Panorama

Kirche nicht mehr das Maß aller DingeDie Polen begehren auf

26.08.2012, 10:09 Uhr
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Blick in das Hauptschiff der Kirche "Sankt Marien" in Gdansk (Danzig). (Foto: dpa)

Unter dem kommunistischen Regime war die katholische Kirche in Polen eine Gegenmacht, die viele Menschen anzog. Doch mittlerweile hadern selbst die Polen mit ihren Pfarrern und Bischöfen. Sei es, indem sie nächtliche Glockengeräusche verbieten, sei es, weil viele Kirchenmänner die Nationalkonservativen unterstützen.

Dorfpfarrer Andrzej W. hadert

vor dem Gericht im zentralpolnischen Rawa Mazowiecka mit den neuen Zeiten. Wegen

nächtlicher Ruhestörung soll er 30 Stunden Sozialdienst leisten. Die Gemeindemitglieder

wollten nicht länger hinnehmen, dass der Pfarrer auch in der Nacht die Kirchenglocken

läuten ließ. Vergeblich hatte der Priester versucht, den wachsenden Protest der

Gemeinde zum Schweigen zu bringen, indem er die Namen der "Unruhestifter"

im Gottesdienst verlas.

Die Gläubigen wollten sich

nicht abkanzeln lassen, sondern endlich wieder in Ruhe schlafen - und das Gericht

gab ihnen Recht. Der Glockenstreit im Dorf Lewin ist nur ein Beispiel - auch in

Polen sind die Pfarrer längst nicht mehr die automatisch respektierten Pfarr-Herren.

Vor allem in den Großstädten schwindet die Bedeutung der einst so mächtigen Kirche.

Die Kirchen sind deutlich

leerer als in den kommunistischen Zeiten, als die Kirche der wichtigste Gegenpol

zur Staatsmacht war. In Großstädten wie Warschau oder Danzig geht nur noch jeder

fünfte regelmäßig in die Kirche. Auch die Priesterseminare locken zunehmend weniger

Bewerber an. Im vergangenen Jahr schaffte die neu gegründete Linkspartei Palikot-Bewegung

auf Anhieb den Sprung ins Parlament. Jeder zehnte Wähler gab der neuen Gruppe seine

Stimme, die den Einfluss der Kirche in der Gesellschaft beschränken will.

"Die Kirche sollte sich aus der Politik heraushalten"

Auch Marta Walczak hat für

die Palikot-Bewegung gestimmt. "Die Kirche ist eine wichtige moralische Autorität

für mich, aber die Entscheidungen über mein Leben treffe immer noch ich. Und wenn

es darum geht, ob ich die Pille nehme oder mit meinem Freund zusammen lebe, geht

das die Kirche nichts an", sagt die 32-jährige Warschauerin.

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Papst Johannes Paul II. gilt vielen Polen als Idol - auch, weil er den kommunistischen Machthabern immer wieder Paroli bot. (Foto: picture alliance / dpa)

Fehltritte von Kirchenvertretern

sind auch in Polen kein Tabuthema mehr: In den vergangenen Wochen veröffentlichte

etwa "Newsweek Polska" mehrere Berichte über Priester, die nicht nur gegen

den Zölibat verstießen, sondern sich obendrein als miserable Väter entpuppten. Der

unerwünschte Nachwuchs wurde in ein Kinderheim verbannt, während die heimliche Liebe

im Pfarrhaus fortgesetzt wurde. Berichte über Kindesmissbrauch durch Geistliche

lösen Empörung aus - noch vor wenigen Jahren mussten die Opfer und ihre Familien

mit Mobbing durch Gemeindemitglieder rechnen, die dem Täter die Treue hielten.

Hardliner sind in der Überzahl

Der 52-jährigen Anna Michalska

sind vor allem die Teile des Episkopats und der Priesterschaft ein Dorn im Auge,

die den engen Schulterschluss mit rechtskonservativen Parteien suchen. So will die

nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) von Oppositionsführer

Jaroslaw Kaczynski die künstliche In-Vitro-Befruchtung verbieten lassen. Auch eine

Sendelizenz für den Fernsehsender "Trwam" des rechtskatholischen Redemptoristenpaters

Tadeusz Rydyk im digitalen Sendenetz fordert die PiS. "Die Kirche sollte sich

aus der Politik heraushalten", erwidert Michalska.

Doch seit der liberalkonservative

Regierungschef Donald Tusk im Frühjahr die Einführung einer Kirchensteuer und Sozialversicherungspflicht

für Priester angekündigt hat, rücken der rechte Flügel der Amtskirche und die PiS

noch enger zusammen.

Viele Laien hatten in den vergangenen Jahren Hoffnungen

auf den Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz, den langjährigen Privatsekretär von

Johannes Paul II. gesetzt. Der Kardinal mit großer Vatikanerfahrung galt als derjenige,

der Reformen in der Kirche vorantreiben könnte. Seit aber auch Dziwisz den konservativen

Flügel stärkt, wächst die Enttäuschung. "Die Gruppe der Hardliner ist heute

die einzige, die die katholische Kirche Polens prägt", klagt die Philosophieprofessorin

Magdalena Sroda.

Quelle: ntv.de, Eva Krafczyk, dpa