Dossier

Als die DDR zusammenbrach Bürger stürmen Honeckers Jagdsitz

Sie hatte einen feudalen Beigeschmack – die Jagd der DDR-Politbüro-Herren. Kurz nach dem Mauerfall war es vorbei mit dem Spaß, das Volk stürmte die Jagdsitze.

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Die DDR-Führung hielt sich extra Wild für die Jagd.

(Foto: dpa)

Nach dem Mauerfall am 9. November dauerte es noch drei Tage, bis aufgebrachte Demonstranten den streng abgeschirmten Jagdsitz von Erich Honecker am Drewitzer See bei Waren eroberten. "Lasst uns Honecker besuchen", hatten empörte Bürger beschlossen. Der neu gebaute Jagdsitz des greisen Funktionärs hatte rund 40 Millionen DDR-Mark verschlungen. Einheimische durften weite Waldgebiete nicht betreten, Naturschützer nicht einmal Tiere beobachten. Doch nach dem 9. November 1989 wurde alles anders.

Hunderte aufgebrachte Bürger ließen sich nicht mehr abweisen und verlangten Aufklärung über die Jagdprivilegien der DDR-Partei- und Staatsführung an der Mecklenburgischen Seenplatte. Dass es dabei nicht zur Eskalation mit bewaffneten Wachmannschaften kam, war vor allem Pastoren mit ihrem besonnenen Verhalten zu verdanken. Rings um die Müritzstadt Waren hatte sich die Politelite seit Jahren große Wälder für die Jagd reserviert und extra Wild gehalten.

Zwischen Feudalismus und Sozialismus

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So sehen sie heute aus: das Haupthaus von Honeckers einstigem Jagdsitz in Drewitz ...

(Foto: ZB)

In großen Teilen betrieb die DDR-Führung unter Walter Ulbricht und später Erich Honecker die feudale Art der Jagd weiter - wie früher der Adel und auch Nazi-Größen. Insgesamt waren in der DDR rund 700.000 Hektar, etwa acht Prozent der Jagdfläche, für Partei- und Staatsgrößen, die Nationale Volksarmee (NVA) und die Rote Armee reserviert. Das Gros der Staatsjagdgebiete lag in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg.

Sigurd Havemann, damals Pastor in Krakow am See bei Güstrow, erinnert sich, wie er mit Freunden am 10. November auf dem Rückweg von einer Beerdigung in einem alten Barkas einfach von der Straße abbog und mit dem Kleintransporter in das sonst gesperrte Waldgebiet zu einem einsamen Jagdsitz fuhr. "Das ist verboten, Sie haben doch die Schilder gesehen", hat uns die Wachtruppe der Staatssicherheit erklärt", erinnert sich Havemann an diesen Freitag.

Wechsel im Revier

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.. und das des früheren DDR-Ministerpräsidenten Stoph an der Müritz.

(Foto: dpa)

"Wenn wir uns an alle Schilder gehalten hätten, wäre Honecker noch im Amt" - entgegneten die Männer um Havemann und kündigten an, wiederzukommen. Am Sonntag versammelten sich schon 300 Menschen, um die Öffnung des Jagdobjektes zu erzwingen. Die Wachmannschaften, bewaffnet mit Maschinenpistolen, empfingen die Menschen. "Angst hatte ich nicht, dazu hatte ich bis dahin schon mehr Demonstrationen erlebt", erzählt der Pastor.

Aber die Wachleute seien sehr unsicher gewesen. Augenzeugen berichteten von einem Kommandanten, der "am liebsten die MPi hineingehalten hätte." Die Demonstranten erzwangen den Einlass, kamen aber noch nicht in die Häuser. Erst eine Woche später erkundeten Havemann und seine Freunde auch Honeckers Jagdsitz: "Aber da war schon vieles weggeschafft und präpariert", erinnert sich der Pastor. Fast zeitgleich erzwangen bei Speck an der Müritz Bürger Einlass in das Anwesen von Willi Stoph, dem Vorsitzenden des DDR-Ministerrates. Die Stimmung kochte. An jedem der nächsten Wochenenden strömten Tausende zu den Sitzen der Jagdprivilegierten. "Sie haben Wasser gepredigt und Wein getrunken", sagt ein Zeitzeuge. Das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit war verspielt.

Neue Zeiten

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Rings um die Müritzstadt Waren hatten sich die höchsten DDR-Repräsentanten Wälder für die Jagd reserviert.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Ende November versuchte ein Verantwortlicher der DDR-Staatsjagd auf einem Forum in Waren noch eine Rechtfertigung, erntete aber ebenso Gelächter wie sein Chef - Stasichef Erich Mielke - mit seinem Spruch "Ich liebe Euch doch alle" später vor der Volkskammer. Das Stoph-Objekt im heutigen Nationalpark wurde völlig abgerissen. Wer heute an den Drewitzer See kommt, wie Ulrike und Armin Tuchscherer aus Zwickau, findet ein offenes Tor. Ein Bremer Kaufmann hatte das einst teuerste Objekt der Staatsjagd erworben, zur "Jagd- und Naturparkresidenz" umgebaut. Doch er erlitt Schiffbruch, nun versucht ein neuer Betreiber, das Gelände touristisch zu vermarkten. Auch mit einer Zwangsversteigerung wird gerechnet.

"Schon eine tolle Lage, aber ein bisschen einsam", findet Tuchscherer und betrachtet das Stück DDR-Geschichte an den Wänden des Restaurants. Dort zeugen noch Fotos von den "Jagderfolgen" Honeckers, Mielkes und ihrer Gäste.

Quelle: ntv.de, Winfried Wagner, dpa

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