Wirtschaft

Mehr ist nicht immer besser Wenn Wachstum an seine Grenzen stößt

Wachstum ist nicht alles.

Wachstum ist nicht alles.

(Foto: picture alliance / All Canada Photos)

Immer mehr Unternehmen entscheiden sich gegen Wachstum. Die Forschung zeigt sogar, dass diese Firmen innovativer, sparsamer und krisenresistenter sind. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn nur ganz bestimmte Unternehmen können überhaupt eine solche Strategie in Erwägung ziehen.

Seit 2001 erwirtschaftet die Richard Henkel GmbH ungefähr die gleichen Umsätze. Die Erlöse belaufen sich auf 3,5 Millionen Euro pro Jahr. Der Hersteller für Gartenmöbel mit seinen etwa 50 Mitarbeitern ist damit zufrieden und hat nicht vor, daran etwas zu ändern. Und das liegt nicht daran, dass die Nachfrage nach seinen ausschließlich in Deutschland hergestellten Möbeln sinken würde. Im Gegenteil, sie steigt. Das schwäbische Familienunternehmen hat einfach irgendwann beschlossen, dass es nicht mehr wachsen will.

Die Richard Henkel GmbH gehört damit zu einer wachsenden Zahl von Unternehmen, die eine Anti-Wachstumsstrategie verfolgt. Im Kern bedeutet das: "Der Verbrauch an Materialien und Ressourcen darf nicht wachsen", sagt Daniel Deimling, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Heilbronn, ntv.de. Die Produktion wird nicht erhöht, die Zahl der Mitarbeiter nicht aufgestockt und der Umsatz bleibt ebenfalls mehr oder weniger konstant.

Bemerkenswert ist, dass solche Unternehmen es trotzdem schaffen, nicht unterzugehen, und bei Innovationen auch nicht stagnieren. In der Regel seien sie sogar innovativer als Unternehmen, die sich unreflektiert auf Wachstum konzentrieren, so Deimling. Das liege daran, dass "ein Unternehmen seine Energie in zwei Richtungen lenken kann", sagt er. "Entweder man lenkt diese Energie in die Expansion oder in die interne Verbesserung." Mit anderen Worten: Anstatt in Marketingkampagnen zu investieren, stecken Vorzeigeunternehmen für ein neues Wirtschaften jenseits des Wachstums ihr Geld in bessere Prozesse und Produktionsmethoden - in den meisten Fällen können sie damit ihre Gewinne steigern.

"Internes Wachstum"

Die Henkels entschieden sich vor 20 Jahren, ihre Produktion um zwei Drittel zu kürzen - statt eines 24-Stunden-Betriebs gibt es deshalb heute nur noch eine Schicht. Das Ziel war: Statt immer mehr Kunden zu gewinnen, weniger und effizienter zu produzieren. Dafür wurde die gesamte Produktionskette überprüft und nach möglichen Maßnahmen gesucht. Dadurch, dass der Strom-, Wärme- und Materialverbrauch reduziert wurde, konnte der Gewinn gesteigert werden. "Wenn ich weniger Ressourcen einsetze, spare ich sofort Geld", sagt Susanne Henkel, Geschäftsführerin des Unternehmens, ntv.de. "Wenn ich mehr Umsatz mache, heißt das nicht unbedingt, dass ich am Ende mehr Geld habe."

"Internes Wachstum" nennt Henkel das. Statt kurzfristig den Gewinn zu steigern, will sie lieber die Zukunft des Unternehmens, "und die der Erde" sichern. Seit November 2021 ist das Unternehmen Co2-neutral. Die geplante Co2-Steuererhöhung wird das Unternehmen also nicht sehr treffen. Da alles aus Deutschland kommt - nur Textilien werden aus Italien importiert - zahlt es nicht für lange Lieferwege. Auch von Lieferkettenunterbrechungen ist das Unternehmen kaum betroffen. Die Corona-Krise hat die Richard Henkel GmbH nicht berührt - kein Mitarbeiter musste auch nur einen Tag in Kurzarbeit gehen, sagt Susanne Henkel: "Internes Wachstum schafft auch Stabilität."

Anti-Wachstum hat auch seine Grenzen

Aber das hat natürlich auch seinen Preis. Die Gartenmöbel von Henkel kosten mehr als die von Ikea, dafür halten sie aber auch länger. Die gute Nachricht für das Unternehmen: Die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten steigt grundsätzlich. Nachhaltigkeit wird für Verbraucher ein immer wichtigeres Thema. 2020 befragte das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) 2500 deutsche Verbraucher zu ihrem Konsumverhalten. 52 Prozent gaben an, beim Einkauf auf Nachhaltigkeit zu achten - je jünger die Befragten, desto wichtiger war Nachhaltigkeit.

Das Problem: Die Käufer, die sich für nachhaltige Produkte entscheiden, sind oft nicht bereit, mehr dafür zu zahlen. Und das, sagt Niko Paech, Professor an der Universität Siegen im Bereich Plurale Ökonomie, ist ein Problem für Unternehmen, die eine Anti-Wachstumsstrategie verfolgen. "Es entstand über Jahrzehnte eine Konsumgesellschaft, die darauf basiert, in immer kürzeren Zyklen zu konsumieren", erklärt der Postwachstumsexperte. "Es dominiert eine Ex- und Hopp-Konsumkultur, die Langlebigkeit, Reparierbarkeit nicht genug schätzt."

Unternehmen, die weniger produzieren wollen, müssten also ihre Kunden dazu befähigen, weniger zu kaufen. Dafür aber mehr für das einzelne Produkt zu bezahlen. Henkel scheint hier auf gutem Wege zu sein. Denn im Gegensatz zu den von EY erhobenen Daten lassen sich die Kunden nicht von den höheren Kosten für nachhaltige Gartenmöbel abschrecken. Vor allem gewerbliche Kunden, die Sonnenliegen für Schwimmbäder oder Hotels kaufen, entscheiden sich zunehmend für haltbarere Produkte. "Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass die Kunden immer mehr auf Langlebigkeit setzen", sagt Henkel. Wichtiger als der Preis sei ein Hersteller, der auch Ersatzteile anbietet.

Henkel setzt auf Reparaturen, statt mehr zu verkaufen. Kunden, die 1950 bei dem Unternehmen Sonnenliegen gekauft hätten, die heute, 70 Jahre später, kaputt seien, wollten häufig neue kaufen, sagt sie. Diese Kunden müsste man überzeugen, stattdessen den Reparaturservice zu nutzen. Die Reparatur ist günstiger als eine neue Liege, weil weniger Material- und Produktionskosten anfallen. Unterm Strich lohnt es sich also auch für Henkel, weniger zu produzieren.

Wer kann es sich leisten?

Laut Deimling können jedoch nicht alle Unternehmen auf Wachstum verzichten. Vor allem große Konzerne hätten Schwierigkeiten, auf Anti-Wachstum umzustellen, sagt er. Sobald viel Eigen- oder Fremdkapital involviert sei, sei der Druck, schnell zu wachsen, größer. Gerade für börsennotierte Unternehmen werde es dann schwierig: "Die Aktionäre investieren, weil sie Dividenden haben wollen. Sie wollen Geld bekommen, und das geht nur über Wachstum", sagt Deimling. Genau aus diesem Grund entscheiden sich meist nur kleine und mittlere Unternehmen für diesen Weg.

Auch wenn kleine und mittlere Unternehmen anfangs auch nicht auf Fremdkapital verzichten können, schließe das jedoch nicht aus, dass sie künftig eine Anti-Wachstumsstrategie verfolgen können, ergänzt Deimling. Schließlich muss jedes Unternehmen am Anfang wachsen - es entsteht selten aus dem Nichts. Irgendwann kann das Unternehmen dann aber entscheiden, dass es groß genug geworden ist und in eine Postwachstumsphase übergehen.

"Zurück zu unseren Wurzeln"

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Bei der Richard Henkel GmbH scheint diese Strategie aufzugehen. Sie ist seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr gewachsen - und kann ihren Mitarbeitern trotzdem faire Löhne, Weihnachtsgeld und sogar Boni zahlen. Sogar die geplante Mindestlohnerhöhung kann das Unternehmen gut verkraften. Es gibt sogar einen Notfallfonds für Mitarbeiter, die in Schwierigkeiten geraten.

Seit Henkels Großvater das Unternehmen 1922 gegründet hat, verfolgt es eine zumindest wachstumsarme Strategie. Auf alten Rechnungspapieren von vor 100 Jahren steht: "Neu, aber wir reparieren auch". Das Ziel war immer, ein langlebiges Produkt anzubieten. Als die Nachfrage nach den nachhaltigen Gartenmöbeln im Jahr 2001 sprunghaft anstieg, versuchten Henkel und ihr Bruder, die Produktion hochzufahren. Doch dann zog ein Großkunde seinen Auftrag innerhalb einer Woche zurück. Ein Drittel der geplanten Produktion fiel plötzlich weg. Das war der Moment, in dem Henkel beschloss: "Wir müssen zurück zu unseren Wurzeln."

Quelle: ntv.de

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