Piratenpartei wird erwachsen Augenklappe ist out
25.11.2012, 14:18 Uhr
"Wenn den Piraten langweilig ist, gehen sie sich auf den Keks." Oder küssen sich.
(Foto: dpa)
Die Gründungsjahre der Piratenpartei sind vorbei und die Wohlfühlthemen abgearbeitet. Die Debatten, die nun geführt werden, sind trocken und mühsam. Von Aufbruch und Euphorie ist auf dem Parteitag in Bochum darum wenig zu spüren.
Es wird umarmt, gelacht und getrunken am Freitagabend im Bochumer Jahrhunderthaus. Überall wird gequatscht, werden Bierflaschen geöffnet und angestoßen. Der Parteitag, der hier inoffiziell beginnt, ist für die Piraten eines der wichtigsten Events des Jahres. Aber in erster Linie freuen sich die Angereisten, dass sie Parteifreunde wiedertreffen, mit denen sie die meiste Zeit nur über Mumble-Telefonkonferenzen verbunden sind.
Bei der Podiumsdiskussion, die hier stattfindet, soll es eigentlich um die internen Probleme im Vorstand gehen. "Der Termin war angesetzt worden, als es noch heiß her ging", sagt der Politische Geschäftsführer Johannes Ponader später. Er spielt damit auf den Trubel an, den Julia Schramm und Matthias Schrade mit ihren Rückzügen aus dem Vorstand ausgelöst hatten. An diesem Freitagabend sei der Druck aber offensichtlich schon raus gewesen, sagt Ponader. Vorstand Markus Bahrenbohm verbreitet von vorne die These: "Wenn den Piraten langweilig ist, gehen sie sich auf den Keks. Das ist wie bei Feuerwehrleuten, die ein Haus anzünden um mal wieder einen Einsatz fahren zu können." Die anwesende Basis protestiert nicht, sie jubelt. Und als Ponader "wir haben Wahlkampfentzug" ruft, kommt ein zustimmendes Klatschen zurück.
Neue Ernsthaftigkeit
So kuschelig kann ein Piraten-Parteitag beginnen. Als das versammelte Parteivolk wegen unklarer Absprachen vorzeitig vom Hausmeister des Saales verwiesen wird, kommen zwar ein paar Fragen zu kurz, der Stimmung tut es aber keinen Abbruch.
Am Samstag schläft die gute Stimmung dann langsam ein. Anstatt Dutzende Anträge schnell zu verabschieden, wie es sich viele gewünscht hatten, bleiben die Piraten bald stecken. Weder ist die Euphorie des gestrigen Abends zu spüren, noch herrscht die Aufbruchsstimmung aus den Anfangsjahren der Partei. Kopftücher, große Hüte und Augenklappen sind kaum noch zu sehen. Es gibt zwar Anträge auf Marsbesiedelung und Zeitreisen, aber auf die Tagesordnung kommen sie nicht. Die Piraten werden erwachsen und wollen das auch. Seit es Landtagsfraktionen und realistische Hoffnung auf Bundestagsmandate gibt, wird der Wunsch größer, ernst genommen zu werden und ein ausgereiftes Programm präsentieren zu können. Wer die Welt mit beiden Augen sehen will, kann dabei keine Augenklappe tragen.
Trotz der neuen Ernsthaftigkeit kommt die Versammlung nicht so schnell voran wie gehofft. Gefragt, was er sich vom Parteitag wünscht, hatte Vorstand Matthias Schrade geantwortet: "Wir wollen zeigen, dass wir sehr produktiv arbeiten können." Daraus wird erst einmal nichts. Ein großes Problem ist, dass die Tagesordnung zwischen sehr unterschiedlichen Themen hin- und herspringt. Zuerst geht es um Wirtschaft, dann um Forschung, dann um Inklusion. Eine große Debatte über die Leitlinien der Partei gibt es kommt darum nicht auf. Eher sind es viele kleine Debatten.
Wenig, aber wichtig
Weniger Streit gibt es darum nicht. Mit Geschäftsordnungsanträgen zerschießen Einzelne immer wieder den Diskussionsfluss. Als gefordert wird, eine Abstimmung zu wiederholen, ist das Ergebnis nicht klar. Darum gibt es dann einen Antrag auf Wiederholung der Abstimmung über Wiederholung einer Abstimmung. Eine Rednerin fordert schon ein Ende des "GO-Rumgeficke", doch da kommen die größeren Geschäftsordnungsdebatten erst noch: Als sich eine Debatte etwas hinzieht, beantragt jemand das sofortige Ende der Debatte - und kommt damit durch. Der nächste Redner wäre ausgerechnet Christopher Lauer gewesen. Der Fraktionsvorsitzende aus Berlin ist eine polarisierende Figur und er nimmt den Antrag persönlich. Zwei Projektoren übertragen sein entsetztes Gesicht auf die Leinwände. Später vor der Tür macht er seinem Unmut Luft: Überhaupt sei dieser Parteitag schlecht organisiert, die Akustik des Saals, die Tatsache, dass abends nicht überzogen werden kann.
Aber trotz aller Probleme: Der bunte Haufen der immer noch jungen Piratenpartei hat es geschafft, sich ein wirtschaftspolitisches Grundsatzprogramm zu geben. Es sind wenige, aber wichtige Schritte, die an diesem Wochenende gemacht werden.
Quelle: ntv.de