Das Ende der Informationsgesellschaft Warum das Internet kollabieren wird
11.12.2013, 11:44 Uhr
"Ein Zusammenbruch des Internets ab Mitte des Jahrhunderts ist unumkehrbar", sagt Grüter.
Womöglich wird unsere Zukunft zu einem Drahtseilakt ohne Netz. Glaubt man Thomas Grüter, Wissenschaftler und Autor des Buches "Offline!", bricht das Internet in wenigen Jahrzehnten zusammen. Warum? Das erklärt Grüter im Gespräch mit n-tv.de. Und es zeigt sich: Die Folgen wären katastrophal.
n-tv.de: Herr Grüter, wie kommen Sie darauf, dass das Internet in den nächsten Jahrzehnten kollabieren könnte?
Thomas Grüter: Das Internet kann nur dann funktionieren, wenn alle Infrastrukturen in einem guten Zustand sind. Es braucht ständig Strom und Kommunikationsleitungen. Der internationale Warentransport muss reibungslos ablaufen, damit die relativ kurzlebige Digitaltechnik ständig repariert und erneuert werden kann. Doch schon unsere jetzigen Infrastrukturen sind oft marode, und wir haben Schwierigkeiten, sie zu erhalten.
Woran machen Sie das fest?

2005 im Münsterland: Unter der Last von Nassschnee war ein Mast gebrochen. Das führte zum Zusammenbruch vieler anderer Strommasten.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das sieht man etwa am miserablen Zustand vieler Autobahn- und Eisenbahnbrücken, um nur zwei Beispiele nennen. Die 2005 bei einem Schneesturm im Münsterland umgeknickten Strommasten waren teilweise über 50 Jahre alt. Auf diese bröckelnden Strukturen satteln wir ein weiteres System auf, auf das sich Wirtschaft, Verwaltung, Stromversorgung, Warenverkehr und Krankenversorgung immer stärker verlassen. Wir schaffen damit eine ringförmige Abhängigkeit. Ein solches System ist immer gefährdet, es reagiert auf starke Belastungen chaotisch und unvorhersehbar.
Worin genau besteht die Gefahr?
Fällt ein Glied in diesem Ring aus, gerät der gesamte Kreislauf ins Stocken. Wir haben kaum Reserven, weil sie zu teuer wären. Wenn Firmen und Verwaltungen ihre täglichen Geschäftsvorgänge ins Internet verlegen, dann machen sie das, weil das billiger ist. Es ist preiswerter, keinen eigenen Computer zu unterhalten, sondern Rechen- und Speicherkapazität im Internet zu mieten. Die Anbieter dieser Leistungen müssen extrem zuverlässig sein, der Zugriff auf die Rechen- und Speicherkapazitäten muss ständig gegeben sein und die Leitungen dürfen nie zusammenbrechen. Unsere Wirtschaft verwettet also das normale Tagesgeschäft auf eine ständig funktionierende Infrastruktur, die sie aber in keiner Weise kontrollieren kann. Das ist ausgesprochen leichtsinnig, aber der Zwang zum Sparen lässt oftmals keine Alternative zu.
Gibt es, abgesehen von bröckelnden Infrastrukturen, noch andere Szenarien, die das Ende des Internets bedeuten würden?
Das Internet wird zum Schauplatz künftiger Kriege werden, und wie jeder Kriegsschauplatz kann es dabei völlig verwüstet werden. Wie weit der Zugriff von staatlicher Seite auf das Internet schon heute geht, haben wir am Beispiel der NSA gesehen. Russland und China werden ähnlich wirksame Werkzeuge haben. Und wer so tief in Rechnersysteme eingreifen kann, kann sie leicht sabotieren. In einem Cyberkrieg werden vermutlich große Teile der Stromversorgung zeitweilig ausfallen oder Handynetze zerstört werden. - Aber es gibt noch ein weiteres Problem: die internationale Arbeitsteilung.
Inwiefern kann Arbeitsteilung zum Problem werden?
Ein Smartphone - ohne Internet sinnlos und in Zukunft vermutlich unentbehrlicher Begleiter jedes Menschen - besteht aus Rohstoffen, die aus der ganzen Welt stammen. Kein Kontinent der Erde wäre in der Lage, allein und aus eigenen Ressourcen Smartphones herzustellen. Wir sind bei fast allen Hochtechnologiegeräten darauf angewiesen, dass die weltweite Zusammenarbeit ständig funktioniert. Die meisten Geräte halten nicht länger als zwei bis vier Jahre. Sollte der Welthandel aus irgendeinem Grund für zwei Jahre deutlich einbrechen, wird es schon kritisch.
Wird unser Leben künftig noch stärker vom Internet abhängen als heute schon?
Wenn die jetzige Entwicklung weitergeht, dann ja. Zum Beispiel ist im Gespräch, dass der Zahlungsverkehr in den Supermärkten zunehmend über Internet abgewickelt wird. Aktuelle Handys enthalten bereits eine Schnittstelle dafür, das Stichwort heißt Near Field Communication.
Dann zahle ich Gurken und Tomaten übers Smartphone?
Ja, genau. Jedes Produkt, das Sie in den Wagen legen, wird automatisch registriert. Dann legen Sie Ihr Handy auf ein Bezahlfeld, geben vielleicht noch eine Pin-Nummer ein, und schon sind die Einkäufe bezahlt. Via Internet. Oder Sie laufen mit Ihrem Wagen und einer persönlichen Kennung an der Kasse vorbei, dabei wird alles registriert und die für die Einkäufe zu zahlende Summe direkt von Ihrem Konto abgebucht.
Ohne Internet also keine Bezahlung - und daher womöglich ein leerer Kühlschrank. Was würde uns noch bevorstehen, wenn das Internet zusammenbricht?
Es gibt bereits die ersten Versuche mit fahrerlosen Autos. Via Internet verständigen sie sich untereinander darüber, wo gerade Stau ist und wo die Straßen frei sind. So optimieren sie ihren Fahrweg. Wenn das System seine Kinderkrankheiten überwunden hat, werden wir nur noch selbstfahrende Autos haben. Sie lassen sich zum Beispiel auf einen vollständig defensiven Fahrstil einstellen. Anders als mancher Fahrer, halten sie sich stets an die Regeln.
Aber bis der Mensch als Fahrer ausgedient hat, dauert es noch eine Weile, oder?
Ich schätze, spätestens 2020 wird es soweit sein, dass die Autos weitgehend selbständig fahren. Dann braucht man keine Ampeln mehr und keine Verkehrsschilder. Übers Internet könnte ein verbindliches Kartensystem runtergeladen werden, in das alle Verkehrsrestriktionen eingetragen sind. Ohne Internet allerdings würde dann das Chaos ausbrechen auf den Straßen.
Gäbe es denn keinen Weg zurück? Könnte man im Falle eines Falles nicht auf Altbewährtes zurückkommen?
Wenn fahrerlose Autos, um bei dem Beispiel zu bleiben, 20 bis 30 Jahre eingeführt sind, dann kann kein Mensch mehr ein Auto steuern, denn das lernt niemand mehr. Man braucht diese Fähigkeit einfach nicht mehr. Noch dazu braucht jedes System eigene Ressourcen. Hätten wir – unrealistisches Beispiel – von heute auf morgen kein Öl und damit kein Benzin mehr, könnten wir nicht auf Pferdewagen umstellen. Wir haben heutzutage weder genügend Pferde noch genügend Wagen. Und das Volumen, das mittlerweile transportiert wird, wäre mit Pferdewagen ohnehin nicht zu bewältigen.
Das heißt, wenn man die Spirale einmal in Gang gesetzt hat, lässt sie sich nicht mehr zurückdrehen?
Das ist richtig. Man sollte also zwischendurch einen Moment innehalten und überlegen, was man braucht, um das System zu sichern und zu erhalten.
Was ist das, Ihrer Meinung nach? Wie ließe sich einem Zusammenbruch des Internets vorbeugen?
Was die Infrastruktur anbelangt, brauchen wir zunächst eine Bestandsaufnahme: Was muss wann ersetzt werden? Ich habe bei verschiedenen Stadtwerken nachgefragt, wie der Ersatzbedarf bei Wasser- und Abwasserleitungen, der Stromversorgung und den Gasleitungen aussieht. Die Antwort war immer gleich: Betriebsgeheimnis. - Nun gut. In einem zweiten Schritt müssten geplant werden, was wann erneuert wird, damit die Infrastruktur auch unter Stress nicht zusammenbricht. Das kostet natürlich Geld.
Außerdem müsste jede Weltregion überlegen, wie sie eine eigene Fertigung für die wichtigsten Internet-Komponenten aufbauen könnte, wenn der Welthandel mal einbrechen sollte. Das Rückgrat des Internets muss aus langlebigen, robusten Komponenten bestehen, die an vielen Orten auf der Welt unabhängig voneinander hergestellt werden können.
Käme das Ende des Internets einer Katastrophe gleich?
Es wäre nicht das Ende der Welt, aber es wäre der Untergang unserer Lebensweise und würde uns hart treffen. Wir bewahren den Schatz unseres Wissens mittlerweile im Wesentlichen im Internet auf. Das Internet macht Archive, Lexika, Fachwissen oder aktuelle Nachrichten weltweit ständig zugänglich. Wir haben die Industriegesellschaft hinter uns gelassen und leben in der Informationsgesellschaft. Aber Wissen ist eine sehr verderbliche Ware. Wenn wir die Strukturen des Internets nicht besser absichern, könnte plötzlich alles verschwunden sein, was unsere Lebensweise einzigartig macht. Und ja, das wäre eine Katastrophe.
Mit Thomas Grüter sprach Andrea Schorsch.
Quelle: ntv.de