Panorama

Fukushima gleichauf mit Tschernobyl? Japan erwägt höchste Unfall-Stufe

Die Reaktor-Gebäude: Ruinen.

Die Reaktor-Gebäude: Ruinen.

(Foto: dpa)

Erwartet wird der Schritt schon länger, nun scheint er in Kürze auch gemacht zu werden: Offenbar wird Japan den Atomunfall in Fukushima auf die höchste Stufe setzen. Das Geschehen wäre dann auch offiziell mindestens so schwerwiegend wie die Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren.

Japan erwägt offenbar, die Gefahr des Atomunfalls im Kraftwerk Fukushima 1 auf die höchste Stufe anzuheben. Das berichtete die stets gut informierte japanische Nachrichtenagentur Kyodo – allerdings ohne konkrete Quellen zu nennen. Angeblich vermutet die Atomaufsicht, dass die Menge des freigesetzten radioaktiven Materials für mehrere Stunden die Grenze von 10.000 Terabecquerel überschritten habe. Damit müsste der Unfall hochgestuft werden. Zahlreiche ausländische Experten halten diesen Schritt schon lange für überfällig.

Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurde eine Skala geschaffen, um die Öffentlichkeit einheitlich über die Schwere eines Atomunfalls zu informieren. Auf dieser siebenstufigen Ines-Skala (International Nuclear and Radiological Event Scale) bekam bisher nur der schwere Tschernobyl-Unfall die höchste Einstufung 7.

Vor einer Notunterkunft in Minamisanriku verbeugen sich die Überlebenden vor den Opfern.

Vor einer Notunterkunft in Minamisanriku verbeugen sich die Überlebenden vor den Opfern.

(Foto: dpa)

Bisher gilt für drei Meiler in Fukushima 1 die Ines-Stufe 5. Diese bedeutet nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz: Begrenzte Freisetzung von radioaktiven Stoffen und Einsatz einzelner Katastrophenschutzmaßnahmen. Stufe 7 bedeutet demnach: "Schwerste Freisetzung: Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt in einem weiten Umfeld." Demnach könnte ein Atomunfall auch ohne eine katastrophale Explosion die höchste Stufe erreichen.

Ein weiteres starkes Erdbeben erschütterte unterdessen Japan und löste neue Probleme im Katastrophen-Kraftwerk aus. Einen Monat nach dem Mega-Beben vom 11. März unterbrach der neue Erdstoß mit der Stärke 7,0 am Montag die Stromversorgung des Atomkraftwerks. Die Kühlung der kritischen Reaktoren 1 bis 3 fiel für 50 Minuten aus. Das Abpumpen radioaktiv verseuchten Wassers aus der Anlage verzögerte sich. Auch das Einleiten von Stickstoff zur Verhinderung von Wasserstoffexplosionen wurde gestoppt.

Die Spuren von Erdbeben und Tsunami werden das Land über Monate prägen.

Die Spuren von Erdbeben und Tsunami werden das Land über Monate prägen.

(Foto: AP)

Zuvor hatte die Regierung die Evakuierungszone um die Atomruine ausgeweitet. Das Risiko weiterer Strahlenlecks hat sich nach Regierungsangaben aber verringert. Im ganzen Land gedachten die Menschen mit Schweigeminuten der Opfer von Erdbeben und Tsunami, der schlimmsten Naturkatastrophe in der Geschichte Japans.

Das Beben am Montagnachmittag (Ortszeit) hatte nach Angaben der US-Erdbebenwarte sein Zentrum in der Präfektur Fukushima, wo auch das havarierte Atomkraftwerk steht. In der Hauptstadt Tokio gerieten Häuser stark ins Schwanken. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Kyodo wurden zwei Menschen getötet.

Bereits kurz nach der Erschütterung wurden Flutwellen von einem halben Meter in der Provinz Ibaraki gemessen. Eine Tsunami-Warnung wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Live-Bilder des japanischen Fernsehsenders NHK zeigten ein Feuer in der Stadt Iwaki. Kurz nach ersten Beben kam es zu weiteren Erschütterungen.

Die Führung des Unternehmens Tepco zeigt sich zerknirscht.

Die Führung des Unternehmens Tepco zeigt sich zerknirscht.

(Foto: REUTERS)

Bereits vor dem neuerlichen Beben hatte Regierungssprecher Yukio Edano angekündigt, dass die japanische Regierung mehrere Gemeinden außerhalb der Sperrzone um die Atomruine evakuieren lassen wolle. Vor diesem Schritt hatte die Regierung sich lange Zeit gescheut - obwohl die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und auch Greenpeace das schon vor Wochen gefordert hatten. Bisher wurde nur eine Zone im 20-Kilometer-Radius um das Atomkraftwerk evakuiert.

Wind weht wieder auf das Meer

"Wir haben den Einfluss radioaktiven Materials auf die menschliche Gesundheit bei dieser Entscheidung mit einbezogen unter der Annahme, dass Menschen in diesen Gebieten für sechs Monate bis zu einem Jahr leben", erklärte Regierungssprecher Edano. Die Bewohner sollten ihre Häuser räumen, wenn die Strahlendosis in ihrer Gemeinde bei 20 Millisievert pro Jahr liegt. Zuvor lag der Wert bei 50 Millisievert pro Jahr. Bei manchen Menschen lösen bereits 100 Millisievert Übelkeit und Erbrechen aus. 1000 Millisievert erhöhen das Krebsrisiko um zehn Prozent.

In den betroffenen Regionen seien die Strahlenwerte erhöht. Dazu zählten aktuell die Orte Katsurao, Namie und Iitate, das etwa 40 Kilometer von Fukushima Eins entfernt liegt. Nach Kyodo-Angaben sollen die betroffenen Bewohner innerhalb eines Monats in andere Regionen gebracht werden. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes weht der Wind radioaktive Stoffe aus der Atom-Ruine bis Mittwoch wieder aufs offene Meer hinaus.

Viele Menschen müssen erst noch eine neue Heimat finden.

Viele Menschen müssen erst noch eine neue Heimat finden.

(Foto: AP)

Greenpeace hatte am Montag von deutlich erhöhten Strahlenwerten berichtet, die ihre Experten in bewohnten Gebieten rund 60 Kilometer von Fukushima 1  entfernt gemessen hätten. Auf einem Spielplatz in Fukushima City fand ein Team demnach Werte von bis zu vier Mikrosievert pro Stunde (0,004 Millisievert). In der Stadt Koriyama seien es 2,8 Mikrosievert pro Stunde gewesen. Laut Greenpeace ist das so viel, dass die maximal tolerierbare Dosis für die Bevölkerung von 1000 Mikrosievert pro Jahr in wenigen Wochen aufgenommen würde.

Arbeiten gestört

Die Erdstöße verzögerten die Arbeiten an der Atomruine. Das Einleiten von Stickstoff in das Reaktorgehäuse von Kraftwerksblock 1 wurde gestoppt. Der Stickstoff soll verhindern, dass in den zerstörten Reaktorgebäuden wie kurz nach der Havarie Wasserstoff explodiert. Bei den kritischen Reaktoren 1, 2 und 3 fiel zudem zeitweise die Stromversorgung aus. Das Einleiten von Kühlwasser wurde für etwa 50 Minuten unterbrochen. Die Sicherheitslage habe sich insgesamt jedoch nicht verändert, erklärte die japanische Atomaufsichtsbehörde (NISA) laut einem Kyodo-Bericht.

Das Abpumpen radioaktiv verseuchten Wassers wurde zudem verschoben. Um weiter an dem havarierten Atomkraftwerk arbeiten zu können, muss der Betreiber Tepco rund 60.000 Tonnen stark radioaktiv belastetes Wasser aus der Anlage pumpen. Es wurde in den Kellern der Reaktoren 1 bis 3 gefunden, die unter anderem wichtige Elektronik beherbergen. Nach dem Beben und dem Tsunami war dort die Stromversorgung ausgefallen, das Kühlsystem versagte. Seitdem wird zum Kühlen Wasser in die Anlage geleitet. Das nun verstrahlte

Mehr als vier Wochen nach dem verheerenden Erdbeben vom 11. März mit der Stärke 9,0 und dem folgenden Tsunami gelten 14.300 Menschen als vermisst. Rund 150.000 Menschen leben noch immer in 2400 Notunterkünften. Japan gedachte in den Notlagern, an Arbeitsplätzen und Schulen im ganzen Land mit Schweigeminuten seiner Opfer. Insgesamt wird von 28.000 Toten ausgegangen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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