Politik

Folgen des EU-Urteils Futter für die Skeptiker

Die Karlsruher Richter bei der Urteilsverkündung.

Die Karlsruher Richter bei der Urteilsverkündung.

(Foto: dpa)

Nach dem Urteil des  Bundesverfassungsgericht zum Lissabon-Vertrag gab es allenthalben nur Sieger. Außenminister Steinmeier freute sich, weil das Gericht die Zustimmung der Bundesregierung zu dem  EU-Vertrag für rechtens erklärt hat. Und die Kläger freuten sich, weil das Gericht weitere Kontrollrechte für Bundestag und Bundesrat  eingefordert und die Ratifizierung so lange auf Eis gelegt hat. EU-Experte Andreas Maurer von der Stiftung Wissenschaft und Politik ordnet im Gespräch mit n-tv.de das Urteil ein.

n-tv.de: Was denken Sie über das Urteil? Ist es gerechtfertigt?

Andreas Maurer: Das Urteil stellt ein lange erwartetes Grundsatzurteil dar, dass das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Bundesrepublik vor dem Hintergrund des Lissabonner Vertrages bewertet. Wichtig erscheint mir zweierlei: Erstens betont das Gericht, dass das Grundgesetz und das hierin verankerte Demokratieprinzip die volle Integration Deutschlands in eine internationale und europäische Friedensordnung zulassen. Das Gericht anerkennt dabei erstmals, dass die Herrschaftsordnung der EU nicht einfach entlang unserer deutschen, verfassungsstaatlichen Anforderungen bewertet werden kann. "Die Ermächtigung zur europäischen Integration erlaubt eine andere Gestaltung politischer Willensbildung, als sie das Grundgesetz für die deutsche Verfassungsordnung bestimmt." Karlsruhe anerkennt mit dieser Aussage, dass Prozess und Ziel der EU-Integration nicht alleine an den deutschen Verfassungsprinzipien gemessen werden kann, sondern andere, EU-eigene Rechtsquellen ebenfalls anzuerkennen sind. Zweitens aber geht von diesem Urteil ein schlechtes Signal an die Partner in der EU aus, da Deutschland den Lissabonner Vertrag eben immer noch nicht ratifiziert hat. Hierzu muss erst das vom Gericht gerügte Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union angepasst werden. Ich gehe davon aus, dass dieses Gesetz noch im September 2009, also vor dem irischen Referendum, verabschiedet wird. Insgesamt bleibt der bittere Beigeschmack, dass nicht die Mehrheit des Bundestages, sondern das Bundesverfassungsgericht über die Schärfe und Tiefe parlamentarischer Kontrollrechte bestimmt.

Was genau wird der Bundestag jetzt verbessern müssen?

Die Bedingungen, die das Gericht an die Ratifikation des Lissabonner Vertrages knüpft, betreffen allesamt die Beteiligung des deutschen Parlaments an der Änderung dieses Vertrages. Kernpunkt ist hierbei, das der Lissabonner Vertrag verschiedene, vereinfachte Vertragsänderungsverfahren in Form so genannter Brückenklauseln einführt. Demnach kann der Europäische Rat zum Beispiel beschließen, im Ministerrat vom Einstimmigkeitsprinzip in das der Mehrheitsentscheidung überzugehen. Zwar kann jedes nationale Parlament einen entsprechenden Beschlussvorschlag ablehnen und das Vorhaben damit zu Fall bringen. Nach dem Urteil der Karlsruher Richter reicht dieser Ablehnungsvorbehalt jedoch nicht aus. Statt dessen mahnt das Gericht zu diesen faktischen Vertragsänderungen nun die explizite Zustimmung von Bundestag und Bundesrat, unter Umständen mit jeweils zwei Dritteln der Mitglieder, an.

Unter anderem hatte die Linke geklagt. Gregor Gysi saß also im Gerichtssaal.

Unter anderem hatte die Linke geklagt. Gregor Gysi saß also im Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Wie eilig ist die Sache?

Der Lissabonner Vertrag soll Anfang 2010 in Kraft treten. Die Regierung Irlands will im Oktober 2009 ein zweites Referendum durchführen, macht diesen Termin aber von der deutschen Ratifikationsleistung abhängig. Insofern ist das deutsche Parlament gehalten, spätestens im September 2009 die notwendige Änderung des Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union zu verabschieden. Der Bundestag wird seine Sommerpause unterbrechen und am 26. August zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um die erste Lesung zu einem neuen Begleitgesetz durchzuführen. Die Schlussabstimmung soll dann am 8. September stattfinden.

Was bedeutet das Urteil für den Vertrag von Lissabon?

Das Urteil wirkt sich nicht unmittelbar auf den Vertrag aus. Indirekte Auswirkungen zeichnen sich insofern ab, als dass die Hürden zur Aktivierung der so genannten Brückenklauseln zumindest in Deutschland extrem hoch gesetzt sind.

Was meint das Gericht eigentlich mit dem "strukturellen Demokratiedefizit"?

Dr. Andreas Maurer ist EU-Experte und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Dr. Andreas Maurer ist EU-Experte und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Diese Formulierung hat das Gericht in seinem Urteil zum Maastrichter Vertrag 1993 formuliert. Sie besagt, dass die EU an einem Demokratiedefizit leide, weil es innerhalb der EU keinen Demos in Form eines nationalstaatlich verfassten Staatsvolks gäbe und ihr daher bestimmte Grenzen in der weiteren Integrationsentwicklung gelegt seien. Interessanterweise hat sich das Urteil vom Lissabonner Vertrag nicht weiter zu dieser Kritik an der EU geäußert. Statt dessen betonen die Richter mehrmals die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes, die Eigenständigkeit der Europäischen Union und die Möglichkeit, den Integrationsprozess unabhängig nationalstaatlich gesetzter Standards fortsetzen zu können.

Gibt es Konsequenzen für die gesamte EU?

Für die EU hätte das Urteil letzten Endes nur dann harte Konsequenzen, wenn sich Bundestag und Bundesrat nicht auf eine Änderung des gerügten Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union einigen könnten. Dann bliebe die Ratifikation des Lissabonner Vertrages aus und die EU müsste aufgrund der deutschen Vorbehalte mit dem Vertrag von Nizza vorlieb nehmen.

Wie wirkt sich das Urteil auf das Verhältnis zwischen Deutschland und der EU aus?

Das ist schwer vorherzusagen. Ich denke, Bundestag und Bundesrat werden in der EU künftig stärker als mögliche Bremser der Integration wahrgenommen.

Bestärkt das Urteil nicht am Ende die EU-Skeptiker?

Das Urteil bestärkt diejenigen, die meinen, dass die EU bereits zu viele Kompetenzen habe und dass diese zu häufig und alleine von der EU-Kommission wahrgenommen werden. Vertreter dieses und ähnlicher Zerrbilder werden sich durch das Urteil bestätigt fühlen und ihre Anti-EU-Kampagnen darauf aufbauen.

Quelle: ntv.de, Mit Andreas Maurer sprachen Till Schwarze und Jochen Müter

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