

"Wenn man alle Gesetze studieren wollte, so hätte man gar keine Zeit mehr, sie zu übertreten."
Zu dieser Erkenntnis kam Goethe schon im 19. Jahrhundert.
Und damals gab es weder ein Bürgerliches Gesetzbuch noch eine Straßenverkehrsordnung, geschweige denn solch segensreiche Texte wie das Verbraucherkredit- oder Fernabsatzgesetz.
Kurz gesagt: Seit Goethe ist es nicht einfacher geworden. Nicht umsonst löschen Jurastudenten Teile ihrer Kindheitserinnerungen aus dem Großhirn, um Kapazitäten für den Stoff des ersten Staatsexamens zu schaffen.
Dafür stehen sie uns dann später für teuer Geld zur Seite, wenn wir juristischen Rat und Unterstützung brauchen. Im Alltag verlassen wir uns einfach auf unser solides Halbwissen.
Doch das ist trügerisch. Denn viele unserer juristischen Binsenweisheiten entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Ammenmärchen. 30 Rechtsirrtümer wollen wir Ihnen an dieser Stelle vorstellen.
1. Ein wahrer Hort für Mythen und Legenden ist das Kaufrecht. Das fängt schon im Supermarkt an, wenn man an der Kasse feststellt, dass der Joghurt mit 69 Cent berechnet wird, statt mit den ausgepreisten 45 Cent. "Der Preis an der Ware gilt", sollte man meinen.
Ist aber nicht so. Denn rechtlich ist die Preisangabe nur die Aufforderung, ein Kaufangebot abzugeben. Wird an der Kasse ein anderer Preis genannt, kann sich der Kunde entscheiden, ob er die Ware trotzdem mitnehmen möchte.
2. Gekauft ist gekauft. Aber da gibt es doch noch ein Rückgaberecht innerhalb der ersten zwei Wochen, oder?
Gibt es nicht. Eine solche Regelung gilt allenfalls, wenn man die Ware vorher nicht selbst ansehen kann, etwa bei Bestellungen aus Katalogen oder übers Internet. Ansonsten ist die Rückgabe reine Kulanzsache.
3. Reduzierte Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen.
Ob reduziert oder nicht - mangelhafte Ware muss der Verkäufer zurücknehmen und das Geld erstatten. Wenn Ihnen nur die Farbe oder Größe nicht gefallen, gibt es aber kein Recht auf Umtausch.
4. Mangelhafte Produkte muss ich doch sowieso beim Hersteller reklamieren.
Nein, müssen Sie nicht. Nach dem Kauf muss der Händler zwei Jahre lang gewährleisten, also für Umtausch oder Reparatur sorgen. Nach sechs Monaten gilt allerdings die Beweislastumkkehr: Sie müssen dem Händler beweisen, dass das Produkt von Beginn an mangelhaft war.
5. Manch einer traut sich nicht, Originalverpackungen wegzuschmeißen, weil er sie noch für eine Reklamation brauchen könnte. Zu Recht?
Das ist natürlich Humbug. Niemand muss Kartons horten, um sein Reklamationsrecht nicht zu gefährden. Fehlerhafte Ware muss der Händler zurücknehmen - egal in welcher Verpackung.
6. Apropos Reklamationen: Wenn Sie bei ebay unterwegs sind, ist Ihnen im einen oder anderen Angebot sicher auch schon der Satz begegnet, dass eine Garantie gemäß neuem EU-Recht ausgeschlossen werden muss. Ist das so?
Nein. Denn die Garantie ist ohnehin eine freiwillige Leistung. Ausschließen können und sollten Privatverkäufer nur die Gewährleistung. Sie ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, hat mit EU-Recht also nichts zu tun.
7. Wo wir schon beim Thema ebay sind: Stimmt es, dass ich für meine Online-Auktionen Bilder aus dem Internet verwenden darf? Geschützt sind doch nur Fotos mit ©-Symbol.
Von wegen. Nur wenn Bilder ausdrücklich zur Verwendung freigegeben sind, können Sie sie bedenkenlos kopieren. Alles andere ist geschützt, auch ohne Copyright-Zeichen. Und die Abmahnung kann teuer werden.
8. Es gibt ja Menschen (klar, Sie sicher nicht), die grundsätzlich erst nach der zweiten Mahnung zahlen und sich dabei auf der sicheren Seite wähnen.
Das ist riskant. Rechtlich ist ein Gläubiger nämlich gar nicht verpflichtet, zu mahnen. Sobald die Zahlungsfrist abgelaufen ist, beginnt der Verzug und der Gläubiger darf einen gerichtlichen Mahnbescheid erwirken und Zinsen in Rechnung stellen.
Dass die meisten Firmen trotzdem erstmal Mahnungen schicken, ist reine Kulanz - verlassen kann man sich darauf nicht.
9. Überweisungen kann man sechs Wochen lang zurückrufen.
Leider nein. Wenn das Geld erstmal auf dem Empfängerkonto gelandet ist, ist es weg und kann nicht so einfach zurückgeholt werden. Stornieren lassen sich allenfalls Lastschriften, die unberechtigt vom Konto eingezogen wurden.
10. Vorerst letztes Finanzthema: Versicherungen. Angenommen, Sie haben die Kamera ruiniert, die Ihnen ein Freund für den Urlaub geliehen hat. Ein Fall für Ihre Haftpflichtversicherung, oder?
Eben nicht. Geliehene oder gemietete Gegenstände sind von der Haftpflichtversicherung ausgeschlossen. Das gilt aber nur für bewegliche Dinge, nicht für gemietete Immobilien.
Anders liegt der Fall, wenn Sie spontan nach der Kamera greifen, die neben Ihnen auf dem Tisch liegt. Dann handelt es sich um ein "besitzrechtloses Nutzungsverhältnis" und die Versicherung haftet für Schäden.
11. Der Finderlohn beträgt zehn Prozent.
Ehrlichkeit soll belohnt werden - allerdings nicht mit zehn Prozent. Ist die Fundsache bis zu 500 Euro wert, bekommt man fünf Prozent, für alles, was darüber hinaus geht, drei Prozent.
12. Restaurantbesuche arten manchmal zur Geduldsprobe aus. Wenn ich dreimal erfolglos um die Rechnung gebeten habe, darf ich gehen, ohne zu zahlen.
So einfach ist das nicht. Durch ignorante Kellner gerät das Lokal vielleicht in Annahmeverzug, den Anspruch auf Bezahlung verliert es aber nicht. Die Forderung kann allenfalls verjähren.
Die sicherste Lösung in solchen Fällen ist, an der Theke zu zahlen. Wahlweise kann man auch einen Zettel mit der Anschrift hinterlassen. Dann kann der Gastwirt die Rechnung per Post zustellen, wenn er will.
13. Ob in der Kneipe oder im Restaurant - wenn nach einer geselligen Runde Posten auf der Rechnung offen bleiben, muss der Letzte die Zeche zahlen.
Nein. Auch wenn es bequemer ist, eine gemeinsame Rechnung für den ganzen Tisch aufzumachen, muss der Kellner nachweisen können, was der einzelne Gast bestellt hat. Und nur das muss man auch bezahlen.
14. Niemand zahlt mir meine gestohlene Jacke, wenn im Lokal das Schild "Für Garderobe keine Haftung" hängt.
So einfach kann es sich der Gastwirt nicht machen. Wenn die Gäste ihre Garderobe nur an einer Stelle ablegen können, die für sie nicht einsehbar ist, muss das Lokal bei Diebstahl haften.
15. Wir entfernen uns aus dem öffentlichen Raum und begeben uns ins Private. Doch nicht mal in der eigenen Wohnung ist man sicher. Wenn die Damen und Herren von der GEZ vor der Tür stehen, muss ich sie doch wohl auch hereinlassen.
Müssen Sie nicht! Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Grundgesetz festgelegt. Wenn die GEZ wissen möchte, ob Sie einen Fernseher besitzen, muss sie das schon anderweitig herausfinden.
Ein vorhandener Kabelanschluss oder eine sichtbare Satelliten-Antenne beweisen übrigens nicht, dass man auch einen Fernseher besitzt.
16. Es gibt ein Recht auf Grillen!
Enttäuschung für Freunde des Barbeques: Grillen ist nur okay, solange dadurch niemand belästigt wird. "Riecht doch lecker", werden Sie vielleicht einwenden. Das finden allerdings nur diejenigen, die sich auf die Würstchen freuen können.
Wenn die Nachbarn durch Geruch, Qualm oder Ruß erheblich belästigt werden, kann das Grillen per Hausordnung generell verboten werden.
17. Wenn ich vorzeitig aus einem Mietvertrag herauskommen möchte, kann ich dem Vermieter einfach drei potentielle Nachmieter präsentieren. Er muss dann einen Kandidaten auswählen.
So einfach ist das leider nicht. Wenn die Nachmieter-Regelung nicht im Mietvertrag vereinbart ist, muss der Vermieter schon zustimmen, es sei denn, Sie haben gewichtige Gründe für einen Auszug. Dazu zählen z.B. ein beruflich bedingter Ortswechsel oder Familienzuwachs.
Zudem muss der Nachmieter objektiv zumutbar und geeignet sein. Er sollte also die Miete zahlen können und die Wohnung auf ähnliche Weise nutzen wie der Vormieter. (Also beispielsweise nicht zu dritt in eine Single-Wohnung ziehen.)
Na schön, Sie sind vielleicht kein Jurist und müssen sich nicht mit den Feinheiten des Miet-, Kauf- oder Urheberrechts auskennen. Aber wenigstens was den Straßenverkehr angeht, sind wir doch alle Experten.
18. So kennt doch jeder Dreiradfahrer die Grundregel: Wer einem anderen hinten drauf fährt, hat Schuld. Hat wahrscheinlich nicht den nötigen Abstand eingehalten oder war kurz unaufmerksam und muss deshalb den Schaden bezahlen.
Zugegeben: Unaufmerksamkeit oder ein zu geringer Abstand sind die häufigsten Ursachen für Auffahrunfälle. Aber eben keineswegs die einzigen.
Wenn der Auffahrende plausibel machen kann, dass der Fehler beim Vordermann lag, ist er aus dem Schneider. Die Beweislast liegt grundsätzlich bei dem, der Geld will.
19. Wenn ich einer abknickenden Vorfahrtstraße folge, muss ich nicht blinken.
Wenn Sie Ihren Führerschein vor einigen Jahrzehnten gemacht haben, hat man Ihnen das vielleicht noch so beigebracht. Doch die Regeln haben sich geändert: Wer abbiegt, muss blinken - egal ob Vorfahrt oder nicht.
Aus früheren Zeiten rührt auch die Gewohnheit zu blinken, wenn man geradeaus fährt, statt der abknickenden Vorfahrtstraße zu folgen. Das ist nicht nur unnötig, sondern kann andere irritieren und zu Unfällen führen.
20. Mein Auto kann nicht ohne weiteres abgeschleppt werden, wenn ich einen Zettel mit meiner Handynummer hinterlasse.
So einfach kommen Sie nicht davon! Ein Zettel mit der Aufschrift "Bei Störung bitte anrufen - komme sofort" reicht nicht aus. Es muss konkrete Hinweise darauf geben, dass Sie ganz in der Nähe sind und Ihr Fahrzeug schneller als der Abschleppwagen entfernen können.
Also: Wenn Sie schon falsch parken müssen, geben Sie am besten die Adresse Ihres Aufenthaltsortes an. Ein zuverlässiger Abschleppschutz ist das allerdings auch nicht.
21. Samstag ist kein Werktag.
Und deshalb brauchen Sie werktägliche Halteverbote und Tempolimits samstags nicht beachten, ja? Nix da. Auch wenn Ihr Wochenende schon Freitag nachmittag anfängt: Im Verkehrsrecht wird nur zwischen Werktag, Sonn- und Feiertag unterschieden.
Samstags gelten also die gleichen Gesetze wie in der Woche.
22. Radfahrer dürfen nicht auf der Straße fahren, wenn es einen Radweg gibt.
Nein, liebe Autofahrer, so einfach ist das nicht. Grundsätzlich sollen Radfahrer nur solche Radwege nutzen, die mit einem blauen Schild gekennzeichnet sind. Wenn diese aber zu schmal (< 1,50 m) oder zu holprig sind, können Radler auch auf die Straße ausweichen.
Ist der Radweg durch parkende Autos oder Baustellen blockiert, haben Fahrradfahrer ohnehin freie Fahrt auf der Straße.
23. Die Straßenbahn hat immer Vorfahrt.
In Deutschland nicht. Während Straßenbahnen im Ausland oft eingebaute Vorfahrt haben, gilt hierzulande "rechts vor links". Zumindest, solange kein Schild auf anderes hinweist.
Vorfahrt haben Straßenbahnen außerdem an Zebrastreifen. Doch egal ob Fußgänger oder Autofahrer: Im Zweifelsfall ist es immer gesünder, der Bahn den Vortritt zu lassen.
24. Für TÜV oder Abgasuntersuchung habe ich zwei Monate länger Zeit als auf der Plakette angegeben.
Wenn es so wäre, könnten die Plaketten ja gleich für zwei Monate länger ausgestellt werden. Tatsächlich ist die Überziehung aber ab dem ersten Tag eine Ordnungswidrigkeit. Nur wird sie in den ersten beiden Monaten nicht mit Bußgeld geahndet.
Die Behörden gehen nämlich zunächst von einem fahrlässigen Verstoß aus. Wenn Sie allerdings genau wissen, wann der nächste TÜV-Termin fällig ist und trotzdem weiterfahren, handeln sie vorsätzlich - und das ist strafbar.
25. Auf dem Weg zur Arbeit bin ich versichert.
Grundsätzlich richtig. Aber: Die gesetzliche Unfallversicherung zahlt nur, wenn Ihnen auf dem direkten Arbeitsweg etwas passiert. Machen Sie einen Abstecher zur Post oder zum Supermarkt, greift der Versicherungsschutz nicht.
26. Alkohol am Steuer ist erst ab 0,5 Promille strafbar.
Wenn Sie durch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen auffallen, kann man Sie schon wegen 0,3 Promille belangen. Die gleiche Grenze gilt, wenn Sie einen Unfall verursachen.
27. Einen Bus darf man an der Haltestelle nicht überholen, wenn das Warnblinklicht eingeschaltet ist.
Nein. Das Überholverbot gilt nur, während der Bus die Haltestelle mit Warnblinklicht anfährt. Am stehenden Bus dürfen Sie vorbeifahren, allerdings nur in Schrittgeschwindigkeit und mit gebührendem Abstand.
28. Walkman oder MP3-Player sind im Straßenverkehr verboten.
Die Straßenverkehrsordnung schreibt vor, dass die akustische Wahrnehmung nicht beeinträchtigt werden darf. Solange die Musik nicht die übrigen Verkehrsgeräusche übertönt, sind Kopfhörer aber geduldet.
29. Ob Verkehrspolizist oder Finanzamtmitarbeiter - wenn ich gegenüber einem Beamten ausfällig werde, ist die Strafe besonders hoch.
Falsch. Einen Tatbestand "Beamtenbeleidigung" kennt das deutsche Strafrecht gar nicht. Wenn Sie einer Politesse den Stinkefinger zeigen, zahlen Sie also nicht mehr, als wenn Sie einen Passanten anrüpeln.
Trotzdem begeben Sie sich auf besonders dünnes Eis, wenn Sie gegenüber einem Beamten ausfällig werden. Denn während "normale" Personen nur selbst Strafanzeige erstatten können, wird bei "Beamtenbeleidigung" auch der Dienstvorgesetzte aktiv.
30. Festnehmen darf nur die Polizei.
Grundsätzlich liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Wenn Sie aber einen Straftäter auf frischer Tat ertappen, müssen Sie ihn nicht laufen lassen, sondern können ihn - wenn möglich - bis zum Eintreffen der Polizei festhalten oder notfalls auch selbst bei der Polizei abliefern.
Falls nötig dürfen Sie auch Gewalt anwenden - allerdings nur, wenn Sie die Gesundheit des Täters nicht gefährden. Also lassen Sie nicht den bösen Cop raushängen. Und: Wenn Sie den Falschen festsetzen, sind Sie schnell wegen Freiheitsberaubung dran.
So, wir sind durch. Für die Anwaltszulassung wird Ihr neu gewonnenes Wissen wohl nicht reichen, aber dafür dürfen Sie auch Ihre Kindheitserinnerungen behalten. (Text: I. Noé, Bilder: AP, dpa, pixelio)