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Ernährung als Verführung "Günstiges Essen ist Wohlstandsindikator"

Ob Hot Dogs, Burger, Pommes oder Currywurst: "Gesnackt" werden kann heutzutage überall und zu jeder Zeit.

Ob Hot Dogs, Burger, Pommes oder Currywurst: "Gesnackt" werden kann heutzutage überall und zu jeder Zeit.

(Foto: picture alliance / dpa)

Vegetarisch, vegan, paleo: Ernährungstrends sind derzeit in aller Munde. Aber sind sie nur Lifestyle? Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Welche Rolle spielt unsere Überflussgesellschaft? Und muss gutes Essen teuer sein? Ernährungssoziologin Prof. Dr. Jana Rückert-John von der Hochschule Fulda verrät es im n-tv.de Interview.

n-tv.de. Frau Prof. Dr. Rückert-John: "Du bist, was du isst", heißt es so schön. Heutzutage ernähren sich immer mehr Menschen bewusst. Wie halten Sie es damit?

Prof. Dr. Jana Rückert-John arbeitet an der Hochschule Fulda im Bereich Oecotrophologie.

Prof. Dr. Jana Rückert-John arbeitet an der Hochschule Fulda im Bereich Oecotrophologie.

Rückert-John: (lacht) Ich versuche natürlich auch, mich bewusst und gesund zu ernähren. Aber das ist im Alltag nicht so einfach durchzuhalten und zu praktizieren. Der Alltag wird ja nicht nur von der Ernährung bestimmt.         

Was ist denn gesunde Ernährung?

Das lässt sich nicht oder zumindest nicht ganz einfach beantworten. Es gibt, je nachdem worauf man fokussiert und Wert legt, verschiedene Einschätzungen. Was am Ende dann bleibt und was auch Ernährungswissenschaftler dann häufig sagen, ist, dass gesunde Ernährung bedeutet, sich erstens ausgewogen zu ernähren und sich zweitens auch ausreichend zu bewegen.

Ausgewogen, was bedeutet das?

Ausgewogenheit heißt von allem etwas, aber nicht übermäßig und zu viel, also eine gute Balance.

Sie lehren die "Soziologie des Essens". Was verbirgt sich denn dahinter?

Die Soziologie befasst sich ganz allgemein damit, wie das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft möglich ist und wie sich Ordnung in der Gesellschaft herstellt. Wenn man sich dann die Ernährungssoziologie anschaut, befasst sich diese damit, zu schauen, wie sich Ordnung herstellt über das, was wir essen, wie wir essen oder auch, mit wem wir essen.

Medial sind derzeit Ernährungstrends fast omnipräsent. Welche gibt es?

(lacht) Das ist eine große Frage, denn es gibt eine Vielzahl von Ernährungstrends. Da wäre der Veganismus, der Vegetarismus, Paleo, die Frei-von-Diäten im Hinblick beispielsweise auf Gluten oder Laktose. Man kann aber auch die Orientierung an regionalen oder Bio-Produkten als Ernährungstrends in der Gesellschaft bezeichnen.

Wo liegen denn die Unterschiede?

Die verschiedenen Ernährungstrends fokussieren alle verschiedene Aspekte. Sie präferieren jeweils eine bestimmte Art der Ernährung und schließen eine andere aus. Typisch für alle ist, dass man sich auf bestimmte Produkte oder ein Portfolio reduziert, die dann gegessen werden. Im Fachjargon sind Ernährungstrends Strategien der Komplexitätsreduktion: Ich orientiere mich beispielsweise daran, hauptsächlich Bio-Produkte zu konsumieren und kann so Risiken reduzieren, die mit konventionellen Anbauweisen und Produkten verbunden sind.

Ist Ernährung damit auch eine Art Lifestyle?

Ja, das kann man so sagen. Mit den Ernährungsweisen findet einerseits eine Komplexitätsreduktion statt. Andererseits lässt sich aber auch erkennen, dass man sich durch Ernährungstrends auch selbst definiert. Es findet eine identitäre Selbstbeschreibung statt: Durch das, was ich esse, zeige ich, zu welcher gesellschaftlichen Gruppe ich im sozialen Gefüge gehöre, aber auch, von welcher Gruppe ich mich abgrenze.     

Das heißt: "Ich zeige, was ich esse und damit zeige ich auch, wer ich bin"?

Genau. Dafür ist Essen und Ernährung eine Möglichkeit, in der heutigen Zeit sogar eine wichtige. Das lässt sich natürlich auch über andere gesellschaftliche oder Alltagsbereiche definieren: mein Handy, mein Haus, mein Auto.

Welche Rolle spielt denn dabei die Überflussgesellschaft?

Die spielt eine große Rolle. In Deutschland liegen ihre Anfänge in den 1960er-Jahren, die mit technologischem Fortschritt im Lebensmittelbereich verbunden waren, Beispiel bezahlbarer Kühlschrank etwa. Damit einher gingen die zunehmende Abwesenheit von Hunger und gleichzeitig die Überproduktion und der zunehmend stärker einsetzende Überfluss. Letzterer hatte dann allerdings auch die ernährungsassoziierten Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Folge. Negative Effekte finden sich aber auch im Umweltbereich.

Sie sind im Vorstand des Netzwerks Ernährungskultur. Hat sich beim Thema Ernährung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten noch etwas anderes verändert?

Mit dem Übergang vom Mangel zum Überfluss mitsamt der großen Gegenwartsherausforderung eines "Überlebens im Überfluss" sind weitere große Veränderungen verbunden: So haben wir uns von der Frage der Ernährungssicherung hin zur Ernährungssicherheit hinbewegt. Ernährungssicherung bedeutet grob, alle erst einmal satt zu bekommen, also dass ausreichend Nahrungsmittel verfügbar sind in einer Gesellschaft. Ernährungssicherheit spielt dagegen im Allgemeinen auf den Ausschluss von Lebensmittelskandalen an oder auch Umweltauswirkungen.

Früher hieß es: "Frühstücke wie ein Kaiser, iss mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann". Gilt das heute noch?

Aus gesellschaftlicher Sicht betrachtet, gilt das heute nicht mehr. Statt dieser drei festen Mahlzeiten am Tag lässt sich heute vielmehr eine Flexibilisierung beobachten. Ich kann jederzeit und überall Essen konsumieren. Nahrungsmittel sind ständig und rund um die Uhr verfügbar. Wir sprechen dabei von einer adipogenen Umwelt, weil wir ständig den Verführungen hochkalorischer Angebote ausgesetzt sind. Zeitliche und räumliche Barrieren beim Thema Ernährung gibt es heutzutage kaum noch. Das ist auch ein Zeichen der modernen Überflussgesellschaft. Feste zeitliche Essensstrukturen gibt es bei vielen nur noch am Wochenende.

Früher bedeutete "gutes Essen" auch gleich Wohlstand. Aber muss heute "gutes Essen" auch teuer sein?

Der Preis hat eine hohe Sensibilität im Ernährungsbereich. Er spielt auch heutzutage eine große Rolle. Umfragen zeigen immer wieder, dass viele beim Essenseinkauf sparen. Historisch betrachtet wurden in der Nachkriegszeit 44 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für Lebensmittelausgaben aufgewandt. Fast die Hälfte also. Heute sind es im Schnitt gerade mal noch 13 Prozent. Da hat sich einiges getan. Je weniger Geld ich von meinem Nettomonatseinkommen für Ernährung ausgeben muss, desto besser - das wurde und wird gesellschaftspolitisch heute immer noch als ein Wohlstandsindikator aufgefasst, ist aber stark infrage zu stellen. Generalistisch gesprochen heißt das: Für viele Menschen darf Ernährung eigentlich nichts kosten, muss billig sein.

Da haben es qualitätsorientierte Produkte natürlich schwer ...

So ist es. Das gilt beispielsweise für Bio-Produkte oder im Allgemeinen für Produkte, die einfach ihren Preis haben.

Sind diese Produkte dann einfach zu teuer?

Nein, wenn ein Qualitätsprodukt nach gewissen Standards hergestellt wird, kostet es nun einmal mehr. Ich würde das Ganze daher eher umkehren und sagen: Konventionell hergestellte Produkte sind einfach zu billig!

Gibt es eine "Goldene Regel der Ernährung"?  

(Lacht) Die gibt es nicht. Unterm Strich ist eine ausgewogene Ernährung immer die beste. Und natürlich: Die Lust und den Spaß am Essen im Zuge des ganzen Gesundheitswahns nicht verlieren!

Mit Jana Rückert-John sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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