
Ein Mann schaut sich im Juni Waschmaschinen in Moskau an.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Armenien und Kasachstan importieren derzeit erstaunlich viele Kühlschränke und Waschmaschinen. Die meisten Geräte stammen aus Europa. Werden damit Sanktionen umgangen, damit Russland neue Panzer und Raketen für seinen Angriff auf die Ukraine bauen kann?
In Armenien stapelt sich anscheinend die schmutzige Wäsche. Allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres hat das kleine Land im Kaukasus mehr Waschmaschinen aus der EU importiert als 2020 und 2021 zusammen. Im April und Mai waren die Wäschekörbe und die Wäschetruhe in Armenien anscheinend so voll, dass die Waschmaschinen mit dem Flugzeug aus der EU eingeflogen werden mussten.
Auch in Kasachstan gab es einen akuten Waschmaschinenmangel. Allein im April wurden dieses Jahr fast sechsmal so viele Waschmaschinen aus der EU gekauft wie vor einem Jahr. Auch Kühlschränke sind anscheinend knapp: Bis einschließlich August hat der zentralasiatische Riesenstaat Kühlschränke im Wert von mehr als 21 Millionen US-Dollar aus der EU importiert. Das ist mehr als dreimal so viel wie letztes Jahr von Januar bis August.
Das geht aus Daten hervor, die die europäische Statistikbehörde Eurostat gesammelt, und das amerikanische Finanzportal Bloomberg ausgewertet hat, weil diese amüsant anmutenden Importzahlen einen ernsten Hintergrund haben: Es besteht der Verdacht, dass Kühlschränke und Waschmaschinen über Armenien, Kasachstan und andere Nachbarländer nach Russland geschmuggelt werden, damit Wladimir Putin sie ausschlachten und mit Bauteilen daraus neue Panzer und Raketen bauen kann. Die scheinen dem russischen Präsidenten nämlich auszugehen.
Hohe Verluste, kaum Nachschub
Vor wenigen Wochen haben NATO und der britische Geheimdienst unabhängig voneinander bestätigt, dass in Russland Ausrüstung und Munition werden knapp. Teilweise soll die russische Armee im Oktober bis zu 40 Panzer pro Tag verloren haben. Um die Verluste aufzufangen, werden demnach Panzer in Belarus zugekauft.
Auch bei präzisionsgelenkter Munition soll der Bestand stark geschrumpft sein, also bei modernen Lenkwaffen wie Marschflugkörpern. Die werden beim Angriff auf die Ukraine schon seit einiger Zeit nur noch spärlich eingesetzt. Stattdessen greift die russische Armee aktuell immer wieder mit Raketen an, die eigentlich für die Luftabwehr gedacht sind.
Viele Raketen "verbrannt"
Die Ursache ist kein großes Geheimnis: Das US-Verteidigungsministerium hatte bereits im Mai berichtet, dass die russische Armee in den ersten Kriegstagen und Wochen viele präzisionsgelenkte Raketen "verbrannt" habe. Und für den nötigen Nachschub sollen wegen der Sanktionen wie bei Panzern wichtige Bauteile fehlen. Denn auch Marschflugkörper benötigen moderne Chips, damit sie zuverlässig ihr Ziel finden. Diese stammen aber in vielen Fällen aus Europa oder den USA. Material, auf das Russland nicht länger zurückgreifen kann.
Stattdessen werden anscheinend Haushaltsgeräte ausgeschlachtet. Denn auch darin sind Chips verbaut, die man anscheinend für Drohnen, Panzer und Raketen nutzen kann. "Uns liegen Berichte vor, dass Ukrainer russische Militärausrüstung im Kampfgebiet finden, die mit Halbleitern aus Geschirrspülern und Kühlschränken gefüllt ist", hatte US-Handelsministerin Gina Raimondo schon im Mai erklärt.
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Importieren Armenien und Kasachstan Haushaltsgeräte aus Europa, um sie anschließend illegal nach Russland einzuführen? Sollte das so sein, wäre das ein klarer Fall von Parallelimporten: Ein technischer und rechtlicher Begriff für nicht-legale Importe, erklärt Politologe Alexander Libman von der Freien Universität Berlin.
Parallelimporte als Umweg
Elektronische Haushaltsgeräte stehen nicht per se auf der Sanktionsliste der EU. Aber viele Firmen haben sich freiwillig vom russischen Markt zurückgezogen. Außerdem ist der Verkauf von Dual-Use-Gütern nach Russland verboten. Das kann zum Beispiel Halbleiter betreffen, die in Waschmaschinen, aber auch Raketen verbaut sind. Parallelimporte sind der schnellste Weg, um trotz dieser Einschränkungen an wichtige Waren zu kommen - und der Grund, warum Russinnen und Russen in Elektronikfachmärkten immer noch iPhones kaufen können, obwohl sich Apple aus dem Land zurückgezogen hat.
"Parallelimport bedeutet, dass Russland sagt: Wir brauchen 20.000 iPhones", erklärt Politologe Libman das Konzept. "Irgendeine Firma kauft sie dann irgendwo auf der Welt ein. Nicht unbedingt bei Apple und auch nicht mit der Erlaubnis von Apple. Man kauft und verkauft Waren einfach ohne Genehmigung des Markeneigentümers."
Exporte springen nach oben
Die rechtlichen Voraussetzungen für die illegalen Importe hat die russische Regierung schon vor Monaten geschaffen. Anfang Mai veröffentlichte das Industrie- und Handelsministerium eine Liste mit Produkten aus rund Hundert Warenkategorien, für deren Einfuhr keine Zustimmung der Hersteller mehr nötig ist. Das Verbot von Parallelimporten, die Hersteller und Markeninhaber schützen sollen, wurde somit aufgehoben.
Ein Angebot, das anscheinend angenommen wird. Denn in Kasachstan hat nicht nur die Einfuhr von Kühlschränken zugenommen. Daten der Regierung in Astana zeigen, dass gleichzeitig auch die Lieferungen von Kühlschränken, Waschmaschinen und elektronischen Brustpumpen nach Russland sprunghaft angestiegen sind: In diesem Jahr hat Kasachstan bereits Waschmaschinen im Wert von 7,5 Millionen Euro exportiert. In den beiden vorherigen Jahren lagen die Exporte beinahe bei 0. Die Ausfuhr von Kühlschränken hat sich gegenüber dem Vorjahr verzehnfacht.
Iran und Nordkorea als Vorreiter
Ob Kühlschränke, Waschmaschinen und elektronische Brustpumpen tatsächlich nach Russland geliefert werden, um sie für Panzer, Raketen oder Kampfflugzeuge auszuschlachten, lässt sich nicht beweisen. Es ist nicht einmal klar, ob das überhaupt in großem Umfang funktionieren würde. Möglicherweise wollen kasachische und armenische Händler einfach eine Lieferlücke füllen, die durch die Sanktionen entstanden ist, und ein bisschen Geld mit dem Verkauf von Haushaltswaren verdienen.
Aber das Konzept, Parallelimporte zu nutzen, um an beliebte Konsumgüter wie iPhones oder wichtige Bauteile für moderne Computer oder Waffen zu kommen, ist nicht neu. Der Iran und Nordkorea umgehen auf diese Weise schon seit vielen Jahren westliche Sanktionen. Und der russische Rüstungsbetrieb Uljanowsk soll bereits im April versucht haben, dringend benötigte Bauteile für seine Raketen, die aus Deutschland stammen, über den Umweg Kasachstan ins Land zu schmuggeln. Dieser Plan soll damals an den hohen Kosten gescheitert sein, die durch den neuen und deutlich längeren Lieferweg entstanden wären und "das verfügbare Budget gesprengt hätten", wie es in unbestätigten Berichten hieß.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de