Datenurteil technisch nicht umsetzbar Gesetz offenbar vom Tisch
03.03.2010, 07:42 UhrNach dem Aus für die Vorratsdatenspeicherung drängen die politischen Akteure auf eine rasche Neuregelung. Die SPD sieht dies jedoch skeptisch, weil sich Union und FDP nicht einigen würden. Die Polizei warnt vor einem rechtsfreien Raum, den Ganoven ausnutzen könnten und für die Internetwirtschaft ist das Urteil technisch nicht umsetzbar.

Der Bund kann die Stecker ziehen und auch die bislang gespeicherten Daten löschen.
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Nach dem Aus für die Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts fordern Politiker jetzt eine schnelle Umsetzung des Urteils und damit eine Neuregelung. Dabei verweisen sie vor allem auf einen "rechtsfreien Raum", der infolge des Urteils entstehen könnte. Nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirft das Urteil neue Probleme für die Sicherheitspolitik auf.
Die Speicherung von Telefon- und Internetdaten für sechs Monate war Ende 2007 von der damaligen Großen Koalition beschlossen worden, um Ermittlungen gegen Terrorverdächtige und Schwerverbrecher zu erleichtern. Grundlage dafür war eine EU-Richtlinie. Fast 35.000 Bürger zogen gegen das Bundesgesetz nach Karlsruhe und bekamen nun weitgehend Recht. Telefon- und Internetdaten dürfen in Deutschland vorerst nicht mehr massenhaft gespeichert werden.
Keine Erfolgsaussichten für Schwarz-Gelb
Während Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Datenspeicherung in engen Grenzen zügig doch noch durchsetzen will, tritt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auf die Bremse. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hält das Gesetz für politisch gescheitert. "Es ist durchaus denkbar, dass die Vorratsdatenspeicherung damit fürs erste gestorben ist", sagte er der "Stuttgarter Zeitung". Die schwarz-gelbe Koalition werde sich nicht auf einen verfassungskonformen Entwurf einigen können.
Freie Fahrt für Ganoven
Auch nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) droht ein massiver Rückschlag für die Bekämpfung der schweren Kriminalität in Deutschland. "Wir werden tausende Straftaten haben, die wir nicht mehr aufklären können", warnte Freiberg in der "Augsburger Allgemeinen". Mit der Urteil gehe der Polizei ein sehr wichtiges Instrumentarium zur Aufklärung von schweren Verbrechen und zur Gefahrenabwehr verloren. In der "Braunschweiger Zeitung" verwies Freiberg darauf, dass die Telefonverbindungsdaten etwa bei den Ermittlungen gegen die terroristische "Sauerland-Gruppe" eine wichtige Rolle gespielt hätten.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) schlug ebenfalls Alarm. In zwei von drei Fällen sei die Polizei bei ihren Ermittlungen inzwischen auf Vorratsdaten angewiesen. "Tendenz deutlich steigend", sagte BDK-Chef Klaus Jansen. In der "Passauer Neuen Presse" ergänzte er: "Datenschutz und die Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Nutzung in Ermittlungsverfahren schließen einander ausdrücklich nicht aus." Es müsse nun schnell ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, "das uns als Kriminalisten wieder handlungsfähig macht".

Die Justizministerin versucht die Wogen zu glätten.
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Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hält die Sorgen der Polizeigewerkschaften jedoch für unbegründet. Sie betonte in einem ARD-Interview, auch bis Juni 2008, als es noch keine Vorratsdatenspeicherung gab, seien sehr erfolgreich Straftaten verfolgt worden. "Hier muss keiner Sorge haben, dass wir jetzt in eine Sicherheitslücke schliddern." Dagegen warnte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in der "Financial Times Deutschland", bis der Gesetzgeber eine neue Regelung auf den Weg gebracht habe, könne der rechtlose Zustand Menschenleben kosten.
Ruf nach einer Internet-Polizei
Der Vorsitzende der Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, verlangte den Einsatz von 3000 Internet-Polizisten, um rechtsfreie Räume zu verhindern. "Ohne den sechsmonatigen Rückgriff auf Rechner-Adressen kann die Polizei im Internet nur noch etwas ausrichten, wenn ihre Netz-Präsenz massiv ausgebaut wird", sagte Wendt der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, bekräftigte die Hoffnung, dass es in Deutschland kein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung geben werde. "Da bin ich optimistisch", sagte er der "Braunschweiger Zeitung". Er hoffe, dass diese Datenspeicherung auch bald europaweit gestoppt werde.
Urteil nicht umsetzbar
Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden des Verbands der deutschen Internetwirtschaft, Michael Rotert, ist das Karlsruher Urteil technisch nicht umsetzbar. Die Auflage, die Daten von Ärzten, Psychologen, Seelsorgern, Politikern oder Richtern von der Vorratsdatenspeicherung auszunehmen, sei "derzeit schlichtweg nicht möglich", sagte er im Deutschlandradio Kultur. Dies könne mit Telefonnummern gemacht werden, allerdings nicht mit Daten im Internet. Die Internet-Adressen würden dynamisch vergeben, "das heißt, für jede Sitzung kriegen Sie unter Umständen eine andere Internet-Adresse". Hier zu filtern, sei technisch nicht möglich, sagte Rotert. Dem Verbandschef zufolge könnte diese Auflage das ganze Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu Fall bringen.
EU-Kommission ist zufrieden
Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sieht im Urteil des Bundesverfassungsgerichts dagegen keinen Widerspruch zur EU- Richtlinie. "Die Europäische Kommission begrüßt das Urteil", sagte die Schwedin dem "Hamburger Abendblatt". Es unterscheide "sehr deutlich zwischen der Richtlinie und dem, was durch den Gesetzgeber der einzelnen Mitgliedstaaten selbst geregelt werden kann". Die EU-Direktive lasse großen Spielraum und erlaube eine Umsetzung, "die mit den Grundrechten der deutschen Verfassung konform geht", sagte Malmström.
Quelle: ntv.de, dpa