"Das Feuer lachte uns aus" Israel ohnmächtig im Flammenmeer
03.12.2010, 12:15 Uhr
Das Flammenmeer in Israel greift immer noch um sich.
(Foto: AP)
Es ist eine der größten Katastrophen in der Geschichte des Landes. Nahe der Stadt Haifa steht das Carmelgebirge in Flammen. Zahlreiche Menschen sind bereits ums Leben gekommen, viele verletzt, Tausende evakuiert. Israels Feuerwehr ist nicht in der Lage, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen.

Das Skelett eines völlig ausgebrannten Busses steht nahe des Kibbuz Beit Oren, der abgebrannt sein soll.
(Foto: AP)
"Wir standen vor 50 Meter hohen Flammenmauern, und das Feuer lachte uns aus. Das ist kein Brand, sondern Krieg gegen einen Feind." So beschrieb Feuerwehroffizier Chezi Levi eine der größten Katastrophen in der Geschichte Israels. Das Carmelgebirge bei Haifa brennt lichterloh. Bis in die Morgenstunden wurden 42 Leichen zum pathologischen Institut in Abu Kabir gebracht, die meisten bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. In Krankenhäusern kämpfen Schwerverletzte um ihr Leben, darunter auch die mythologische Kommandeurin der Polizei von Haifa, Ahuva Tomer. Sie war ins Feuer gefahren, um die Insassen eines lodernden Busses zu retten. Im Bus saßen Auszubildende eines Kurses für Gefängniswächter. Die 40 jungen Menschen, Frauen wie Männer, Juden und Drusen, wurden von Ramle zum Damun-Gefängnis geschickt, um dort einsitzende 250 jüdische und arabische Kleinverbrecher zu evakuieren. Angeblich konnten sie den brennenden Bus verlassen. Auf einer Lichtung verbrannten sie fest umklammert lebendigen Leibes.
Auch am zweiten Tag des Großfeuers ist noch nicht die Zeit gekommen, um Bilanz zu ziehen. Das Feuer greift bei wechselnden Windrichtungen um sich, in Sprüngen von 50 Metern. "Wenn ein einziger Baum Feuer fängt, explodieren die Tannenzapfen und verstreuen das Flammenmeer innerhalb von Sekunden weiter", erzählt ein Augenzeuge. In der Nacht zum Freitag wurden 17.000 Menschen evakuiert, aus Vororten von Haifa, aus drusischen Dörfern im Carmelgebirge, aus mehreren Gefängnissen, einer Anstalt für Geisteskranke, Hotels und Kibbuzim. Den Kibbuz Beth Oren gibt es angeblich nicht mehr. Das weltberühmte Künstlerdorf Ein Hod ist akut gefährdet. Eine der schönsten Landschaften in ganz Israel, die "Kleine Schweiz" ist angeblich schwarz verrußt. Die Naturschutzgebiete werden 50 Jahre benötigen, um sich zu regenerieren. Niemand weiß, wie viele Tiere im Flammenmeer umgekommen sind. "Vögel und Säugetiere können sich vielleicht retten, nicht aber die Kriechtiere. Ein komplettes Ökosystem wurde zerstört", erklärte eine Mitarbeiterin des Chai-Bar, wo verletzte Tiere gesund gepflegt wurden. Die Vögel konnten in Sicherheit gebracht werden. Die Säugetiere wurden zu einer Waldlichtung geführt, wo sie von Flammen umgeben sind. Das Feuer sprang auch über eine Autobahn, sodass Haifa von Tel Aviv abgeschnitten ist.
Feuerwehr nicht ausgerüstet
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief die Weltgemeinschaft auf, dem hilflosen und ohnmächtigen Israel zu helfen. Im ganzen Land gibt es nur 1700 professionelle Feuerwehrmänner und keine großen Löschflugzeuge. Zypern sendete seinen einzigen Löschhubschrauber. Griechenland, Italien, Bulgarien, Spanien, Kroatien schickten Verstärkung. Sogar die Türkei versprach infolge einer deutschen Aufforderung Hilfe. Aus Bulgarien flogen 92 Feuerwehrmänner ein. Netanjahu telefonierte mit dem russischen Ministerpräsidenten Vladimir Putin, der ebenfalls drei Flugzeuge schickte, darunter eine Illjuschin 76, das größte und effektivste Löschflugzeug der Welt. Es kann mehrere Tonnen Wasser aus dem nahegelegenen Mittelmeer im Fluge tanken und Minuten später großflächig über die Feuerherde verspritzen. Jordanien schickte zwei Löschzüge und auch Ägypten bot Hilfe an. Ausdrücklich bedankte sich Netanjahu beim türkischen Ministerpräsidenten Tayip Erdogan für die Entsendung von zwei Hubschraubern.

Israel hat nicht genug Feuerwehrmänner, um die Brände alleine in den Griff zu kriegen.
(Foto: REUTERS)
Die Meteorologen schütten weiteres Öl in das Gefühl der Hilflosigkeit. Seit dem Frühjahr hat es nicht mehr geregnet. Das Gestrüpp und die Bäume sind durch den langen Sommer ausgetrocknet. Für das Wochenende ist weiterer Föhn mit wechselnden Windrichtungen und Sturmböen angesagt. Frühestens am Montag könnte es abkühlen und vielleicht sogar regnen. Das Feuer brach am Donnerstag um 11:25 Uhr in einem Tal beim drusischen Dorf Usfijeh aus, konnte nicht gelöscht werden und breitete sich dann unkontrolliert in Windeseile aus. Noch ist unbekannt, was das Feuer auslöste: Brandstiftung oder Unachtsamkeit. Der Bürgermeister von Usfije, Wadschi Kajuf, dementierte, dass von einer "illegalen Müllkippe" am Rande von Usfije das Feuer ausgegangen sei: "Die Müllkippe gibt es noch, völlig unverbrannt." Der eigentlich Verantwortliche, Innenminister Eli Ischai von der frommen Schasspartei, schweigt bisher. Ihm untersteht die Feuerwehr. Trotz Raketenbeschuss und Waldbränden während des Libanonkrieges im Sommer 2006 habe er nicht für den Ankauf von Löschflugzeugen gesorgt und die Feuerwehr mit modernen Geräten ausgestattet. Zuletzt gingen Israel sogar die Reserven feuerhemmender Chemikalien aus. Ein El-Al-Flugzeug brachte Nachschub aus Toulouse in Südfrankreich.
Quelle: ntv.de