Ein Jahr nach dem Vierfachmord von Annecy Ermittler machen große Fortschritte
06.09.2013, 15:20 Uhr
Britische und französische Polizisten haben das Leben der Familie komplett durchleuchtet.
(Foto: Reuters)
Vier Tote auf einem Parkplatz im Wald, alle in den Kopf geschossen und zwei überlebende Mädchen. Ein Jahr ist seit dem Vierfachmord von Annecy vergangen, die Ermittler ziehen Bilanz. Einen Täter haben sie noch nicht, aber interessante Theorien.
Ein Jahr nach dem mysteriösen Vierfachmord von Annecy konzentrieren sich die französischen und britischen Ermittler auf drei zentrale Spuren. Neben den Hinweisen auf zwei mögliche Erbstreitigkeiten in der Familie werde auch dem Verdacht der Industriespionage als Mordmotiv ernsthaft nachgegangen, sagte der Staatsanwalt im ostfranzösischen Annecy, Éric Maillaud. Er sprach von "großen Fortschritten" bei den Ermittlungen.
Die Ermittler in Frankreich und Großbritannien tappten in dem mysteriösen Fall monatelang im Dunkeln: Mit Kopfschüssen waren der aus dem Irak stammende Brite Saad al-Hilli, seine Frau Ikbal, deren Mutter und ein vermutlich zufällig vorbeikommender französischer Radfahrer am 5. September 2012 auf einem Waldparkplatz bei Annecy regelrecht hingerichtet worden. Die beiden kleinen Töchter der al-Hillis überlebten die Bluttat. Sie werden künftig von einer Tante und einem Onkel mütterlicherseits aufgezogen und stehen weiter unter Polizeischutz.
Die in London ansässigen al-Hillis machten in der Region Urlaub. Vater Saad al-Hilli arbeitete als Ingenieur im sensiblen Luft- und Raumfahrtsektor, der französische Radfahrer für eine Nuklearfirma in Frankreich. Gefunden wurden die Leichen von einem britischen Ex-Soldaten, der in der Gegend mit seinem Fahrrad unterwegs war.
Bruder ist offizieller Verdächtiger
Erst im Juni hatte die britische Polizei den bei London lebenden Bruder Zaid al-Hilli wegen des Verdachts der Beteiligung an einem Mordkomplott festgenommen. Der Bruder kam wenig später wieder frei, muss sich aber zur weiteren Verfügung der Polizei halten.
Staatsanwalt Maillaud sagte nun, den Hinweisen zu dem Bruder werde weiter "aktiv" nachgegangen. Der britische Ermittler Nick May fügte bei der gemeinsamen Pressekonferenz hinzu: "Zaid al-Hilli ist ein erklärter Verdächtiger." Er werde nach wie vor befragt.
Maillaud verwies aber auch auf die Möglichkeit, dass Familienmitglieder im Irak beide Brüder wegen des Familienerbes beiseiteschaffen wollten. Der 2011 verstorbene Vater der Brüder besaß in Bagdad Immobilien, die seine Söhne als Erben für sich beanspruchten. Zudem hatte der Vater auf einem Schweizer Konto fast eine Million Euro liegen.
Datensammlung für Industriespionage
Erstmals ging Staatsanwalt Maillaud aber auch ausführlich auf den Verdacht der "Industriespionage und des Technologietransfers" ein. "Saad al-Hilli hatte in seinem Besitz viel mehr Daten als es allein seine Arbeit gerechtfertigt hätte", sagte er. Nach bisherigen Informationen der Staatsanwaltschaft haben diese Informationen aber keinen Marktwert.
Saad al-Hilli arbeitete demnach für eine auf zivile Satelliten spezialisierte britische Firma, die für zahlreiche ausländische Staaten tätig ist. "Wenn ausländische Staaten und Industriespionage genannt werden, dann kann das auch auf den Einsatz von Geheimdiensten hindeuten", fügte der Staatsanwalt hinzu. Dieser Teil der Ermittlungen sei "extrem komplex", werde viel Zeit brauchen und womöglich nie zu etwas führen.
Quelle: ntv.de, AFP