Weinanbau in Berlin Die Traube hat hier Tradition
01.09.2017, 07:46 Uhr
Viktor Sucksdorf kümmert sich in Britz um 1500 Rebstöcke.
(Foto: jki)
Wein aus Deutschland muss nicht immer aus Rheinland-Pfalz, Hessen oder Baden-Württemberg kommen. Seit 2002 baut Winzer Viktor Sucksdorf auf einer ehemaligen Brachfläche Rebstöcke an - mitten in Berlin-Neukölln.
Berlin steht für nicht enden wollende Partys, seine angeblich stets unfreundlichen Bewohner und einen stümperhaften Flughafenbau. Aber Wein? Dass an der Spree schon seit 800 Jahren Wein angebaut wird, wissen nur die wenigsten. Heute belegen nur noch die Weinmeisterstraße im Bezirk Mitte und das Bezirks-Wappen von Pankow mit seinen beiden Weinblättern die einstige wirtschaftliche Bedeutung des Weinanbaus in der Hauptstadt.
"Wahrscheinlich bin ich einer der wenigen Bekloppten, der glaubt, dass man in Berlin einen guten Wein herstellen kann." In moldawischer Tracht und mit einem Hut auf dem Kopf schlendert Viktor Sucksdorf durch seine Rebstöcke. Alle zwei, drei Schritte bleibt er stehen, greift zu einer Schere und schneidet einen Trieb ab. Er tut das sehr bedacht, fast liebevoll. Versteckt zwischen Einfamilienhäusern und der Kleingartenanlage "Guter Wille" baut er seit 2002 auf einer ehemaligen Brachfläche in Britz im Süden des Stadtbezirks Neukölln Wein an.
Seine Heimat Moldawien musste Sucksdorf gemeinsam mit seiner Familie 1997 aus politischen Gründen verlassen. Der 36-Jährige stammt aus einer Winzerfamilie. Er hat den Wein im Blut. Das erste Mal betrunken sei er mit fünf Jahren gewesen, erzählt er. Damals hatte er ein paar Schlucke Federweißer zu viel, den ihm sein Großvater zum Kosten gab.
Trocken, leicht und fruchtig schmeckt er
Die ersten Reben bringt Sucksdorf aus seiner Heimat mit. Inzwischen stehen auf dem 5000 Quadratmeter großen Gelände in Britz 1500 Rebstöcke. Fast 30 Weinsorten, darunter Muskat, Weiß-, Grau- und Spätburgunder, Phönix und Dornfelder, baut er hier an. Das Besondere in Britz: Keltern, abfüllen und etikettieren - alles passiert direkt vor Ort. In einem guten Jahr produziert Sucksdorf so bis zu 1000 Flaschen Wein.
Das Weingut ist kein kommerzieller Betrieb. Fällt eine Weinlese in einem Jahr mal nicht so gut aus, ist das für Sucksdorf zwar ärgerlich, aber nicht der finanzielle Ruin, denn er ist über den gemeinnützigen Verein Agrarbörse Deutschland Ost e.V. beschäftigt. Er bietet inzwischen auch Führungen an, in denen er den Herstellungsprozess des Weines erklärt. Der Wein aus Berlin schmecke trocken, leicht und fruchtig, schwärmt Sucksdorf. Zu verdanken sei das vor allem dem sandig-lehmigen Boden.
Bis vor Kurzem können Interessierte die angebauten Weine nur gegen eine Spende erwerben. Seit dem vergangenen Jahr darf Sucksdorf seinen Wein auch kommerziell vertreiben. Möglich wurde das durch eine Änderung im EU-Recht, die Berlin erstmals offiziell zum Weinanbaugebiet macht. Inzwischen verkauft er seinen Wein aus Neukölln sogar nach England, Frankreich und Island – für 9,50 Euro die Flasche.
"Einen Wein herzustellen ist Kunst"
Während des Dreißigjährigen Krieges wurden die Weinberge zerstört. Das Wissen um die Rebpflege ging verloren. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war endgültig Schluss mit dem Weinanbau. König Friedrich Wilhelm von Preußen, der Soldatenkönig, verbot den Anbau von Genuss- und Luxusgütern. Erst in den 1960er-Jahren besannen sich die Berliner wieder auf ihre Weinanbaugeschichte und pflanzten in Kreuzberg symbolisch neue Reben. Heutzutage gibt es in Berlin knapp zehn Weinanbaugebiete – unter anderem in Schöneberg, Wilmersdorf und Prenzlauer Berg.
Auch Sucksdorf ist viel daran gelegen, die alte Weinanbaugeschichte Berlins wiederzubeleben und besonders der jüngeren Generation den Beruf des Winzers nahezubringen. Doch das ist eine zeitaufwendige Arbeit. "Die Rebe braucht viel Zuwendung und Pflege. Als Winzer muss man deswegen sehr geduldig sein. Einen Wein herzustellen ist Kunst", sagt Sucksdorf.
Die Änderung des EU-Rechts macht seine Arbeit zunächst komplizierter. Plötzlich gilt sein Britzer Wein als Lebensmittel – und wird dementsprechend überprüft. Die Fläche des ehemaligen Hobbywinzers muss jetzt europaweite Standards erfüllen und auch die Lebensmittelbehörde kommt inzwischen regelmäßig und lässt Proben im Labor untersuchen. Doch der Winzer aus Moldawien ist optimistisch. "Ich will für Berlin einen guten Wein produzieren und Britz als Weinanbaugebiet bekannt machen", sagt er.
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Quelle: ntv.de