Schwerelosigkeitsflüge Moonwalk über den Wolken
22.09.2009, 11:02 UhrPurzelbäume schlagen in der Schwerelosigkeit - und das Seite an Seite mit dem Astronauten Thomas Reiter. Wie im Traum fühlt sich das an, auf jeden Fall überhaupt nicht irdisch. Bei der 14. Parabelflugkampagne des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) waren nicht nur Wissenschaftler mit ihren Experimenten dabei, sondern auch Prominente und Journalisten. "Tolles Gefühl", "phänomenal" und "der absolute Hammer", lauten die Kommentare derjenigen, die zum ersten Mal fliegen.
22 Sekunden dauert der Schwebezustand. Doch davor müssen die Parabelflieger im steilen Steigflug von 47 Grad das Doppelte der Erdanziehung aushalten. Den Arm oder das Bein hochzuheben, fällt schwer, das Gefühl ähnelt einem Alptraum: Etwas tun wollen und nicht können. "Nicht bewegen", ruft Flugarzt Sylvain Hourlier, der selbst schon 1300 Parabeln hinter sich hat. Denn wer gerade in dieser Phase den Kopf bewegt, bringt den Gleichgewichtssinn komplett durcheinander - die Folgen können übel sein. Vorsichtshalber hat deshalb jeder Passagier ein Tütchen bekommen. Dass das Flugzeug gerade extrem steil nach oben schießt, merken die Fluggäste nicht. Der große Druck hat wie die Schwerelosigkeit etwas Unwirkliches - ein Gefühl wie in Trance.
Seltsames Gefühl
Dann wird plötzlich alles ganz leicht, der Boden entschwindet, die Kontrolle über die Bewegungen ebenso und schon kleben die Ungeübten hilflos an der Decke, während nebendran Thomas Reiter elegant Kopf steht. Am ehesten fühlt es sich an wie beim Tauchen - doch da ist wenigstens das Wasser, das Widerstand bietet und damit gezielte Bewegungen erlaubt. In der Luft hilft Paddeln so gut wie nichts - ohne Halt an der Wand des Flugzeugs, an den gespannten Netzen lässt sich der eigene Körper im Raum einfach nicht steuern.
Nicht einmal eine halbe Minute später ist alles vorbei. "Pull out", heißt das Kommando aus dem Cockpit. Jetzt müssen Chef-Pilot Stéphane Pichené und seine Kollegen den Sturzflug des A300 Zero-G abfangen, die Nase wieder nach oben ziehen, um knapp 2500 Höhenmeter tiefer in die normale Flugbahn zu kommen. Wer jetzt noch kopfüber hängt, wird von Helfern schnell umgedreht sonst würde er unsanft aufkommen.
Promis an Bord
Solarworld-Chef Frank Asbeck sucht gar nicht nach eigenen Worten: "Meine Kinder würden sagen: "affengeil"." Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, wünscht sich die Gelegenheit zu einem solchen Flug für möglichst viele andere. "Man kann es sich nicht vorstellen, man muss es erleben." Auch BMW-Vorstandsmitglied Klaus Draeger sieht den Flug als "ganz besondere Erfahrung" und Radsportler und Paralympic-Sieger Wolfgang Sacher, der als erster Behindertensportler mitflog, scheint von seiner Flugangst geheilt.
Mit dabei ist auch Bundeswehr-Hauptmann Oliver Knickel, der 105 Tage mit vier Russen und einem Franzosen in Moskau im nachgebauten Raumschiff einen Mars-Flug simulierte und eine Karriere in der Raumfahrt nicht ausschließt. Der 29-Jährige bekommt an Reiters Seite einen Vorgeschmack, wie sich sein möglicher künftiger Arbeitsplatz anfühlen könnte.
Zu viert fliegen die Piloten und Flugingenieure den Airbus: Ein Pilot ist zuständig dafür, dass der Flieger gerade in der Luft liegt, einer kümmert sich um das Anheben und Absenken der Nase. Ein Flugingenieur steuert die Triebwerke, die an einem bestimmten Punkt der Parabel rasch gedrosselt werden müssen. Ein weiterer überwacht die Kontrolllampen und -anzeigen, von denen einige bei der Parabel aufblinken und Fehlermeldungen liefern. Als Testpilot sei es für ihn normal, unter speziellen Flugbedingungen zu fliegen, sagt Pichené, und ergänzt: "Und das sind sehr spezielle Bedingungen." Als Zugabe fliegt er am Ende etwas flachere Parabeln: Einmal herrscht ein Sechstel der Erdanziehung wie auf dem Mond, einmal ist es gut ein Drittel wie auf dem Mars. Begeistert hüpfen die Fluggäste durch den Raum - für eine knappe halbe Minute beherrschen alle den "Moonwalk".
Kostengünstiges Experimentierfeld
Für die Wissenschaft sind die Schwerelosigkeits-Flüge eine Alternative zu teuren Experimenten im All, für die es wegen der beschränkten Kapazitäten jahrelange Wartezeiten gibt. Neben Biologie und Humanphysiologie gibt es Fragestellungen aus Physik und Materialforschung. Vieles ist Grundlagenforschung. Neben globalen Herausforderungen wie Klimawandel und Verkehrsproblemen gehe es um Fragen der Erkenntnis wie der Herkunft des Menschen und der Erde, sagt DLR-Vorstandschef Johann-Dietrich Wörner. Auch Vorstandsmitglied Reiter betont: "Forschung ist ein Gut für sich." Er verweist auf den ersten Mondflug vor 40 Jahren: "Wir wären ärmer, wenn das nicht geschehen wäre." Ein neuer Mondflug wäre für ihn ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zum Mars.
Während Wissenschaftler komplizierte Versuchsanordnungen aufgebaut haben und angestrengt an ihren Bildschirmen arbeiten, hat der Comedian Bernhard Hoëcker ein einfaches Equipment für sein Experiment im Gepäck: Jonglierbälle und Keulen. Er will wissen, ob man in der Schwerelosigkeit jonglieren kann. Sein Ergebnis: "Schwerelos geht gar nicht. Mond und Mars geht super, man muss nur aufpassen, dass man nicht zu stark wirft." Einem Auftritt auf dem Mond stehe somit von seiner Seite her nichts entgegen. "Wenn da mal was ist, bin ich dabei."
Quelle: ntv.de, Sabine Dobel, dpa