Kampf in ÄgyptenAlle wollen einen Platz in der Wüste
Um dem Großstadtdschungel zu entfliehen, ziehen immer mehr Kairoer vor die Tore der Stadt in die Wüste. Das Gedränge wird größer und mit ihm die Gewalt.
Wer in der 18-Millionen-Metropole Kairo aufgewachsen ist, hat gelernt zu kämpfen. Die Armen kämpfen um einen Stehplatz im Bus und stehen stundenlang an, um subventionierte Brotfladen zu kaufen. Die wohlhabenden Einwohner der Stadt am Nil streiten erbittert um Parkplätze und über die Frage, wie viel Religiosität ihre Gesellschaft verträgt. Wer der Kakophonie von Kairo entfliehen wollte, fand bislang draußen vor den Toren der Stadt Ruhe - in der Wüste. Doch auch damit ist nun Schluss. Der Wettlauf um die besten Plätze im Sand hat begonnen.
Ägypter zieht es nach "Beverly Hills"
Neben bewachten Luxus-Siedlungen, die "Beverly Hills" oder "Swan Lake" heißen, entstehen rund um Kairo unverputzte Billig-Hochhäuser aus roten Backsteinen, die oftmals ohne Baugenehmigung errichtet werden.
Im Südosten der Stadt, außerhalb des Mittelklasse-Stadtteils Nasr-City, können die Bewohner der dicht an dicht erbauten Armenghettos aus ihren Fenstern auf die Dächer der von Palmen und hohen Gittern umgebenen Villensiedlung schauen, die auf der anderen Seite der Schnellstraße von der Immobilienfirma Emaar aus Dubai errichtet werden.
Fast eine Millionen Menschen leben inzwischen in den bewachten Luxus-Arealen außerhalb der Stadt. Die meisten von ihnen sind Ägypter, die dem Müll, dem Stau und dem Lärm der Innenstadt entfliehen wollten. Auch einige Ausländer wohnen hier, abgeschottet, mit Wachpersonal und einem Heer von Gärtnern, das die künstlich bewässerten Grünanlagen in Schuss hält.
Tiefer Graben zwischen Arm und Reich
In den 29 Jahren seit dem Amtsantritt von Präsident Husni Mubarak ist der Graben zwischen Arm und Reich in Ägypten größer geworden. Mubarak will 2011 vermutlich erneut für das Präsidentenamt kandidieren. Als möglicher Nachfolger ist aber auch sein Sohn Gamal im Gespräch.
In den Wüsten-Siedlungen der Unterprivilegierten ist das Gedränge inzwischen fast schon genauso groß wie in den Armenvierteln im Zentrum. Nur hat hier niemand Zeit, über die negativen Folgen des Großstadtlebens zu sinnieren.
Die Männer, die in Esbet al-Haggana am Straßenrand um den Stand des Sandwich-Verkäufers Abu Ahmed herumstehen, fragen sich auch nicht, wie das Leben ihrer Nachbarn aus der neuen bewachten Siedlung aussieht, die täglich in Geländewagen und Limousinen an ihnen vorbeirauschen. Sie essen Fladenbrot mit Bohnenpüree, umweht vom Gestank der Plastikabfälle, die auf einem Grundstück neben der Straße verbrannt werden. Hauptgesprächsthema ist heute ein "unseliger Familienstreit", der dazu geführt hatte, dass Mitte Dezember plötzlich die Polizei in ihrem Viertel erschien. Die Beamten hatten, weil sich die Nachkommen eines Bauherren um das Erbe stritten, damit begonnen, ein im Bau befindliches Haus zu zerstören. Die Bewohner des Viertels gingen daraufhin mit Steinen und Knüppeln auf die Polizisten los. Am Ende landeten 26 Menschen im Krankenhaus. Ein Mann starb durch die Aufregung an einem Herzinfarkt.
Korruption und Schlendrian in der Baubehörde
Normalerweise mischt sich die Baubehörde in den illegalen und halb-legalen Siedlungen kaum ein. "Viele Beamte, die in der Behörde arbeiten, lassen sich von den Bauherren dafür bezahlen, dass sie keine Fragen stellen", erklärt ein Familienvater, der für seine Kinder auf dem Dach seines Hauses ohne Genehmigung zwei weitere Etagen gebaut hat. Und auch nach den Zusammenstößen vom Dezember wurde eine "ägyptische Lösung" gefunden. Eine Erbin wurde abgefunden, das Haus, dessen zukünftige Bewohner schon Anzahlungen geleistet hatten, wird weiter gebaut. Neben der Baustelle hängt jetzt ein Plakat mit der Aufschrift: "Auf Wunsch des Volkes: Gamal Mubarak, der nächste Präsidentschaftskandidat."