Ölpest aus der Tiefe BP und die Verantwortung
03.05.2010, 15:36 Uhr
Der Ölteppich wird ständig größer.
(Foto: picture alliance / dpa)
Zunächst wurde der Untergang der Ölförderplattform "Deepwater Horizon" eher als lokales Unglück wahrgenommen. Doch inzwischen hat sich die Ölpest im Golf von Mexiko zu einer nationalen Krise ausgewachsen. n-tv.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie viel Öl läuft derzeit aus dem ungesicherten Bohrloch der gesunkenen Bohrinsel "Deepwater Horizon" aus?
Nach Schätzungen der Küstenwacht sind bis Samstag mindestens 6,1 Millionen Liter Rohöl aus den drei Lecks am Meeresgrund ausgelaufen. Jeden Tag kommen nahezu 5000 Barrel oder 795.000 Liter hinzu. Der Wert ist fünfmal höher, als BP zunächst angegeben hatte.
Ist das Unglück schlimmer als 1989 der Untergang der "Exxon Valdez"?

Die Schäden. die das Öl der "Exxon Valdez" anrichtete, sind auch 20 Jahre später noch erheblich.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bei der Katastrophe im Prinz-William-Sund in Alaska liefen rund 40 Millionen Liter Öl ins Meer. Wenn es nicht gelingt, den Druck vom Bohrloch der havarierten Bohrinsel zu nehmen, könnte diese Größenordnung im Golf von Mexiko in etwa drei Monaten erreicht sein. Die "Exxon Valdez" war ein Tanker mit einer bestimmten Ölmenge an Bord. Im Golf von Mexiko tritt das Öl direkt aus einem Förderloch aus, im schlimmsten Fall so lange, bis der Druck nachlässt.
Was wird getan, um das Austreten von noch mehr Öl zu verhindern?
BP hat zehn Untersee-Roboter im Einsatz, die bislang erfolglos versuchen, die Lecks in 1500 Metern Tiefe zu schließen. Die Roboter sollen einen Mechanismus aktivieren, der eigentlich im Fall eines Unfalls das Ölleck automatisch abdichten soll, nach der Explosion aber nicht ausgelöst worden war. Der Einsatz der ferngesteuerten U-Boote sei wie eine "Operation am offenen Herzen im Dunkeln", sagte der US-Präsident des Ölkonzerns, Lamar McKay. Jedoch kämen die Ingenieure mit dem Bau einer Kuppel, die das ausströmende Öl unter der Wasseroberfläche auffangen soll, schneller voran als gedacht. Die Kuppel soll demnach in sechs bis acht Tagen einsatzbereit sein - zunächst war mit einer Fertigstellung nach zwei bis vier Wochen gerechnet worden.
Außerdem wird ein weiteres Loch in der Nähe des beschädigten Bohrlochs gebohrt, um den Druck vom bisherigen Bohrloch der zerstörten Ölplattform zu nehmen und um das Hauptbohrloch mit Schlamm und Beton zu schließen. Das kann bis zu drei Monate dauern. Nach Ansicht von Experten ist dies die aussichtsreichste Lösung.
BP setzt zusätzlich erstmals Chemikalien zum Auflösen des Öls auch unter Wasser ein. Das wurde bislang noch nie in dieser Tiefe versucht. Zu diesem Zweck soll eine Vorrichtung ein Dispersionsmittel direkt in das austretende Öl injizieren. Da sich die beiden Flüssigkeiten nicht mischen, verteilt sich Öl unter Wasser in mehr oder minder großen Tropfen. Das Dispersionsmittel macht diese Tropfen kleiner. Sind die Tropfen klein genug, steigen sie nicht mehr zur Oberfläche.
Was wird unternommen, um eine Ölpest durch das bereits ausgetretene Öl zu minimieren?

Fischen dürfen die Fischer nicht mehr, also nehmen viele die BP-Offerte an.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Es wurden kilometerlange schwimmende Barrieren ausgelegt, die verhindern sollten, dass der Ölteppich die Küste erreicht. Hinter den Barrieren sollte zudem der Ölfilm abgesaugt werden. Schlechtes Wetter mit heftigem Wind und hohem Wellengang hat diese Maßnahmen jedoch weitgehend wirkungslos werden lassen. Zum einen können nicht genug Ölsperren ausgelegt werden. Außerdem treiben die Wellen das Öl über die bereits bestehenden Barrieren hinweg. Flugzeuge, die Chemikalien zur Zersetzung des Öls abwerfen sollten, mussten ebenfalls am Boden bleiben. Auch das Abfackeln von Teilen des Ölteppichs hat sich als nicht wirkungsvoll erwiesen und war zudem seit Tagen nicht mehr möglich.
Um das Öl von der Küste von Louisiana fernzuhalten, ließen die Behörden die Schleusen an der Mississippi-Mündung öffnen. Die Hoffnung, dass das austretende Süßwasser das Öl zurückdrängt, erfüllte sich wegen des starken Windes aber ebenfalls nicht.
Welche Schäden sind durch die drohende Ölpest zu befürchten?
Die Gewässer und Marschengebiete vor der Küste des Golfs von Mexiko sind Heimat vieler Tierarten wie Seekühe, Delfine, Wale, Tümmler, Pelikane sowie anderer Vögel. Im Golf von Mexiko gibt es zudem riesige Mengen Austern, Krabben Muscheln und Fische.
Allein in Louisiana sind zehn Tierschutzgebiete betroffen. Die Sumpflandschaften in der Region sind artenreiche Ökosysteme, die fast 40 Prozent der Feuchtgebiete der USA ausmachen. Das Ministerium für Natur und Fischerei des US-Bundesstaates Louisiana sieht 445 Fischarten, 45 Säugetierarten, 32 Amphibienarten und 134 Vogelarten unmittelbar gefährdet.
In großer Gefahr sind auch die weitverbreiteten Mangrovenwälder an der Küste. Sie drohen durch die Ölverschmutzung abzusterben. Damit geht nicht nur ein wichtiger Lebensraum verloren. Die Mangrovenwälder spielen auch eine wichtige Rolle im Küstenschutz. Die Mangroven bieten als eine Art natürliche Barriere Schutz für das gesamte Mississippi-Delta. Künftige Hurrikans könnten größere Schäden anrichten, weil Mangroven nur langsam nachwachsen.

Auch der braune Pelikan, Wappentier des US-Bundesstaates Louisiana, ist nun wieder gefährdet.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Sollte es gelingen, das Öl entweder an der Wasseroberfläche oder direkt am Bohrloch chemisch in kleinere Tröpfchen zu zerlegen, entsteht zwar möglicherweise ein kleinerer Ölteppich an der Wasseroberfläche. Das beständig weiter austretende Öl bliebe aber am Meeresgrund und könnte dort eine Art Asphaltschicht bilden, die alles Leben unter sich erstickt. Aus diesem Asphalt werden sogenannte "polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe" frei, die von Kleinstlebewesen aufgenommen werden. Sie stehen am Beginn einer Nahrungskette, an deren Ende der Mensch stehen könnte. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind giftig und zum Teil krebserregend, außerdem gelten sie als erbgutverändernd.
Wie hoch könnte der finanzielle Schaden sein?
Hunderte Kilometer Küste mit einem einzigartigen Ökosystem aus Marschlandschaften und seltener Fauna sind unmittelbar bedroht. In Florida, Alabama und Mississippi ist die Fischerei in Gefahr, die das Hauptstandbein der örtlichen Wirtschaft ist. Laut Schätzungen der US-Ratingagentur Fitch können die Säuberungsarbeiten und die Versuche, das Leck zu schließen, bis zu drei Milliarden Dollar (rund 2,2 Milliarden Euro) kosten. Das entspräche praktisch der Hälfte der Gewinne, die BP für das erste Quartal verkündete, nämlich 6,08 Milliarden Dollar (4,5 Milliarden Euro).
Wie war der Ölkonzern BP auf ein mögliches Unglück vorbereitet?
Gar nicht. Aus einer Risikoanalyse von BP für die Bohrinsel "Deepwater Horizon" geht hervor, dass der Konzern die Möglichkeit eines Unglücks mit katastrophalen Wirkungen heruntergespielt hat. In der 52 Seiten umfassenden Einschätzung heißt es, ein Unfall mit ernsten Umweltgefahren sei unwahrscheinlich oder nahezu unmöglich.
Auch nach dem Untergang der Bohrinsel ist der Ölkonzern vom Ausmaß der Ölkatastrophe völlig überrascht worden. Was sich dort ereignet habe, sei beispiellos, sagte BP-Sprecher David Nicholas. "So etwas haben wir noch nicht erlebt, einen Ausbruch in dieser Tiefe."
Das Unglück im Golf von Mexiko ist der dritte schwere Unglücksfall in einer amerikanischen BP-Anlage in den letzten fünf Jahren. Im März 2005 starben in der Texas-City-Raffinerie 15 Arbeiter bei einer Explosion. BP musste wegen Verstößen gegen Sicherheitsvorschriften eine Strafe in dreistelliger Millionenhöhe zahlen. Ein Jahr später verursachte eine kaputte BP-Pipeline in Alaska große Umweltschäden. Auch außerhalb der USA scheint es nicht viel besser auszusehen. 2009 machte der Konzern Schlagzeilen, als bei einem Hubschrauber-Absturz 16 Arbeiter einer Ölplattform vor Schottland starben.
Wie kam es überhaupt zu dem Unglück?
Der US-Chef von BP, Lamar McKay, sagte dazu, vermutlich habe der Ausfall eines einzelnen Bauteils in der Technik der Plattform "Deepwater Horizon" die Katastrophe ausgelöst. Gesamt-BP-Chef Tony Hayward zufolge hat vor der Explosion der Bohrinsel ein Abdichtkopf versagt. Dabei handele es sich um ein großes Ventil an der Spitze des Bohrlochs, mit dem das Herausfließen von Öl gestoppt werden kann. "Das ist ein absolut zuverlässiger Mechanismus", so Hayward. "Und aus irgendeinem Grund - und wir verstehen noch nicht warum, aber das werden wir nach unseren Nachforschungen und nach staatlichen Ermittlungen - ist er ausgefallen."
Die Bohrinsel hatte BP von dem Unternehmen Transocean geleast. Deshalb gab Hayward die Frage nach der Verantwortung auch weiter: "Die Verantwortung für die Sicherheit auf der Bohrinsel liegt bei Transocean."
Hätte das Unglück vermieden werden können?
Ja, wenn die Bohrinsel mit einem Notventil am Bohrrohr ausgestattet gewesen wäre, wie es an Bohrinseln z.B. in Norwegen Pflicht ist. Doch Lobbyisten der US-Ölindustrie hatten verhindert, dass Bohrplattformen mit dem knapp 400.000 Euro teuren, sogenannten "Acoustic Switch"-System ausgerüstet werden müssen. Damit hätte im Notfall ein Unterwasserventil per Fernsteuerung geschlossen werden können.
Der US-Konzern Halliburton bestätigte inzwischen, einen Tag vor der Explosion auf der Bohrinsel im Golf von Mexiko an den Bohrleitungen gearbeitet zu haben. Rund 20 Stunden vor dem Zwischenfall seien die Betonierarbeiten an den letzten Unterwasser-Leitungen beendet worden, erklärte das als Zulieferer an dem Bohrvorhaben beteiligte Unternehmen. Zu dem damaligen Zeitpunkt hätten die "Aktivitäten auf der Bohrinsel noch nicht das Ausmaß erreicht", das den Einbau eines Verschlusses nötig gemacht hätte, der in Notfällen eine zeitweilige Aufgabe der Ölplattform ermögliche.
Wie sieht BP seine Verantwortung?
Der Öl-Konzern BP hat die Übernahme der Kosten in Verbindung mit dem Untergang der Bohrplattform "Deepwater Horizon" angekündigt. BP werde "alle nötigen und angemessenen Kosten für die Reinigung" übernehmen, heißt es in einer Mitteilung auf einer eigens eingerichteten Internetseite. BP werde "alle legitimen Forderungen wegen Schäden und Verlusten bezahlen, die objektiv überprüft werden können und mit der Ölpest zusammenhängen".
Inzwischen sind auch erste Schadensersatzforderungen eingegangen. Einige Krabbenfischer haben BP, Transocean und die anderen an dem Bohrvorhaben beteiligten Konzerne Halliburton sowie Cameron wegen Fahrlässigkeit verklagt.
Was unternimmt BP außer den unmittelbaren Rettungsmaßnahmen?
BP bemüht sich, den Imageschaden zu begrenzen. So hat der Konzern laut "Washington Post" eine Firma angeheuert, die auf die Rettung von Vögeln spezialisiert ist. Der Konzern hat zudem eine Webseite eingerichtet, auf der sich Freiwillige melden können, die sich an der Beseitigung der Ölschäden beteiligen wollen. Hier werden auch Hotlines angeboten, um Ölfunde oder ölgeschädigte Tiere zu melden oder Schadensersatzansprüche anzumelden. Vor Ort zahlt BP Fischern 1500 Dollar pro Tag und Boot, damit sie schwimmende Ölbarrieren auslegen.
Wie soll BP für die Kosten des Unglücks aufkommen?
US-Präsident Barack Obama hat Innenminister Ken Salazar mit der Anfertigung eines Berichtes zur "vollständigen Aufklärung" der Ereignisse beauftragt. Nach Gesprächen mit Vertretern der Küstenwache und anderen Experten bekräftigte er, dass BP für den anhaltenden Ölaustritt verantwortlich sei, und "BP wird die Rechnung dafür bezahlen".
In einigen betroffenen Bundesstaaten hilft die Nationalgarde bei der Bekämpfung der Ölpest. Das Pentagon erklärte, die Kosten dafür werde BP tragen müssen.
Welche wirtschaftlichen Folgen haben das Unglück und der Image-Verlust für die beteiligten Firmen?
Wegen der Ölpest büßte BP bislang rund 26 Milliarden Dollar an Börsenwert ein. Der BP-Kurs setzt seine Talfahrt der vergangenen Tage noch immer fort, auch wenn Analysten den Kursrutsch für überzogen halten. Die Firma Transocean, von der BP die Bohrinsel "Deepwater Horizon" gemietet hatte, verlor seit der Explosion rund 4,27 Milliarden Dollar an Börsenwert.
BP droht eine gigantische Prozesswelle. Aber auch das wird BP nicht ruinieren. Der drittgrößte Mineralölkonzern der Welt nach Exxon und Shell verdiente im 1. Quartal 2010 6,2 Mrd. US-Dollar, 2009 lag der Rein-Gewinn bei 16,6 Mrd. US-Dollar.
Öl-Schäden werden zum Großteil von Versicherungen reguliert. Betroffen sind also eher die beiden Rückversicherer Munich Re und Hannover Rück, die beide die Plattform mitversichert haben.
Auch möglichen Strafzahlungen können die Unternehmen gelassen entgegen sehen. Für die Schäden durch den Untergang der "Exxon Valdez" sollte Exxon laut einem Urteil von 1994 zunächst fünf Mrd. US-Dollar Strafe zahlen, 2007 wurde die Strafe auf 2,5 Mrd. US-Dollar halbiert. 2008 wurde dann schließlich festgelegt, dass Exxon 507 Mio. US-Dollar zahlen muss. Im gleichen Geschäftsjahr machte der Exxon-Konzern 40 Mrd. US-Dollar Gewinn.
Welche Auswirkungen könnte das Unglück auf die Ölförderpolitik der US-Administration haben?

Obama fordert zwar zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für Ölplattformen vor der Küste. Ein Moratorium oder gar ein Ende der Offshore-Förderung wird es jedoch nicht geben.
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Vor einem Monat hatte US-Präsident Obama entschieden, die lange ausgesetzten Tiefseebohrungen und die Erschließung neuer Ölfelder an der US-Küste zu erlauben - eine taktische Entscheidung, um den Republikanern Zugeständnisse beim Klimaschutz abzuringen. Nach dem "Deepwater Horizon"-Unglück will Obama neue Ölbohrplattformen aber nur dann genehmigen, wenn sie zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen nachweisen können. Innenminister Salazar soll innerhalb von 30 Tagen einen Bericht über neue technische Möglichkeiten zur Absicherung der Offshore-Förderung vorlegen. Das US-Justizministerium schickte ein Expertenteam nach New Orleans, um die Auswirkungen der Ölverschmutzung vor Ort zu beobachten und rechtliche Schritte zu prüfen.
Die Anweisung bedeutet allerdings kein Moratorium, sondern hat eher symbolische Bedeutung. Nach Angaben eines Regierungssprechers sind in den nächsten Tagen ohnehin keine neuen Genehmigungen für Ölbohrplattformen geplant. Allerdings will die Regierung die Offshore-Förderung von Rohöl ausweiten. Bis Ende des Jahres sind zwei zusätzliche Lizenzen im Golf von Mexiko geplant. 2011 sollen dann vier weitere Lizenzen dort und vor Alaska folgen, 2012 weitere Ölbohrungen vor der Küste von Virginia.
Zwei Senatoren und zwei Abgeordnete aus dem Ostküstenstaat New Jersey forderten Obama unterdessen auf, seinen Plan zur Freigabe neuer Felder für Ölbohrungen vor den Küsten der USA noch einmal zu überdenken. New Jersey dürfe nicht "der nächste Testfall für die Experimente der Ölindustrie werden, die Profite zu maximieren und die Regulierungen zu minimieren", erklärten die vier Politiker in einem Brief.
Aus Sorge vor Umweltschäden waren Bohrungen vor der Pazifik- und der Atlantik-Küste der USA jahrzehntelang verboten gewesen. Eine Ausnahme herrschte im Golf von Mexiko. Nach Schätzungen des Geologischen Instituts der USA liegen allein vor der Atlantik-Küste Vorkommen von fast vier Milliarden Barrel Öl, vor der Pazifik-Küste sind es demnach 10,5 Milliarden Barrel. Zum Vergleich: Die USA importieren jährlich rund zwei Milliarden Barrel Öl aus Opec-Staaten.
Quelle: ntv.de