Forensischer Skandal beim FBIHaaranalysen lassen Interpretationen zu

FBI-Experten sollen bei der Analyse von Haarproben sträflich geschlampt haben. Auch deutsche Experten analysieren Haare, um schwere Straftaten aufzuklären oder die Verurteilung von Tätern zu erreichen.
Schon seit Jahren weist die Generalinspektion des US-Justizministeriums auf schwere Fehler bei Analysen aus dem FBI-Labor hin. Doch nun liefern neue Untersuchungen Beweise für einen der "größten forensischen Skandale" in den USA, wie die "Washington Post" schreibt. Im Mittelpunkt des nun enthüllten Skandals stehen kriminaltechnische Analysen, die von Experten der US-Bundespolizei vorgenommen wurden. Deren Ergebnisse wurden anschließend vor allem in Mord- und Vergewaltigungsprozessen als Beweismittel verwendet.
Bei den meisten Gutachten ging es um Haaranalysen. Das Problem dabei: Der "Washington Post" zufolge waren die Analysen zu 95 Prozent falsch und unterstützten beinahe ausnahmslos die Argumente der Anklage. 268 Fälle aus den Jahren 1972 bis 1999 wurden bisher untersucht, darunter waren 32 Todesurteile. 14 Verurteilte wurden hingerichtet oder starben im Gefängnis.
Bei den betroffenen Verfahren hatten neben den fehlerhaften forensischen Analysen möglicherweise auch andere Beweise zur Verurteilung beigetragen. Trotzdem wurden Angeklagte und Staatsanwaltschaften in zahlreichen Bundesstaaten aufgerufen, mögliche Berufungsverfahren zu prüfen. Vier Angeklagte waren bereits zuvor aus der Haft entlassen worden.
Standardisiertes Vorgehen
Dr. Frank Reckel führt als Sachverständiger für biologische Mikrospuren beim Bayerischen Landeskriminalamt ähnliche vergleichende Untersuchungen durch. Dabei arbeiten die Experten mit zwei Proben, zum einen mit einer des Verdächtigen oder Tatbeteiligten und zum anderen mit der am Tatort gesicherten. Sie gehen dabei "vom Groben zum immer Feineren vor". Zunächst werden äußere Merkmale wie Länge, Durchmesser und Haarfarbe erfasst. Dann werden mikroskopische Merkmale wie die Dichte der Pigmentierung oder die Stärke des Haarmarks abgearbeitet. "Wenn Spurenhaare und Vergleichshaare in allen Merkmalen übereinstimmen, dann können sie von einer bestimmten Person stammen. Wenn sie nicht übereinstimmen, kann auf der Basis des vorliegenden Materials keine Zuordnung erfolgen."
Die bayerischen Behörden arbeiten nach einem klaren Merkmalskatalog, "wenn die grundlegenden Richtlinien bei der Untersuchung und der Vergleichsprobenentnahme berücksichtigt sind", können Fehler nur noch bei der Interpretation der Ergebnisse auftreten. Von den Inspektoren des US-Justizministeriums heißt es, die kriminaltechnischen Experten des FBI hätten an Tatorten gefundene Haaranalysen nach fehlerhaften Methoden den Angeklagten zugeordnet. Dabei hätten sie auf zweifelhafte Statistiken zurückgegriffen. Nach diesen Methoden könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass das Haar von verschiedenen Personen wie das Haar eines einzigen Menschen erscheine. Erst die Kombination mit genaueren DNA-Tests könne Gewissheit bringen.
Doch die DNA-Analyse war vor 40 Jahren längst nicht so weit wie heute. Außerdem muss für diese Untersuchungen auch das entsprechende Material vorliegen. "Das ist in der Regel die Haarwurzel, wenn die fehlt, kann man auch heute keine molekulargenetische Untersuchung machen", sagt Reckel dazu. Der Einschätzung des Münchener Biologen zufolge waren "die Lichtmikroskope auch vor 30, 40 Jahren bereits so gut, dass die wesentlichen morphologischen Merkmale von Haaren ausreichend deutlich zu erkennen waren".
"Massenhaftes Desaster"
Die wahrscheinlichste Fehlerquelle wäre demnach die Interpretation der erfassten Ergebnisse. Der Zeitung zufolge hat das FBI zugegeben, dass erst ab 2012 schriftlich festgelegte Standards im Umgang mit Haaranalysen vorlagen. Eine Untersuchung hatte damals ergeben, dass Analysen oft trotz einer unvollständigen oder irreführenden Informationslage getroffen wurden. Diese Standards kämen für die zwischen 1972 und 1999 Verurteilten zu spät.
Rechtsexperte Brandon L. Garrett von der University of Virginia sprach von einem "massenhaften Desaster" innerhalb des Justizsystems. Peter Neufeld von der Organisation "Innocence Project", die durch ihre Recherchen mehr als ein Dutzend Todeskandidaten vor möglichen Justizirrtümern bewahren half, nannte die Anwendung der mikroskopischen Haaranalyse durch die Bundespolizei in den vergangenen 30 Jahren "eine totale Katastrophe".