Norbert Röttgen im Interview "Die Schwäche Europas motiviert Putin"
29.08.2014, 13:16 Uhr
Dass Russland sich in der Ukraine engagiert, gilt angesichts erdrückender Indizien längst als sicher.
(Foto: REUTERS)
Putin handelt, der Westen redet. So sieht der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, die Lage. Und selbst beim Reden deeskaliert der Westen laut dem CDU-Politiker noch. Röttgen fordert, dass auf Russlands "Invasion" jetzt heftige Sanktionen folgen müssen.
n-tv.de: Seit gestern hält uns einmal mehr die Ukraine in Atem. Für wie bedenklich halten Sie die Situation dort?
Norbert Röttgen: Das ist jetzt eine weitere Eskalation. Es ist ein Einmarsch russischer Truppen auch mit Panzern in ein ganz neues Gebiet, außerhalb des bisher umkämpften Gebiets. Es ist so etwas wie ein Entlastungsangriff mit russischen Truppen selber. Das ist eine Verletzung der Integrität des Nachbarlandes. Putin setzt seine militärische Aggression, seine Landnahme fort. Das ist eine neue Stufe der Eskalation, auf die der Westen auch neu reagieren muss. Wir dürfen nicht zögerlich sein, weil Zögerlichkeit von Putin als Schwäche ausgelegt wird und die Schwäche Europas ihn motiviert.
Wir bleiben bei den Reaktionen. Wie muss denn der Westen reagieren?
Er muss geschlossen, entschlossen und zügig reagieren. Jetzt ist am Wochenende das europäische Gipfeltreffen der Regierungs- und Staatschefs. Und wenn die Regierungs- und Staatschefs zusammenkommen, dann müssen sie antworten und nicht nur beraten. Putin handelt, der Westen redet. Es müssen auf der Leiter der Sanktionen, die wir aufgestellt haben und auf der wir weit von der letzten Stufe entfernt sind, weitere Stufen erklommen werden, um Putin klarzumachen: Jede weitere Eskalation von seiner Seite wird eine klare, entschlossene Antwort des Westens finden.
In der Koalition gibt es auch Streit über die Sanktionen gegen Russland. Sie sind der Meinung, dass die Sanktionen sogar noch verschärft werden sollten. Wird das Putin zum Einlenken bringen?
Es besteht kein Zweifel daran, dass die letzten Sanktionen, die beschlossen wurden, Putin beeindruckt haben. Das sieht man an seiner Reaktion. Er hat diese Geschlossen- und Entschlossenheit des Westens nicht kalkuliert und ist davon beeindruckt. Ich glaube, er testet uns aufs Neue. Haben die Europäer das einmalig auf den Weg gebracht, war das ein einmaliger Kraftakt und nun sind sie erschöpft? Wenn man sagt, die Sanktionen gegen Russland reichen, dann wird Putin weitermachen, weil er keine Grenze findet. Putin reagiert auf die Grenzen, die ihm der Westen setzt oder eben nicht setzt. Er testet das aus und deswegen sollten wir klare Grenzen setzen.
Es gibt Beobachter, die sagen, Putin kann innenpolitisch nicht mehr zurück. Wie bedenklich ist es, jemanden, der sich innenpolitisch in die Ecke manövriert hat, unter Druck zu setzen?
Wir setzen ihn nicht unter Druck, sondern er eskaliert weiter. Die Verletzung der Friedensordnung kann man nicht hinnehmen, weil man es nicht auf diesen Fall begrenzen kann. Wenn es Schule macht, dass der Stärkere seinen Nachbar überfällt, sich einen Teil des Landes nimmt und dieses Land zerstört, soweit es geht, bedroht uns das auch. Das ist nicht die europäische Friedensordnung, nach der wir 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelebt haben. Diese Friedensordnung ist entstanden aus den Erfahrungen mit Nationalismus, mit Militär und mit einseitiger Grenzverschiebung. Das ist unsere historische Erfahrung. Deshalb müssen wir den Verstoß gegen elementare Regeln des friedlichen Zusammenlebens auch sanktionieren. Wenn das keine Folgen hat, wird das immer weitergehen.
Viele Verantwortlichen tun sich schwer mit der Wortwahl. Keiner will so richtig das Wort Invasion in den Mund nehmen. Würden Sie denn sagen, dass es eine Invasion ist?
Wir neigen dazu, bis in die Sprache hinein zu deeskalieren. Aber das darf nicht so weit gehen, dass wir uns nicht mehr trauen die Wirklichkeit auszusprechen, weil es Herrn Putin nicht gefallen könnte. Ich bin gegen jede Dramatisierung, aber auch gegen Beschönigung. Die Freiheit fängt im Kopf an und setzt sich in der Sprache fort. Wir müssen das, was die Wirklichkeit ist, auch aussprechen. Das ist eine Invasion mit fremden Truppen. Panzer haben unter Beschuss die ukrainische Grenze überrollt und sind nun in der Ukraine drin. Das ist die Wirklichkeit, das ist eine Invasion.
Sind wir in einer Situation, in der man sehr vorsichtig sein muss, wem man glaubt?
Man muss absolut vorsichtig sein, und man kann sich auch nicht auf glauben verlassen. Nach den mir und der Regierung vorliegenden Informationen gibt es keinen Zweifel daran, dass russische Truppen die Grenze zur Ukraine überschritten haben und dort auch Dörfer besetzen, in der Nähe von Mariupol. Das ist der Tatbestand. Ich glaube aber auch, dass andersherum ein Schuh draus wird. Ich glaube nicht, dass Poroschenko vor irgendeinem Gipfel etwas erreichen wollte. Es ist Putin, der wissend, dass diese Gipfel stattfinden, dem Westen diesen Ball vor die Füße rollt. Jetzt sagt er: Mal schauen, was sie machen. Jetzt müssen sie sich mit mir befassen. Er erzeugt unterschiedliche Auffassungen im Lager des Westens und er schaut zu, ob er uns durcheinanderbringt. Oder sogar auseinanderbringt und einen Keil reintreiben kann. Oder ob es nicht gelingt. Aber er denkt sich bestimmt, den Versuch ist es wert.
Unter welchem Druck sind die Europäer, nachdem die USA gesagt haben: Kein Nato Land, keine Nato-Mitgliedschaft, wir greifen nicht militärisch ein?
Erstens bin ich überzeugt, dass es den Westen gibt - insbesondere die Gemeinschaft der Europäer und der Nordamerikaner. Zweitens brauchen wir den Westen zur Behauptung unserer Lebensweise. Drittens stellt sich die Frage, was für ein Konflikt es eigentlich ist. Ich habe immer gesagt, es ist ein asymmetrischer Konflikt. Putin setzt militärische Mittel ein, der Westen tut das nicht. Das ist keine Schwäche, sondern auch ein Teil von Klarheit für die Bevölkerung. Dieser Konflikt ist auf unserer Seite nicht militärisch, aber er wird klar politisch geführt. Ein Teil der Politik sind auch wirtschaftliche Sanktionen – nicht als Strafe für das, was passiert ist, sondern als Prävention, um weitere Schritte zu unterlassen.
Wird dieser Konflikt für Europa komplett nicht-militärisch bleiben? Schließen Sie eine Beteiligung wie im Irak aus?
Ich schließe das aus, denn Waffenlieferungen sind mittelbare Beteiligung an einem Konflikt. Ich beschreibe diesen Konflikt als asymmetrisch und ich bin auch dafür, dass er asymmetrisch bleibt. Das heißt: von unserer Seite aus nicht militärisch.
Vor allem die Osteuropäer machen sich Sorgen. Polen, Tschechien sagen: Da muss man ein Auge drauf haben. Was sagen Sie dazu?
Je näher man dran ist, wie Polen und Balten, je abhängiger man ist, wie die kleinen baltischen Staaten von russischem Gas, und je intensiver man russische Unterdrückung in der Geschichte erlebt hat, desto legitimer sind auch Ängste und Sorgen. Das ist ein Teil europäischer Solidarität, die man aufnehmen muss. Auf der anderen Seite muss man eine gemeinsame Linie finden. Ich glaube, dass die Nato ihre Rolle hat. Es ist extrem wichtig, dass das, was der Kern der Nato ist - wechselseitiger Beistand -, nicht in Zweifel gezogen wird. Polen und das Baltikum sind Nato-Länder. Darum darf unsere Garantie für diese Länder nicht in Zweifel stehen. Ich glaube aber nicht, dass es um Truppenverlegungen an die östliche Grenze der Nato geht. Die wären auf der einen Seite eher symbolisch und das würde Putin nicht beeindrucken. Es würde aber in der westlichen Bevölkerung Ängste erzeugen und damit wäre keinem geholfen.
Mit Norbert Röttgen sprach Miriam Pauli
Quelle: ntv.de