Germanwings-Absturz"Dieser Mann war einer von uns"

Der Germanwings-Flug 9525 soll 150 Passagiere von Barcelona nach Düsseldorf bringen. Doch dort kommt das Flugzeug nie an. Der Copilot lenkt den Flieger in die Alpen. 100 Tage danach verrät ein Lufthansa-Kapitän, wie sich das Fliegen verändert hat.
Die deutschen Fluglinien sprechen ungern über das, was an jenem 24. März in den französischen Alpen geschehen ist. Darüber, wie sich das Fliegen verändert hat, wie es sich heute anfühlt, im Cockpit zu sitzen. Es gebe ein Gentlemen's Agreement, sagt eine Sprecherin von Air Berlin. Über das Unglück anderer Fluggesellschaften wolle man sich nicht äußern. "Wir fliegen gegeneinander, aber wir sind eine große Familie", sagt sie. "Da trauert man mit, wenn eine Airline einen solchen Schicksalsschlag hinnehmen muss." Doch einer redet schließlich: Markus Wahl, Lufthansa-Pilot mit rund 7500 Flugstunden. Der 35-Jährige, der auch Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit ist, spricht im Interview über die Folgen von einer der schwersten Flugzeugkatastrophen.
n-tv.de: Vor 100 Tagen ist die Germanwings-Maschine abgestürzt. Fühlt es sich seitdem anders an, im Cockpit zu sitzen?
Markus Wahl: Eigentlich nicht. Beim Pilotenberuf kam es schon immer auf Vertrauen im Miteinander an. Ein Flugzeug lässt sich nur sicher von A nach B fliegen, wenn es in der Besatzung zu 100 Prozent funktioniert. Ich habe auch vor dem Unglück großes Vertrauen in den Kollegen neben mir gehabt. Das musste ich auch haben, sonst könnte ich ja gar nicht zur Arbeit gehen. Das ist heute immer noch so. Obwohl ich nach wie vor erschüttert bin, dass dieses Unglück absichtlich herbeigeführt wurde. Dieser Mann war einer von uns.
Bei wem hat das Ereignis tiefere Spuren hinterlassen, bei Besatzungen oder Passagieren?
Beide Gruppen sind extrem betroffen, nur auf unterschiedliche Weise. Vorher war das Vertrauen der Passagiere in die Piloten unerschütterlich. Die Piloten waren in Notsituationen meist diejenigen, die das Richtige gemacht haben, um Katastrophen zu verhindern. Bei den Crews hat es sich anders ausgewirkt. Viele Kollegen waren persönlich betroffen und kannten Besatzungsmitglieder der abgestürzten Germanwings-Maschine. Sie haben sich krankschreiben lassen und das war auch richtig so. Wenn ich ein Flugzeug fliegen will, muss ich meine volle Leistungsfähigkeit abrufen können. Das kann ich nicht, wenn ich im Geiste mit Trauer beschäftigt bin.
Wie haben die Piloten versucht, das Vertrauensverhältnis zu stärken?
Jeder Kollege hat seinen Weg gesucht. Viele haben sich an der Flugzeugtür aufgestellt, um sich als Mensch zu zeigen. Viele haben ihre Ansagen angepasst, um zu zeigen, dass natürlich auch sie als Piloten ein vitales Interesse daran haben, alles dafür zu tun, am Abend wieder heil zu Hause anzukommen.
Wie spürbar war die Angst der Passagiere?
Einige sind, wie vorher auch, grußlos eingestiegen und haben den Flug über sich ergehen lassen. Andere haben sich beim Kapitän mit Handschlag vorgestellt, um den Typen kennenzulernen, der sie zu ihrem Zielort fliegt und dem sie ihr Leben in die Hand geben. Es gab auch Passagiere, die deutlich angesprochen haben, dass sie Bedenken haben nach so einem Ereignis. Aber meist ließen sich solche Ängste in kurzen Gesprächen ausräumen.
Der "FAZ" hat ein Pilot Ende März in einem Interview gesagt: "Für mich war es immer ein unangenehmes Gefühl, mich aus dem Cockpit auszusperren und hoffen zu müssen, dass der Kollege mich wieder reinlässt." Können Sie das nachempfinden?
100 Tage nach GermanwingsabsturzNein, wirklich nicht. Wenn ich solche Ängste habe, während des Fluges mal aufs Klo zu gehen, dann sollte ich mal über die Einstellung zu meinem Beruf nachdenken. Wenn ich meinem Kollegen so wenig vertraue, dass ich ihn nicht mal allein im Cockpit lasse, weil er ein Selbstmordattentat vorbereiten könnte, dann kann ich doch nicht guten Gewissens davon ausgehen, dass er im Normalbetrieb seine Leistung liefert. Dann müsste ich doch permanent Angst haben, neben ihm zu sitzen und davor, dass er mir gleich mit dem Knüppel einen überzieht und irgendeinen Unsinn veranstaltet. Das halte ich für sehr übertrieben und finde es schade, dass der Kollege so empfindet. Es schockiert mich, so etwas zu hören.
Unmittelbar nach der Germanwings-Katastrophe wurde das Vier-Augen-Prinzip im Cockpit eingeführt. Erhöht diese Regel die Sicherheit?
Es war eine schnelle erste Maßnahme, darauf zu reagieren. Ob es langfristig sinnvoll ist, wird sich zeigen, wenn der finale Untersuchungsbericht vorliegt. Wenn man dadurch genau weiß, wo die Ursache lag, sollte man untersuchen, ob das eine Lösung ist, die solche Fälle verhindert.
Es gab öffentlich intensive Debatten, unter anderem über die angeblich zu laschen Tests für Piloten. Wie haben Sie das verfolgt?
Mit viel Kopfschütteln. Viele dieser Vorschläge, die nach dem Unglück in der Presse auftauchten, zeugten von reinem Aktionismus. Durch das Aufheben der Schweigepflicht würde es doch nicht besser. Es würde dazu führen, dass viele Kollegen dem Arzt gar nichts mehr sagen, bevor sie ihren Job riskieren.
Wie stark hat der Unfall Germanwings geschadet?
Ein Unfall mit Toten schadet einer Luftlinie im ersten Moment immer. "Das ist die Airline, die letztens abgestürzt ist", heißt es dann. Dadurch schwindet das Vertrauen. Dennoch glaube ich, dass Germanwings in der Kommunikation sehr gut und transparent damit umgegangen ist. Viel hängt vom Abschlussbericht ab, wo drinsteht, was Germanwings gewusst hat und woran es gelegen hat. Sollte sich herausstellen, dass dort wirklich etwas bekannt war, ist der Schaden deutlich höher, als wenn sich zeigt, es war die Tat eines kranken Einzelnen.
Mit Markus Wahl sprach Christian Rothenberg