Politik

Drei Tage für einen Zeugen Gericht nimmt sich Zeit für Tino Brandt

Brandt bei einer Festnahme 1995.

Brandt bei einer Festnahme 1995.

(Foto: picture alliance / dpa)

Er ist eine der bekanntesten und umstrittensten Figuren der deutschen Neonazi-Szene. Nun muss Tino Brandt im Münchner NSU-Prozess aussagen. Der frühere V-Mann könnte wohl einiges darüber berichten, welche Rolle der Verfassungsschutz beim Aufbau des NSU gespielt hat.

Ganze drei Tage sind in dieser Woche im Münchener NSU-Prozess für den Zeugen Tino B. reserviert. Hinter der juristisch korrekten Abkürzung verbirgt sich niemand anders als der frühere Kopf der Neonazi-Gruppe "Thüringer Heimatschutz" und Ex-V-Mann Tino Brandt.

Der letzte Versuch, Brandt in München zu vernehmen, scheiterte daran, dass in seinem Umfeld eine Krankheit auftrat, die vom Gesundheitsamt überwacht wird. So hieß es in der Erklärung der Pressestelle des Gerichts. Das war im Februar. Im Juli haben sich die Zeiten geändert. Unter Umständen könnte Brandt sogar in Handschellen in den Münchner Schwurgerichtssaal A 101 geführt werden. Denn Ende Juni wurde Brandt in Untersuchungshaft genommen.

Doch weder seine mutmaßlichen Unterstützungsleistungen für den Nationalsozialistischen Untergrund noch die Ermittlungen wegen gewerbsmäßigen Versicherungsbetruges oder eines der anderen bisher über 30 Ermittlungsverfahren unter anderem wegen illegalen Waffenbesitzes gegen Brandt führten zu seiner Festnahme. Am Ende wurde die Staatsanwaltschaft auf die Aussage eines Jugendlichen hin aktiv, der Brandt vorwirft, ihn sexuell missbraucht und anschließend an Freier vermittelt zu haben. Der zum Tatzeitpunkt 15-Jährige war offenbar kein Einzelfall.

Neonazi von Anfang an

Der Ex-V-Mann und Neonazi als Zuhälter: Das Bild des inzwischen 39-jährigen Brandt wird damit noch ein wenig schillernder, als es ohnehin schon ist. Brandt stammt aus Rudolstadt, dort wird er 1975 geboren, dort lebt er mit kurzen Unterbrechungen sein Leben lang. Schon als Teenager ist er einer der bedeutendsten Thüringer Neonazis, ruft als Schüler "national befreite Zonen" in seiner Heimatstadt aus und verteilt Aufkleber mit nationalen Parolen.

Mitte der 1990er-Jahre gründet der gelernte Einzelhandelskaufmann das "deutsche Kameradennetzwerk 'Thüringer Heimatschutz'" und lässt sich fast zeitgleich als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes abwerben. Unter dem Decknamen "Otto" berichtet er bei Hunderten Treffen über Demonstrationen und Aufmärsche, identifiziert Personen auf vorgelegten Fotos und gibt Auskünfte über interne Kommentare und Beschlüsse der NPD. Dafür bekommt er im Laufe der Jahre etwa 200.000 D-Mark und immer wieder auch Hinweise auf bevorstehende Polizeiaktionen.

Im Mai 2001 fliegt Brandt auf, da hat er es bereits zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der thüringischen NPD gebracht. Die "Thüringer Allgemeine" hatte ein Treffen Brandts mit seinem Verbindungsmann beim Verfassungsschutz observiert und legt die Verbindung offen. Brandt gilt seitdem als umstrittener Verräter, er verlor seinen Job, die Freunde und Kontakte. Im September 2012 beantragte er Privatinsolvenz.

Man kannte sich

In München wird es vor allem um seine möglichen Kontakte mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehen. Sicher ist, man kannte sich. Nach seiner Enttarnung gab Brandt einige Interviews, dabei sagte er: "Die kamen damals, das war so Mitte der 90er-Jahre, also in der Gründerzeit des 'Thüringer Heimatschutzes', mit einigen anderen jungen Leuten aus Jena immer zu uns nach Rudolstadt. Möglicherweise, weil sie hier genau auf die kameradschaftliche Atmosphäre stießen, die es in Jena nicht gab. Bei uns musste man sich nicht in der Kälte zwischen den Plattenbauten herumdrücken."

Stattdessen gab es Kneipengemütlichkeit und jede Menge ideologisch Gleichgesinnte. "Die drei waren von unserer Sache überzeugt, Nationalsozialisten." Man kann davon ausgehen, dass Brandt bis heute die Überzeugungen des NSU teilt. Wenn er gefragt wird, ob er wieder für die rechte Szene arbeiten würde, bejaht er das uneingeschränkt. Brandt ist überzeugt, hätte er weitergemacht, säße die NPD heute im Thüringer Landtag.

Mit dem Geheimdienst würde er sich allerdings nicht wieder einlassen, obwohl er das Mantra vieler Spitzel wiedergibt, dass er niemandem geschadet habe. Er betont seit Jahren, dass er dem Verfassungsschutz nur erzählt habe, was der Geheimdienst sowieso habe erfahren können. Als "Kameradenschwein" sieht er sich deshalb nicht, außerdem habe er jede Mark, die er für seine Zuträgerdienste bekam, in "die Bewegung investiert". Wie viel direkt an das NSU-Trio floss, könnte eine spannende Frage sein. Dass Geld an sie ging, hat Brandt indirekt bereits bestätigt. "Die drei gehörten doch zu uns ..."

Ursprünglich wollte der Verfassungsschutz mit Brandts Hilfe das Versteck des untergetauchten NSU-Trios ausfindig machen. Das ging bekanntlich schief, warum, darüber kann Brandt sicher einiges erzählen. Dafür bekam Brandt sogar ein Auto, was ihn für die Arbeit in der rechtsextremen Szene auch noch mobil machte. Als Ergebnis der verschiedenen Untersuchungsausschüsse geht man inzwischen davon aus, dass der deutsche Staat die Vorbereitung des "nationalsozialistischen Volksaufstandes" – das war Brandts Ziel – mitfinanzierte. Welche Aktionen der Verfassungsschutz dazu möglicherweise mitinitiierte, auch das wären interessante Fragen an Brandt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen