Botschafter in Wien sorgt für Eklat Erdogan kritisiert EU
10.11.2010, 12:07 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
"Man hat uns an den Toren der EU für 50 Jahre warten lassen", sagt der türkische Ministerpräsident Erdogan. Im Vergleich zu anderen Beitrittskandidaten werde sein Land diskriminiert. Die EU bescheinigt Ankara dagegen gravierende Defizite bei Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Frauenrechten. In Wien greift der türkische Botschafter Österreich scharf an.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat das Verhalten der Europäischen Union bei den Beitrittsverhandlungen scharf kritisiert. "Man hat uns an den Toren der EU für 50 Jahre warten lassen", sagte Erdogan der Nachrichtenagentur Reuters. Die Türkei warte immer noch und sei nicht über den Verhandlungsprozess hinaus.
Erdogan übte zudem Kritik daran, dass seit Beginn der Aufnahmeverhandlungen vor fünf Jahren die Regeln geändert worden seien. Im Vergleich zu anderen Kandidaten werde die Türkei diskriminiert. Zeitgleich zu diesen Äußerungen sorgt der türkische Botschafter in Wien mit seiner Kritik an der österreichischen Integrationspolitik für einen Eklat.
Gespräche fast am Nullpunkt
Wegen des ungelösten Streits über das seit 1974 von der Türkei besetzte Nordzypern und die Abneigung Frankreichs und Deutschlands gegen eine Aufnahme der Türkei sind die Gespräche fast zum Erliegen gekommen. Die deutschen Unionsparteien und die französische Regierung befürworten eine "privilegierte Partnerschaft". Acht von insgesamt 35 Beitrittskapiteln liegen wegen des Zypern-Problems auf Eis, weitere sind wegen politischer Vorbehalte blockiert.
Erdogan bot erneut an, die türkischen Häfen und Flughäfen für das seit 2004 zur EU gehörende griechische Südzypern zu öffnen, wenn die EU ihr Embargo für die türkische Enklave aufhebe.
EU bescheinigt gravierende Defizite
Die EU-Kommission hatte in ihrem Jahresbericht über die Beitrittsbemühungen der Türkei und weiterer acht Länder Ankara gravierende Defizite bei Grundrechten wie der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie dem Schutz von Frauen und Minderheiten wie den Kurden attestiert. "Ehrenmorde, Zwangsheiraten und häusliche Gewalt bleiben ernsthafte Probleme", heißt es in dem Bericht. "Niemand kann mit dem Tempo der Verhandlungen zufrieden sein", sagte Erweiterungskommissar Stefan Füle bei der Vorstellung des Fortschrittsberichts.
Als einen "Schritt in die richtige Richtung" wertet Brüssel dagegen die vor knapp zwei Monaten beschlossene Verfassungsreform. Die Reform sieht unter anderem stärkere Bürgerrechte und eine stärkere zivile Kontrolle über die Armee vor. Die Verbesserungen müssten nun aber auch umgesetzt werden, heißt es in dem Bericht.
"Der Wahrheit ins Auge blicken"
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sprach sich dafür aus, die "europäische Perspektive" für die Türkei beizubehalten. Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber forderte ein Ende der Brüsseler Verhandlungen mit Ankara. "Aushöhlung der Pressefreiheit, Defizite im Rechtsstaat, Vertragsverletzungen in Sachen Zypern und über 16.000 anhängige Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Grundrechtsverletzungen und Unterdrückung von Minderheiten - das alles spricht für sich", sagte der stellvertretende EVP-Fraktionschef der "Passauer Neuen Presse". Deshalb forderte der niederbayerische CSU-Chef: "Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, der Wahrheit ins Auge zu blicken, die Verhandlungen abzubrechen und eine privilegierte Partnerschaft aufzubauen."
Wirbel in Wien
In Österreich sorgt derweil der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan mit seiner Kritik an der Wiener Integrationspolitik für Aufregung. Der 61-jährige Botschafter hatte in der Zeitung "Die Presse" Österreich für die mangelnde Integration mitverantwortlich gemacht. Türken würden in Wien immer Wohnungen in derselben Gegend zugewiesen. "Gleichzeitig wirft man ihnen vor, Ghettos zu formen", ärgerte sich Tezcan. Seine Landsleute würden in die Ecke gedrängt und wie ein Virus behandelt.
Bundeskanzler Werner Faymann bezeichnete die Aussagen als "unprofessionell und inakzeptabel". Tezcan wurde ins Außenamt zitiert. Zugleich werde Österreichs Botschafter in Ankara um einen Termin im dortigen Ministerium bitten, sagte Außenamtssprecher Alexander Schallenberg.
Zum Thema Kopftücher meinte Tezcan, der auch schon in Deutschland gearbeitet hat: "Es steht jedem frei, was er auf dem Kopf trägt. Wenn es hier die Freiheit gibt, nackt zu baden, sollte es auch die Freiheit geben, Kopftücher zu tragen." Den Österreichern bescheinigte der Diplomat, sich nur im Urlaub für fremde Kulturen zu interessieren.
Quelle: ntv.de, rts/AFP