Panorama

Wissenschaftler entziffern EHEC-Genom Russland verschärft Grenzkontrollen

Wegen des Darmkeims EHEC stoppt Russland die Einfuhr frischen Gemüses aus der EU und teilt später mit, dass auch die Grenzkontrollen für Reisende verschärft worden seien. 18 Menschen sind inzwischen an dem Erreger gestorben. Wissenschaftler melden unterdessen einen Erfolg – sie entziffern die Erbsubstanz des EHEC-Bakteriums.

Die Erkenntnisse nutzen den Erkrankten zur Zeit wenig.

Die Erkenntnisse nutzen den Erkrankten zur Zeit wenig.

(Foto: dpa)

Wissenschaftler aus Hamburg und China haben die Erbsubstanz des EHEC-Bakteriums gelesen. "Es handelt sich um einen besonderen Typ eines EHEC-Erregers", sagte Bakteriologe Holger Rohde vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Damit sei ein weiterer Schritt zur Identifikation des aggressiven Darmkeims gelungen.

Die Forscher fanden in dem Erbgut des Keims Anteile zweier ganz unterschiedlicher Bakterienstämme. Diese genetische Neukombination begünstigt das Anheften der Bakterien an die Darmzellen. Damit bleiben die Keime länger im Darm - und können dort auch länger Schaden anrichten. Der Keim weist zudem ein ganz besonderes Resistenzprofil auf. Die Arbeit gelang gemeinsam mit Kollegen des chinesischen Beijing Genomic Institute.

Die neuen Erkenntnisse über das Genom des Bakteriums helfen den betroffenen Patienten nach Erkenntnissen der Experten allerdings nicht unmittelbar, sondern müssen erst in den nächsten Wochen interpretiert werden.

Russland untersucht Reisende

Russland fürchtet um die Folgen einer Epidemie im eigenen Land.

Russland fürchtet um die Folgen einer Epidemie im eigenen Land.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Russland verschärfte wegen der EHEC-Gefahr seine Grenzkontrollen und überprüft Reisende aus der EU und vor allem aus Deutschland auf mögliche Symptome. Seit dem 28. Mai seien an Grenzübergängen und Flughäfen ingesamt rund 46.000 Menschen kontrolliert worden, teilte die Verbraucherschutzbehörde mit. Bislang habe es aber noch keine Verdachtsfälle gegeben.

Wie die Gesundheit getestet wird, teilte die Behörde nicht mit. Während der Schweinegrippe waren Ärzte in Schutzkleidung noch auf dem Rollfeld in die Flugzeuge gekommen und hatten mit Laserpistolen die Temperatur der Reisenden gemessen.

Import-Stopp für Gemüse aus EU

Auf der Dialysestation des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel.

Auf der Dialysestation des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel.

(Foto: dpa)

Wegen des Darmkeims EHEC hatte Russland zuvor ein Import-Stopp für Gemüse aus der Europäischen Union verhängt. Der Leiter der Verbraucherschutzbehörde, Gennadi Onischtschenko, sagte in Moskau, das Einfuhrverbot für frisches Gemüse aus allen EU-Ländern sei umgehend in Kraft getreten. Bereits eingeführtes Gemüse solle im ganzen Land aus den Regalen genommen und vernichtet werden. Am Montag hatte Russland bereits ein Import-Stopp für Gemüse aus Deutschland und Spanien verhängt.

Die Reaktion der EU-Kommission kam innerhalb weniger Stunden: Die Maßnahme sei "unverhältnismäßig", das Einfuhrverbot müsse sofort wieder aufgehoben werden, hieß es in einem Brief von EU-Gesundheitskommissar John Dalli an die russischen Behörden. Jüngste Tests in Spanien und Deutschland hätten gezeigt, dass die aus Spanien stammenden kontaminierten Gurken nicht für die Krankheitswelle verantwortlich seien. Zudem seien die Fälle auf ein "begrenztes geografisches Gebiet" beschränkt, nämlich den Norden Deutschlands. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO teilte mit, dass sie trotz der EHEC-Ausbrüche keine Handelsbeschränkungen empfehle.

Laut EU-Kommission wird pro Jahr frisches Gemüse im Wert von 600 Millionen Euro nach Russland exportiert. Die EU-Kommission hatte erst gestern Abend eine Gesundheitswarnung vor spanischen Gurken aufgehoben. Unterdessen steigt die Zahl der EHEC-Infizierten wieder rapide. Innerhalb eines Tages stieg die Zahl gemeldeter EHEC-Infektionen und -Verdachtsfälle bundesweit von rund 1500 auf 2000. Zugleich tappen die Experten auf der Suche nach der EHEC-Quelle völlig im Dunkeln.

Brüssel macht Druck auf Deutschland

Gemüseproben im Veterinärinstitut Hannover.

Gemüseproben im Veterinärinstitut Hannover.

(Foto: dpa)

In Brüssel rief EU-Gesundheitskommissar John Dalli Deutschland dazu auf, die Suche nach der Infektionsquelle zu verstärken. "Der anfängliche Verdacht Deutschlands, Gurken aus Spanien könnten schuld sein, hat sich bisher nicht bestätigt." Mehr Klarheit könne es aber erst geben, wenn die Ergebnisse der Boden-, Wasser- und Produktproben aus den spanischen Betrieben in Almeria und Malaga vorlägen.

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hätten Nachtests ergeben, dass von den anfangs vier bestätigten EHEC-Proben von Gurken aus Hamburg nur zwei mit dem Keim infiziert seien. Allerdings handele es sich dabei nicht um den dem Erregertyp O104, der für die derzeitige Seuche verantwortlich ist, hieß es in einer Erklärung vom späten Mittwochabend. "Es gilt weiterhin zu klären, an welcher Stelle in der Lebensmittelkette die Belastung mit Keimen erfolgt ist", sagte BfR-Präsident Andreas Hensel.

Tomaten, Gurken und Salate sind tabu

Indes unterstrich der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, es gebe keinen Anlass für Entwarnung. Erst in einigen Tagen werde sich zeigen, ob die Warnungen vor rohem Gemüse die Infektionen gebremst haben. Auch das BfR empfahl, vorsorglich weiter auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate zu verzichten.

Bereits 18. Todesfall

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) spendet Blut.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) spendet Blut.

(Foto: dpa)

Hamburg meldete einen weiteren EHEC-Todesfall durch das von EHEC ausgelöste hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Es kann zu lebensgefährlichen Nieren- und Nervensystemschäden führen. Damit sind bundesweit 18 Todesfälle registriert, 16 davon waren Frauen.

Vor allem in Norddeutschland nahmen die bestätigten Erkrankungen und der Verdachtsfälle sprunghaft zu. Niedersachsen meldete am Mittwoch 344 Verdachtsfälle - 80 mehr als am Vortag. In Hamburg kletterte die Zahl um 119 auf 668 bestätigte oder Verdachtsfälle.

Auch Aigner kann nur abwarten und allgemeine Warnungen aussprechen.

Auch Aigner kann nur abwarten und allgemeine Warnungen aussprechen.

(Foto: dpa)

In Schleswig-Holstein bereitet den Ärzten ein starker Anstieg neurologischer Komplikationen Sorgen. "Wir haben Patienten, die überhaupt keinen Durchfall haben, aber schwere neurologische Symptome", schilderte der Kieler Klinikdirektor Prof. Ulrich Kunzendorf. Ein Beispiel seien etwa epileptische Anfälle.

Mensch-zu-Mensch-Übertragung nicht ausgeschlossen

Die Experten suchen weiter fieberhaft nach der EHEC-Quelle. "Man kann derzeit gar nichts ausschließen", erklärte Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei sehr unwahrscheinlich, wenn man normale Hygieneregeln einhalte, sagte Prüfer-Storcks. Laut RKI-Präsident Burger gibt es dagegen mittlerweile erste Hinweise, "dass eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgen kann".

Auch im Ausland breitet sich der tödliche Keim weiter aus: In Tschechien gibt es einen ersten nachgewiesenen EHEC-Fall. Laut EU-Kommission gibt es zudem in Schweden, Dänemark, Frankreich, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden EHEC-Fälle. Meistens seien die Erkrankten kurz zuvor in Deutschland gewesen.

Bauern vermelden große Verluste

In Geldern liegen 600 Kilogramm Tomaten zur Vernichtung bereit.

In Geldern liegen 600 Kilogramm Tomaten zur Vernichtung bereit.

(Foto: dpa)

Die Gemüse-Branche stimmt sich indes auf immer stärkere Entschädigungen und Kompensationen für Bauern ein. EU-Kommissar Dalli hält Entschädigungen generell für denkbar. Auch EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hat angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten.

Nach Ansicht der Branche hat die neue Ungewissheit die Lage der Gemüsebauern verschärft. Der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) zufolge trägt die Kaufzurückhaltung - auch bei anderem Gemüse - zu Umsatzeinbußen von ungefähr vier Millionen Euro pro Tag bei.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, forderte einen finanziellen Ausgleich von der Bundesregierung und der EU für die angeschlagenen Betriebe. "30 Millionen Euro Einbußen sind nicht verkraftbar", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Viele Betriebe stünden wegen der Angst der Verbraucher vor dem EHEC-Erreger vor dem Ruin.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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