Pressestimmen

Karlsruhe verbietet Ramelow-Überwachung "Der Kalte Krieg ist längst vorbei"

Pressestimmen.jpg

Die Bundesrichter in Karlsruhe erklären die Überwachung des Linke-Politikers Bodo Ramelow durch den Verfassungsschutz für verfassungswidrig und beenden damit eine jahrzehntelange Observierung. Ramelow sei keiner anti-demokratischen Bestrebung verdächtig, eine Beobachtung durch die Behörde demnach unzulässig. Die deutschen Tageszeitungen begrüßen das Urteil. Kritik gibt es für das unverhältnismäßige Vorgehen der Verfassungsschützer.

Die Mitteldeutsche Zeitung bezeichnet die Überwachung Ramelows als einen unzulässigen "Eingriff in das freie Mandat des Landtagsabgeordneten". Sie habe mit der Aufgabe des Verfassungsschutzes nichts zu tun. Dieser solle, so die Zeitung weiter: "die freiheitliche demokratische Grundordnung schützen, dazu zählen nach § 4 Bundesverfassungsschutzgesetz unter anderem die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, die Ablösbarkeit der Regierung, die Unabhängigkeit der Gerichte". Dazu gehöre nicht die Wirtschaftsordnung: "Wer sie wie Ramelow kritisiert, macht vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch - das der Verfassungsschutz zu schützen hat. Wer wie Ramelow den Kapitalismus als Segen der Menschheit in Frage stellt, der nimmt die freiheitlich demokratische Grundordnung in Anspruch."

Seit zehn Jahren klagt der Politiker der Linken gegen die Überwachung - jetzt gibt ihm das Bundesverfassungsgericht recht.

Seit zehn Jahren klagt der Politiker der Linken gegen die Überwachung - jetzt gibt ihm das Bundesverfassungsgericht recht.

(Foto: dpa)

"Mit einer deftigen Klatsche haben Deutschlands oberste Richter dem Verfassungsschutz Grenzen aufgezeigt", schreibt die Mittelbayerische Zeitung. Diese sei nötig gewesen, da der "Verfassungsschutz jahrelang glaubte, die Verfassung nach eigenem Gusto auslegen zu können".

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fragt sich indes, ob das Urteil wirklich als "eine Ohrfeige für die Schlapphüte" gewertet werden muss und kommt zu folgendem Ergebnis: "Man kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Linke-Politiker Bodo Ramelow auch anders lesen: Abgeordnete dürfen vom Verfassungsschutz beobachtet werden - aber nur unter engen Voraussetzungen." Diese seien im Fall Ramelow allerdings nicht erfüllt gewesen. Nur weil ein Politiker der "falschen" Partei angehöre, dürfe dieser nicht vom Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt werden. Die Kontrolle der Parteien sei "in erster Linie Sache des Parlaments, des politischen Prozesses".

Die Berliner Zeitung betont die Deutlichkeit, mit der die Verfassungsrichter die frühere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kritisiert hätten: "So unduldsam und drastisch, dass die Wortwahl an die Schelte eines genervten Lehrers erinnert, der einem faulen Schüler der 10. Klasse zunehmend verzweifelt das Alphabet beizubringen versucht, das andere Schüler gemeinhin in der ersten Klasse lernen." Es sei an der Zeit, dass Verfassungsschutz und Bundesverwaltungsgericht endlich begreifen: "Der Kalte Krieg ist längst vorbei."

Die Landeszeitung aus Lüneburg kommentiert: "Es brauchte die Verfassungshüter, um die Verfassungsschützer auf ihrem Irrweg zu stoppen." Kapitalismuskritik allein dürfe niemanden zum Staatsfeind machen, schreibt die Zeitung weiter und führt an: "Sonst müsste auch der Papst bespitzelt werden. Und die Kanzlerin hätte sich mit der Quasi-Verstaatlichung von Banken in der Finanzkrise zumindest verdächtig gemacht." Eine Behörde, die linke Abgeordneten und Journalisten bespitzele, rechte Serienmörder aber übersehe, weil er nicht von dem Vorurteil lassen wolle, "dass die ausländischen Mordopfer doch irgendwie mit der organisierten Kriminalität verbunden sein müssten, untergräbt das Vertrauen in den Staat".

"Das Verfassungsgericht hat juristisch entschieden, zumindest in einem Punkt aber politisch argumentiert", schreibt die Stuttgarter Zeitung und begründet: "Es verteidigt Ramelow auch deshalb, weil er innerhalb der Linken aktiv ist. Gerade wenn in einer Partei wie der Linken unterschiedliche Kräfte und Strömungen miteinander ringen, stärke das innerparteiliche Engagement eines Mitglieds, das selbst 'auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung' steht, diese freiheitliche Ordnung." Auf diese Idee, so die Zeitung abschließend, "hätten auch der Bundesinnenminister und der Verfassungsschutz kommen können - und kommen müssen."

Zusammengestellt von Aljoscha Ilg

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen