiker und Reiche. Viele Griechen werfen der Elite vor, das Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen, während der Großteil der Bevölkerung unter dem drakonischen Sparkurs zu leiden hat.
Quelle: ntv.de, AFP