Zwischen Rafah und Ägypten Hunderte Schmuggel-Tunnel
08.10.2008, 11:49 UhrSchon am frühen Morgen dröhnt der Lärm von Maschinen durch die Straßen von Rafah, auf zahlreichen Baustellen herrscht reger Betrieb. Die Grenzstadt im Gazastreifen ist zur Hauptstadt der Schmuggler geworden. Unter der Grenze verlaufen mittlerweile hunderte unterirdische Gänge, die das abgeriegelte Palästinensergebiet mit Ägypten verbinden. "Der Boden von Rafah ist ein richtiger Schweizer Käse", sagt Baustellenleiter Madschid Arbia und lacht. "Wenn es ein Erdbeben gäbe, würde alles in sich zusammenstürzen."
Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Hamas verhängte Israel im Juni 2007 eine Blockade über den Gazastreifen. Seitdem wurden zahlreiche Stollen in den sandigen Boden gegraben. Zu erkennen sind sie an kleinen Hütten, in denen sich die Eingänge verbergen, und an den vielen Erdhügeln, die sich entlang der 14 Kilometer langen Grenze auftürmen. "Wegen der Blockade des Gazastreifens und der Schließung der Grenzen ist das hier eine Wachstumsbranche", sagt Abu Chaled, der seit gerade einmal zehn Tagen eine der Baustellen überwacht.
Schmuggelroute für Waffen und Sprengstoff
In Sichtweite werden noch drei weitere Tunnel gebaut, durch die nach israelischen Angaben nicht nur Lebensmittel und andere Schwarzmarkt-Waren, sondern auch Waffen und Sprengstoff in den dicht bevölkerten Küstenstreifen geschmuggelt werden. Die Tunnelbauer arbeiten in aller Öffentlichkeit, die Hamas schreitet nicht ein. Die Regierung hole sich ihren Anteil an den geschmuggelten Waren, sagt Chaled. "Ab und an kommt die Hamas vorbei, um uns zu sagen, dass es verboten ist, Waffen und Haschisch zu schmuggeln", erzählt er, während er mit einem jungen Arbeiter eine Ladung aus 20 Metern Tiefe nach oben wuchtet.
"Wir arbeiten jeden Tag, rund um die Uhr. Sechs Leute am Tag, sechs in der Nacht", sagt Chaled, der früher bei der Leibgarde von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beschäftigt war. Weil die Hamas nichts dagegen unternimmt, werden die Tunnel immer mehr. Nach einem Bericht der israelischen Zeitung "Jediot Ahronot" haben ägyptische und US-Soldaten in weniger als einem Monat 42 Stollen an der Grenze entdeckt. Nach Angaben der Schmuggler sind es hunderte.
Weil die Arbeitslosigkeit im Gazastreifen hoch ist, haben die Tunnelbauer keine Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden. Obwohl die Arbeit gefährlich ist. Die Tunnel können jeden Moment einstürzen. Außerdem herrscht in den engen Röhren Sauerstoffmangel und die ägyptische Armee geht gegen die Schmuggler vor.
"Es gibt sonst keine Arbeit"
500 Dollar (360 Euro) zahlt Madschid Arbia seinen Arbeitern für 100 Meter Tunnel. "Die Leute kommen von überall her, um Arbeit zu finden", sagt der Baustellenchef, der vor der allgemeinen Rohstoffknappheit ein Zementwerk leitete. "Gaza, Dschabalija, Deir el Balah. Allein dieser Tunnel ernährt 15 Familien." In seinem Tunnel arbeiten vor allem Jugendliche. "Es gibt sonst keine Arbeit und ich brauche Geld", sagte der 20-jährige Jussef, der an der Universität von Deir el Balah Fotografie studiert. "Alle, die hier arbeiten, sind an der Universität, so wie ich. Es sind sogar Doktoranden dabei".
Quelle: ntv.de, Mehdi Lebouachera, AFP