Panorama

Indizienprozess wirft Fragen auf Gericht verurteilt Amanda Knox als Mörderin

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2011 kehrt Amanda Knox in ihre Heimat USA zurück, nachdem sie von einem italienischen Gericht für unschuldig erklärt wurde. Ein Berufungsgericht urteilt nun aber anders: Knox soll die Britin Meredith Kercher ermordet haben.

Ein knallhartes Urteil gegen Amanda Knox und ihren damaligen Freund Raffaele Sollecito. Keiner der beiden Angeklagten ist anwesend, um 22.00 Uhr am Abend des 30. Januar. Amanda Knox lebt längst in den USA und Raffaele, der noch am Morgen gekommen war, war dem Urteilsspruch ferngeblieben, vielleicht hatte er schon ein mulmiges Vorgefühl.

Die Geschwister der ermordeten Meredith Kercher,  Stephanie und Lyle, stehen hingegen in der zweiten Reihe im großen Saal des Berufungsgerichtes von Florenz, als der Richter den Urteilsspruch gegen Amanda Knox und Raffaele Sollecito beinah schnell und hastig verkündet: 28 Jahre und 6 Monate Haftstrafe für die US-Amerikanerin, 25 Jahre für den jungen Italiener.

"Es ist keine Zeit zum Feiern"

Im prall gefüllten Gerichtssaal ist es mucksmäuschenstill nach dem Urteil. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Die Anwälte der Angeklagten sind bestürzt, die Geschwister des Opfers stehen wie versteinert vor dem Gericht.

"Es ist keine Zeit zum Feiern", meinte der Bruder des Mordopfers nur kurz. Zu lang habe die italienische Justiz gebraucht, um endlich einen Schlussstrich unter den Fall zu ziehen. Erst der Schuldspruch 2009, dann die Aufhebung, im März letzten Jahres annullierte dann das Oberste Gericht Italiens den Freispruch für Knox und Sollecito, verwies den Fall nach Florenz.

"Ein Freispruch ist zwingend nötig"

Das Florentiner Gericht hat nun die sehr präzisen Vorgaben des Obersten Gerichtshofes Italiens, La Cassazione, erfüllt. Auf 76 Seiten hatten Italiens Oberste Richter genau aufgelistet, warum Amanda Knox und Raffaele Sollecito des Mordes schuldig gewesen sein müssen.

Raffaele Sollecito hatte bis zuletzt gehofft. "Es gibt keine schlagenden Beweise" gegen ihn und seine damalige Freundin, "ein Freispruch ist zwingend nötig", hatte sein Anwalt Carlo della Vedova im Schlussplädoyer noch verlangt.

Eine Bar und ein Schwarzafrikaner

Am Ende aber wog das Gericht von Florenz alle Indizien ab und befand sie für schwer genug, die beiden Angeklagten zu verurteilen. Da ist vor allem die falsche Beschuldigung, die Amanda Knox gleich in den ersten Tagen nach dem Mord am 1. November 2007 gegen den Kneipenbesitzer Patrice Lumumba vorgebracht hat. Warum beschuldigte Knox einen Unschuldigen, noch dazu einen Schwarzafrikaner? Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand etwas vom dem afrikanischen Mittäter, dem Ivorer Rudy Hermann Guede, dessen DNA nun wirklich massenhaft am Tatort gefunden wurde. Nur wer am Tatort gewesen war, zum Tatzeitpunkt, konnte das wissen, und die Polizei wissentlich auf eine falsche Fährte locken.

Die Verteidigung erklärte diese falsche Anschuldigung immer mit einer gewissen Verwirrung einer jungen Amerikanerin, aber die Polizisten glaubten Knox zunächst und Lumumba, in dessen Bar Amanda Knox aushalf, kam sogar in Haft. So lange, bis der echte afrikanische Täter, auf der Flucht in Deutschland, festgenommen wurde. Nun muss Knox Lumumba noch mit 10.000 Euro entschädigen.

Amanda Knox wird auch der "Engel mit den Eisaugen" genannt.

Amanda Knox wird auch der "Engel mit den Eisaugen" genannt.

(Foto: REUTERS)

Das nächste wichtige Indiz gegen Knox und ihren Freund war eine Erklärung in eigener Sache in den ersten Tagen nach der Tat, freiwillig und schriftlich abgegeben, in der Amanda Knox erklärte, dass sie zum Tatzeitpunkt im Ha us gewesen sei und die Schreie des Opfers gehört habe. Die seien so schlimm gewesen, dass sie sich die Ohren zugehalten habe. Doch warum hat sie da nicht sofort die Polizei gerufen? Warum den falschen Mann beschuldigt? Darauf hat Knox nie geantwortet, sondern auch diese eigene schriftliche Erklärung später dem Druck der Polizei zugeschrieben.

Doch das Gericht von Florenz sah im Wortlaut der Erklärung eindeutiges Täterwissen, ein wichtiges Indiz gegen Amanda Knox.

Alles nur vorgetäuscht?

Das dritte unumstößliche Indiz gegen die beiden war der vorgetäuschte Einbruch im Haus der beiden Studentinnen. Wenn ein Fremder den Mord begangen haben sollte, musste er ja irgendwie ins Haus gekommen sein, die Schlüssel hatten schließlich nur Knox und die Ermordete. Also täuschte man einen Einbruch vor, allerdings mit einem Schönheitsfehler. Die Glassplitter eines Fensters, über den der "unbekannte Täter" ins Haus gekommen sein soll, laut Erzählung von Knox, lagen oben auf einer Decke, die aber blutbefleckt war: Also war das Glas erst nach dem Mord kaputt gegangen, nicht davor. Also war das alles nur vorgetäuscht. Auch reinigten die beiden das Häuschen am Morgen nach der Tat, dabei mischte sich das Blut von Meredith Kercher mit der DNA von Amanda Knox, überall im Bad und auf dem Weg dahin.

Der Schock sitzt tief

Für die beiden jetzt Verurteilten sprach allerdings, dass ein Tatmesser nicht eindeutig identifiziert werden konnte, dass dank schlampiger Polizeiarbeit viele sicher geglaubte Spuren ad acta gelegt werden mussten und dass die Anwesenheit von Raffaele Sollecito im Tatzimmer nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.

Am Ende aber, nach fast 12 Stunden Beratung, hat der Appellations-Schwurgerichtshof von Florenz dann doch ein klares Urteil gefunden. Raffaele Sollecito sei, so dessen Anwalt Luca Maori, "völlig geschockt", damit habe er nicht gerechnet. Er wird seinen Pass abgeben müssen, und in einigen Monaten, wenn das Urteil nach der endgültigen Bestätigung durch das Kassationsgericht in Rom rechtskräftig sein wird, eine Hafstrafe von 21 Jahren antreten müssen, 4 Jahre hat er ja bereits nach dem ersten Schuldspruch verbüßt.

Amanda Knox sollte den Boden der USA tunlichst nicht mehr verlassen, denn Italien wird natürlich einen internationalen Haftbefehl ausstellen, der zeitlich unbegrenzt gültig ist: Mord verjährt eben nie.

"All das aber bringt uns unsere Schwester nicht zurück", meinte Stephanie Kercher, die ihrer Schwester wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Ein Trost bleibt der Familie Kercher: Nach fast sieben Jahren hat die juristische Irrfahrt durch Italiens Gerichtshöfe nun ein Ende gefunden, drei Täter sind ermittelt und verurteilt worden, auch wenn ein reiner Indizienprozess nie alle Zweifel ganz ausräumen kann.

Quelle: ntv.de

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