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"Generation ADHS" Ritalin-Verordnung nimmt zu

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Kinder sollen heute oftmals vor allem funktionieren.

(Foto: dpa)

Immer häufiger diagnostizieren Ärzte bei Kindern eine sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Galten diese Kinder früher als besonders lebendig, werden sie nun immer häufiger medikamentös ruhiggestellt. Inzwischen bereitet diese Entwicklung Krankenkassen und Gesundheitsforschern Kopfzerbrechen.

Experten warnen vor einer "Generation ADHS": Immer häufiger wird bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland eine sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) festgestellt und ein Medikament dagegen verschrieben, wie aus dem Arztreport der Barmer GEK hervorgeht. Kinder von Arbeitslosen und jüngeren Eltern seien dabei häufiger betroffen.

Zwischen 2006 und 2011 stieg die Zahl der ADHS-Diagnosen unter Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre demnach von 2,92 auf 4,14 Prozent. Das entspricht einem Zuwachs von 42 Prozent. Insgesamt wurde 2011 das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom bei rund 750.000 Kindern und Erwachsenen in Deutschland festgestellt.

Zwei Drittel aller Betroffenen sind demnach Jungen bis 19 Jahren. Fast jeder fünfte (20 Prozent) im Jahr 2000 geborene Junge erhielt zwischen 2006 und 2011 die Diagnose ADHS. Bei den Mädchen dieses Jahrgangs waren es mit 7,8 Prozent deutlich weniger. Besonders oft fielen die Diagnosen laut Report zum Ende des Grundschulalters vor dem Übergang auf weiterführende Schulen.

Auch die Verordnungen von Methylphenidat, besser bekannt unter dem Namen Ritalin, sind in den vergangenen Jahren gestiegen. 2011 wurde rund sieben Prozent der elfjährigen Jungen und zwei Prozent der gleichaltrigen Mädchen das Mittel verordnet.

Pillen gegen Probleme

Rolf-Ulrich Schlenker, Vizechef der Barmer GEK, sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung. Es müsse aufpasst werden, dass die ADHS-Diagnostik "nicht aus dem Ruder läuft und wir eine ADHS-Generation fabrizieren." Pillen gegen Erziehungsprobleme seien der falsche Weg. Es komme vielmehr auf trennscharfe Diagnosen an. Zudem gebe es eine Reihe von anderen Therapieoptionen wie zum Beispiel ein gezieltes Elterntraining oder eine Verhaltenstherapie. "Ritalin darf nicht per se das Mittel der ersten Wahl sein", forderte Schlenker.

Im Zusammenhang mit ADHS-Medikamenten wurden Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Wachstumsstörungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden bekannt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Kassen hatte deshalb 2010 die Verordnung der Mittel eingeschränkt.

Das für die Studie verantwortliche Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) in Hannover ermittelte erstmals einige familiäre Faktoren, die das Risiko für eine ADHS-Diagnose bei Kindern beeinflussen. Demnach sinkt das Risiko mit steigendem Ausbildungsniveau der Eltern. Kinder arbeitsloser Eltern sind hingegen häufiger betroffen. Zudem erhalten Kinder mit einem Elternteil zwischen 20 und 24 Jahren etwa 1,5 mal häufiger eine ADHS-Diagnose als Kinder mit Eltern zwischen 30 und 35 Jahren.

Auch regional zeige die Studie auffällige Unterschiede, wobei die Region Würzburg hervorsteche, erklärte Thomas Grobe, einer der Autoren. Während die ADHS-Diagnoserate bei zehn- bis zwölfjährigen Jungen 2011 im Bundesdurchschnitt bei knapp zwölf Prozent lag, haben Ärzte in Unterfranken diese Diagnose bei 18,8 Prozent der Jungen dieser Altersgruppe gestellt.

ADHS ist die häufigste psychische Störung bei Kindern und Jugendlichen und kann bis ins Erwachsenenalter fortbestehen. Bislang gibt es keine eindeutige Erklärung dafür. Die Hauptursache wird in der Veränderungen der Funktionsweise des Gehirns vermutet. Wissenschaftler gehen davon aus, dass neben genetischen Faktoren zum Beispiel auch Umwelteinflüsse eine Rolle spielen.

Quelle: ntv.de, AFP

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