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Hochstapler Postel über Guttenberg "Nicht jede Unwahrheit ist eine Lüge"

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Gert Postel war mehrere Jahre als falscher Oberarzt unterwegs - und keiner hat's gemerkt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Ermittlungen gegen Karl-Theodor zu Guttenberg haben gerade erst begonnen. Für viele im Land ist jedoch bereits klar: Der Ex-Minister ist ein Hochstapler. "Es handelt sich um massive, systematische Täuschung", liest man in einem offenen Brief von Doktoranden an die Bundeskanzlerin. Guttenbergs Motivation sei gewesen, sich "den Doktortitel zu erschleichen, mit dem er dann nicht zuletzt auf Wahlplakaten geworben hat", heißt es weiter.

Doch wie ist das eigentlich mit der Hochstapelei? Gert Postel ist jemand, der es wissen muss. Der heute 52-jährige Postel ist ausgebildeter Postbote, arbeitete jedoch insgesamt mehrere Jahre als leitender Oberarzt und Facharzt in psychiatrischen Kliniken – ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Zudem wurde er als Sachverständiger in zahlreichen Prozessen vor sächsischen Strafkammern gehört. Am Ende seiner Karriere sollte er sogar zum Chefarzt im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Arnsdorf befördert werden. Er flog nur auf, weil ihn eine Mitarbeiterin wiedererkannte, die über seine wirkliche Identität Bescheid wusste. Der falsche Arzt wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Wegen guter Führung wurde er im Jahr 2001 nach zwei Jahren entlassen.

n-tv.de: Herr Postel, viele Menschen bezeichnen Ex-Verteidigungsminister Guttenberg als "akademischen Hochstapler". Wie sehen Sie das – als Experte auf dem Gebiet?

Gert Postel: Ich finde, dass Guttenberg überhaupt kein Hochstapler ist, zumindest nicht im klassischen Sinne. Ich finde, als Adliger darf er abschreiben und sich bei den geistigen Produkten seiner bürgerlichen Mitmenschen bedenkenlos bedienen. Das ist sein Recht, genauso wie seinen Vorfahren noch das "Jus primae noctis", das "Recht auf die erste Nacht", zustand.

Warum geben manche Menschen vor, jemand zu sein, der sie nicht sind?

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So hoch hat der Ex-Minister dann doch nicht gestapelt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ich glaube, dass Geltungssucht fast in jedem Menschen zutiefst verankert ist. Und die Befriedigung dieser Sucht ist für viele Menschen ungeheuer wichtig – auch wenn das eigentlich gar nicht nötig wäre. Ich würde mit Schopenhauer zwischen "Willen" und "Intellekt" unterscheiden. Der Wille schaltet den Intellekt aus. Um es auf Guttenberg zu beziehen: Sicher war es von ihm keine kluge Aktion, und er hat sie auch überhaupt nicht nötig gehabt. Aber er war eben ein bisschen geltungssüchtig, und das wurde ihm zum Verhängnis. Aber wissen Sie: Die Allgegenwart der Hochstapelei, die kann uns vielleicht auch ein bisschen mit ihr versöhnen. Es wird generell sehr viel geheuchelt - oft auch von den falschen Leuten.

Sie sprechen aus Erfahrung?

Ja. Ich habe mich beispielsweise immer als "Hochstapler unter Hochstaplern" gefühlt. Ich habe es mit leeren Worten, die keiner hinterfragt hat, bis zum Chefarzt geschafft. Ich wusste immer, dass man vermittels sprachlicher Akrobatik sehr viel bewegen kann. Auf meine Stelle hatten sich 39 Fachärzte beworben, teilweise habilitiert! Acht davon mussten Vorträge halten vor der Berufungskommission. Ich habe über die "Pseudologia phantastica" gesprochen, die "Lügensucht im Dienste der Ich-Erhöhung am literarischen Beispiel der Figur des Felix Krull". Und das sprühte doch vor Ästhetik. Schließlich fragte mich der Vorsitzende der Kommission: Über was haben Sie denn promoviert? Und ich habe geantwortet: über "Kognitiv induzierte Verzerrung in der stereotypen Urteilsbildung." Das ist eine Aneinanderreihung leerer Begriffe – also völliger Schwachsinn. Dieser Professor sagte dann: "Ah, das ist ja interessant. Sie werden sich bestimmt bei uns wohlfühlen!"

Ist es die Dreistigkeit, die einen guten von einem schlechten Hochstapler unterscheidet?

Ich würde eher sagen: Die Kreativität der Darbietung.

Ich stelle mir das auch ungeheuer belastend vor, täglich mit dem Wissen um die Gefahr zu leben, irgendwann entlarvt zu werden.

Naja - nehmen wir mal an, Guttenberg war grundsätzlich bewusst, dass er seinen Doktortitel zu Unrecht trägt. Ich glaube nicht, dass ihm das dann jeden Tag gegenwärtig gewesen ist. Er war derart narkotisiert durch das, was er jeden Tag gemacht hat, dass er darüber nicht mehr nachgedacht hat. Hinzu kommt auch, dass man - wenn man solche hohen Ämter inne und eine solche Karriere hingelegt hat – in der Hybris lebt, man sei nicht angreifbar.

Ihnen wäre das nicht passiert?

Nein, sowas wäre mir sicher nicht passiert. Ich hätte das nie im Leben gemacht - weil ich weiß, dass man das ganz schnell hätte rausbekommen können. Das ist ausgesprochen dumm.

Bei Ihnen hätte man ja auch nur mal nachforschen müssen, und Sie wären enttarnt gewesen…

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Gert Postel.

(Foto: picture-alliance/ ZB)

Ja, aber es wird immer nur da nachgeforscht, wo man zweifelt. Wo man nicht zweifelt, wird nicht nachgeforscht. Und bei mir gab es nichts zu zweifeln.

Dennoch lebt man in der Angst, dass die Lüge irgendwann auffliegt. War das für Sie persönlich nicht belastend?

Sie sprechen von "Lüge". Aber was verstehen Sie darunter? Es war vielmehr die Ausstattung einer vorhandenen, aber nicht in die Wirklichkeit eingetretenen Realität mit denjenigen materiellen Merkmalen, derer sie bedarf, um von der Welt anerkannt und gewürdigt zu werden. Man muss die Begriffe etwas sorgfältiger wählen. Nicht jede unwahre Aussage hat die sittliche Qualität einer Lüge. Denn das ist ja eine moralische Wertung. Ich glaube, dass man manchmal auch der Wahrheit mit den Mitteln der unwahren Aussage zum Durchbruch verhelfen muss.

Sie würden also sagen: Sie hatten die Qualifikation als Oberarzt, Ihnen fehlten lediglich die nötigen Unterlagen dafür.

Die inhaltlichen Dinge waren bei mir vorhanden, ja. Das hat mir immerhin sogar mein Chef attestiert: "Herr Oberarzt Dr. Postel übertrifft die Erwartungen." Und das Ministerium hat mich zum Chefarzt der Forensischen Klinik gemacht. Ich habe in den zwei Jahren als Oberarzt niemals irgendeine Kritik erfahren und stand unter permanenter Aufsicht von 40 Ärzten und 10 Psychologen. Ich war immer in der Offensive, war sogar Weiterbildungsbeauftragter der sächsischen Ärztekammer.

Sie sollten sogar zum Professor berufen werden?

Ja. Und ich bin durch den sächsischen Landtag zum Chefarzt der forensischen Klinik in Arnsdorf ernannt worden. Ich hab' die Stelle nur nicht angetreten.

Quelle: ntv.de, Mit Gert Postel sprach Fabian Maysenhölder

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