Kirche nicht mehr das Maß aller DingeDie Polen begehren auf

Unter dem kommunistischen Regime war die katholische Kirche in Polen eine Gegenmacht, die viele Menschen anzog. Doch mittlerweile hadern selbst die Polen mit ihren Pfarrern und Bischöfen. Sei es, indem sie nächtliche Glockengeräusche verbieten, sei es, weil viele Kirchenmänner die Nationalkonservativen unterstützen.
Dorfpfarrer Andrzej W. hadert
vor dem Gericht im zentralpolnischen Rawa Mazowiecka mit den neuen Zeiten. Wegen
nächtlicher Ruhestörung soll er 30 Stunden Sozialdienst leisten. Die Gemeindemitglieder
wollten nicht länger hinnehmen, dass der Pfarrer auch in der Nacht die Kirchenglocken
läuten ließ. Vergeblich hatte der Priester versucht, den wachsenden Protest der
Gemeinde zum Schweigen zu bringen, indem er die Namen der "Unruhestifter"
im Gottesdienst verlas.
Die Gläubigen wollten sich
nicht abkanzeln lassen, sondern endlich wieder in Ruhe schlafen - und das Gericht
gab ihnen Recht. Der Glockenstreit im Dorf Lewin ist nur ein Beispiel - auch in
Polen sind die Pfarrer längst nicht mehr die automatisch respektierten Pfarr-Herren.
Vor allem in den Großstädten schwindet die Bedeutung der einst so mächtigen Kirche.
Die Kirchen sind deutlich
leerer als in den kommunistischen Zeiten, als die Kirche der wichtigste Gegenpol
zur Staatsmacht war. In Großstädten wie Warschau oder Danzig geht nur noch jeder
fünfte regelmäßig in die Kirche. Auch die Priesterseminare locken zunehmend weniger
Bewerber an. Im vergangenen Jahr schaffte die neu gegründete Linkspartei Palikot-Bewegung
auf Anhieb den Sprung ins Parlament. Jeder zehnte Wähler gab der neuen Gruppe seine
Stimme, die den Einfluss der Kirche in der Gesellschaft beschränken will.
"Die Kirche sollte sich aus der Politik heraushalten"
Auch Marta Walczak hat für
die Palikot-Bewegung gestimmt. "Die Kirche ist eine wichtige moralische Autorität
für mich, aber die Entscheidungen über mein Leben treffe immer noch ich. Und wenn
es darum geht, ob ich die Pille nehme oder mit meinem Freund zusammen lebe, geht
das die Kirche nichts an", sagt die 32-jährige Warschauerin.
Fehltritte von Kirchenvertretern
sind auch in Polen kein Tabuthema mehr: In den vergangenen Wochen veröffentlichte
etwa "Newsweek Polska" mehrere Berichte über Priester, die nicht nur gegen
den Zölibat verstießen, sondern sich obendrein als miserable Väter entpuppten. Der
unerwünschte Nachwuchs wurde in ein Kinderheim verbannt, während die heimliche Liebe
im Pfarrhaus fortgesetzt wurde. Berichte über Kindesmissbrauch durch Geistliche
lösen Empörung aus - noch vor wenigen Jahren mussten die Opfer und ihre Familien
mit Mobbing durch Gemeindemitglieder rechnen, die dem Täter die Treue hielten.
Hardliner sind in der Überzahl
Der 52-jährigen Anna Michalska
sind vor allem die Teile des Episkopats und der Priesterschaft ein Dorn im Auge,
die den engen Schulterschluss mit rechtskonservativen Parteien suchen. So will die
nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) von Oppositionsführer
Jaroslaw Kaczynski die künstliche In-Vitro-Befruchtung verbieten lassen. Auch eine
Sendelizenz für den Fernsehsender "Trwam" des rechtskatholischen Redemptoristenpaters
Tadeusz Rydyk im digitalen Sendenetz fordert die PiS. "Die Kirche sollte sich
aus der Politik heraushalten", erwidert Michalska.
Doch seit der liberalkonservative
Regierungschef Donald Tusk im Frühjahr die Einführung einer Kirchensteuer und Sozialversicherungspflicht
für Priester angekündigt hat, rücken der rechte Flügel der Amtskirche und die PiS
noch enger zusammen.
Viele Laien hatten in den vergangenen Jahren Hoffnungen
auf den Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz, den langjährigen Privatsekretär von
Johannes Paul II. gesetzt. Der Kardinal mit großer Vatikanerfahrung galt als derjenige,
der Reformen in der Kirche vorantreiben könnte. Seit aber auch Dziwisz den konservativen
Flügel stärkt, wächst die Enttäuschung. "Die Gruppe der Hardliner ist heute
die einzige, die die katholische Kirche Polens prägt", klagt die Philosophieprofessorin
Magdalena Sroda.