Obama ein Jahr im Amt Zweifel droht Hoffnung zu verdrängen
20.01.2010, 10:36 UhrBarack Obama steckt in einer politischen Krise: Ein Jahr nach seinem Amtsantritt muss er gegen fallende Umfragewerte, unzufriedene Anhänger und auftrumpfende Gegner kämpfen. Nun hat er auch noch die strategische Mehrheit im Senat verloren. Doch der Eindruck trügt: Obamas erstes Jahr war ein Erfolg.
Ausgerechnet zu seinem einjährigen Jubiläum im Weißen Haus erleidet Barack Obama die größte Niederlage seiner bisherigen Amtszeit: Die Nachwahl in Massachusetts kippt die für ihn so wichtige strategische Mehrheit im US-Senat. Die Republikaner erringen mit ihrem Sieg eine Sperrminorität und können Obama nun zu schmerzhaften Kompromissen zwingen - seine ehrgeizigen Pläne bei Gesundheitsreform und Klimaschutz sind bedroht.
Zudem hat Obama dramatisch an Ansehen verloren. In Umfragen mehrerer Fernsehsender fiel der Präsident unter die psychologisch so wichtige 50-Prozent-Marke - nur noch eine Minderheit der Bevölkerung ist mit seiner Politik zufrieden. Und auch Obama zweifelt öffentlich an seinen ehrgeizigen Plänen: "Es gibt Zeiten, in denen ich denke, dass all die Anstrengungen keinen Sinn machen", sagte er jüngst bei einem Besuch in einer Washingtoner Kirche. "Ich muss meinen Zweifeln die Stirn bieten."
Zu hohe Erwartungen
Ein Jahr nach seinem umjubelten Einzug ins Weiße Haus bläst dem Hoffnungsträger der westlichen Welt eiskalter Wind ins Gesicht. Die Bilanz der politischen Kommentatoren für die ersten zwölf Monate fällt ernüchternd aus, von Anti-Obama-Stimmung ist gar die Rede, von Überforderung des Präsidenten. Der "Wandel" und die "Hoffnung", die einst mit dem charismatischen Mann verbunden wurden, sind verblasst. Was hat den Ruf von Obama bloß so ruiniert?
Es sind vor allem die viel zu hohen Erwartungen, die Obama nun so tief fallen lassen. Gesundheitsreform, Afghanistan, Wirtschaftskrise, Schulden und Guantànàmo - wer glaubte, dass sich mit Obamas Amtsübernahme die Probleme wie von selbst lösen würden, war entweder naiv oder überschätzte die Macht des Präsidenten. Was sie nicht sehen, ist, dass Obama aber auch deutlich mehr erreicht hat, als manche Kommentatoren nun glauben machen wollen.
Man darf nicht vergessen, unter welchen Bedingungen der 44. Präsident am 20. Januar 2009 sein Amt übernommen hat: Die Wirtschaft lag nach der Finanzkrise am Boden, die Schulden explodierten, die Arbeitslosigkeit stieg und sein Vorgänger George W. Bush hatte ihm zudem noch mit Irak und Afghanistan zwei bedrohliche Krisenherde sowie einen durch übertriebene Sicherheitsmaßnahmen ausgehöhlten Rechtsstaat hinterlassen. In der Klima- und Gesundheitspolitik musste Obama bei null anfangen.
Es geht nicht schnell genug
Obama gab sich und seinem Team nach seinem Antritt entsprechend wenig Zeit. Er schnürte mit 787 Milliarden US-Dollar ein gigantisches Konjunkturpaket, griff der Automobilindustrie massiv unter die Arme und begann, strengere Regeln für die Finanzindustrie zu erarbeiten, um erneute Krisen dieses Ausmaßes zu verhindern. Das Ergebnis seiner Politik: Einerseits ächzt und keucht die Wirtschaft, doch sie erholt sich langsam und in der Finanzbranche sprudeln wieder die Gewinne. Andererseits liegt die Arbeitslosigkeit noch über zehn Prozent und das Haushaltsdefizit hat unfassbare Ausmaße angenommen.
Massenarbeitslosigkeit und Schuldenrekord sind absehbare und unvermeidbare Folgen der Wirtschaftskrise und der staatlichen Konjunkturbelebung. Trotzdem bekommt Obama den Frust und Ärger darüber ab - er sitzt nun einmal als Präsident im Oval Office, Bush ist Geschichte. Zudem kann er nicht erwarten, dass die US-Amerikaner ihn dafür belohnen, dass es nicht noch schlimmer geworden und das wirtschaftliche Desaster ausgeblieben ist.
Das Problem des Präsidenten: Es geht seinen Wählern nicht schnell genug. Obama hat im Wahlkampf hohe Erwartungen geweckt. Wenn nun nach dem massiven Einsatz von Steuergeldern die wirtschaftlichen Erfolge noch ausbleiben und die Arbeitslosigkeit nicht spürbar sinkt, wird ihm das übelgenommen. Deshalb verliert er vor allem im Lager von unabhängigen Wählern an Zustimmung.
Republikaner auf radikalem Anti-Obama-Kurs
Seine Gegner haben bereits kurz nach seinem Antritt die ausgestreckte Hand ausgeschlagen und sind auf einen offensiven Konfrontationskurs eingeschlagen. Strategisch erfolgreich, wie sich zeigt. Denn zum einen haben die Republikaner durch ihren Widerstand Obama in parteipolitische Streitereien hineingezogen, und so massiv zu seiner Entzauberung beigetragen und das Image der Überparteilichkeit zerstört. Zum anderen treffen die US-Konservativen nach wie vor den Nerv von großen Teilen der Bevölkerung. Da Präsidenten in den USA für ihre Politik auf breite Mehrheiten angewiesen sind, können die Republikaner auf wichtigen Gebieten die Schlagrichtung der Debatte diktieren. Ihr Credo ist gleich geblieben: Sie werfen Obama zu viel "Staat" und zu hohe Schulden vor.
Bestes Gesundheitsreform: Obamas Herzensprojekt der Gesundheitsreform, bei der ihn die Republikaner erfolgreich in die Defensive gezwungen haben. Ihr Schreckensbild eines wahlweise faschistischen oder sozialistischen Staates, der seinen Bürgern die Art und Weise ihrer Behandlung vorschreibt, hat einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung erreicht. Sie haben es geschafft, dass die als Wohltat für Millionen Menschen ohne Krankenversicherung initiierte Reform zu einem staatlichen Kostenmonster mutiert ist Beispiel Klimawandel: Dass sein Klimagesetz nicht pünktlich zur Konferenz in Kopenhagen fertig war, lag am Kongress, nicht an Obama. Mit einer Vielzahl von Initiativen hat er es gleichwohl geschafft, dem Thema wieder mehr Aufmerksamkeit zu geben.

Die "Doomsday Clock" wird von der Zeitschrift "Bulletin of the Atomic Scientists" vor- oder zurückgestellt.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Obama hat durch den Streit um die Gesundheitsreform, die das Land spaltet, viel Kredit verspielt und Kraft verbraucht. Denn der Präsident wird zwischen den Ängsten seiner Gegner und den Erwartungen seiner Anhänger zerrieben: Den einen ist jeder Schritt einer Reform zu viel, den anderen geht er nicht weit genug. Das gilt nicht nur für die Gesundheitsreform, die Obama strategisch völlig richtig an den Anfang seiner Amtszeit gelegt hat. Zwar muss er nun erst einmal vor allem die Wirtschaft in Schwung bringen und den Haushalt sanieren, um die Bevölkerung von seiner Kompetenz zu überzeugen und neuen Kredit zu sammeln. Doch trotz der verlorenen Senatsmehrheit sollte er diese dringend notwendige Reform nicht aufgeben - und sie mit der ein oder anderen Stimme der Republikaner verwirklichen.
Anlass zur Hoffnung
Ausgerechnet die durch Kompromisse verwässerte Gesundheitsreform ist es, die Anlass zur Hoffnung gibt: Obama beweist Durchhaltewillen, auch angesichts massiver Widerstände. Er ist kein Präsident, der aufgibt. Trotz aller Rückschläge vermittelt Obama, dass er eine genaue Vorstellung von seinen Zielen hat und an ihnen auch festhält. Zudem agiert er besonnen und pragmatisch - sei es im Angesicht von vereitelten Terroranschlägen oder neuen Krisenherden.
Wenn die Gesundheitsreform geschafft ist, muss Obama beweisen, dass er auch auf anderen Politikfeldern zu einem langen Atem fähig ist. 2010 wird ein Jahr der Bewährung für ihn. Ende des Jahres werden das Repräsentantenhaus und rund ein Drittel des Senats neu gewählt. Da geht es dann nicht mehr nur um Stimmungen und Erwartungshaltungen - da wird politisch abgerechnet. Den Kurs für 2010 wird er wohl am 27. Januar vorgeben: Da hält der Präsident seine erste Rede zur Lage der Nation.
Quelle: ntv.de